Zuversicht trotz zahlreicher Krisen und Krieg in Europa
Ein kursorischer Jahresrückblick von Kathpress-Chefredakteur Paul Wuthe
Die Welt kommt nicht zur Ruhe und schlittert von einer Krise in die nächste: Dieser ernüchternde Befund steht am Ende eines Jahres, das zwar das erhoffte Abflachen der Corona-Pandemie gebracht hat, aber gleichzeitig die Rückkehr eines heißen Krieges in Europa. Seit dem Überfall der russischen Atom-Supermacht auf die Ukraine gibt es dort Tod, Zerstörung und massenhaftes Leid. Auch die Nachbarländer und ganz Europa sind betroffen von der größten Flüchtlingswelle seit Ende des Zweiten Weltkriegs sowie einer durch den Krieg verursachten Energiekrise und damit verbundenen Rekordinflation. Diese Krisen sind es auch, die das kirchliche Leben in Österreich und weltweit geprägt haben und in denen es sich zu bewähren hat.
Fast schon vergessen sind die harten Auseinandersetzungen rund um die am Jahresbeginn zunächst beschlossene, dann nicht umgesetzte und letztlich wieder abgeschaffte Corona-Impfpflicht. Omikron führte zwar zu einem Spitzenwert an Infektionen, aber durch die gesunkene Gefährlichkeit und hohe Durchimpfungsrate fast wieder zu einer Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens - jedenfalls in dieser Hinsicht. Ostern konnte erstmals seit 2019 "fast wie früher" gefeiert werden, und mit 1. Juni wurden - im Gleichklang mit der staatlichen Vorgangsweise - nahezu alle Corona-Schutzmaßnamen für den kirchlichen Bereich wieder aufgehoben. Immer mehr füllen sich seither wieder die Kirchen - das Niveau aus der Zeit vor Corona ist freilich noch lange nicht erreicht.
Heißer Krieg in Europa
Was endlich ein frohes Osterfest werden sollte, ist für die Ukraine ab dem 24. Februar zu einem Kreuzweg geworden, dessen Ende noch nicht absehbar ist. Selten war und ist das Entsetzen über einen völkerrechtswidrigen Angriff so einmütig in Europa und der ganzen Welt gewesen. Deutliche Worte über dieses Unrecht, zum Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung und zur nötigen Solidarität im Zusammenhang mit den beschlossenen Sanktionen gegen den Aggressor fanden auch die österreichischen Bischöfe. Ermutigend ist die ungebrochene Hilfsbereitschaft in Österreich für die Menschen in der Ukraine und für Geflüchtete. Nicht nur die kirchliche Caritas und die Pfarren sind hoch engagiert. Auch die kleine ukrainisch-katholische Gemeinde rund um die Zentralpfarre St. Barbara in Wien hat sich zu einem viel beachteten Hotspot der Hilfe entwickelt - so sehr, dass sie Anfang März als Zeichen der Solidarität von den Spitzen von Regierung und Parlament besucht wurde.
Ungebrochen ist das Gebet um Frieden in der Ukraine hierzulande und in der ganzen Weltkirche. Da eine Russland-Reise, zu der Franziskus nach eigener Aussage bereit wäre, in Kriegszeiten nicht stattfinden sollte, blieb auch die laut geforderte Ukraine-Reise des Papstes aus. Stattdessen reisten mehrere Kardinäle auch im Auftrag von Franziskus mehrfach in das Kriegsgebiet. Alle Friedensbemühungen des Papstes und der vatikanischen Diplomatie sind bisher erfolglos geblieben. Seine Tränen bei einer Marienfeier am 8. Dezember in Rom waren nicht nur ein ergreifendes Zeugnis stellvertretend für die vielen, die unter der Absurdität des Krieges leiden. Sie sind zugleich ein Bekenntnis des Papstes dafür, weiterhin alles für einen gerechten Frieden zu tun.
Zu tun gab es für den Pontifex, der am 17. Dezember seinen 86. Geburtstag beging und am Tag davor von den österreichischen Bischöfen mit einer Sachertorte und dem Geburtstagslied "viel Glück und viel Segen" überrascht wurde, wahrlich genug. Umso skurriler erscheint im Rückblick die sommerliche Debatte um einen angeblich bevorstehenden Rücktritt des Papstes. Schuld daran waren wohl auch seine sichtlichen Beschwerden mit den Beinen. Ein Rollstuhl wurde angeschafft, eine Gehhilfe ebenfalls. Reisen mussten verschoben, etliche Termine abgesagt werden. Von Amtsmüdigkeit kann aber keine Rede sein, wie die österreichischen Bischöfe bei ihrem Ad-limina-Besuch Mitte Dezember feststellen konnten.
Im zehnten Jahr seines Pontifikats überraschte Franziskus wieder einmal viele mit einem Dokument zur Reform der Kurie. Sie kennt keine Kongregationen und Räte mehr, sondern macht die Behörden jetzt schlicht zu Dikasterien. Diese können - auch das ist neu - prinzipiell auch von Nicht-Klerikern geleitet werden, was in den Bereichen Kommunikation und Wirtschaft bereits der Fall ist. Gestärkt wurden u.a. die Kinderschutzkommission und die Transparenz im Finanz-Bereich. Den Chefsessel in der Evangelisierungsbehörde hat der Papst persönlich übernommen.
Trotz eingeschränkter Beweglichkeit: Das Reisen ließ sich Franziskus auch heuer nicht nehmen. Der Besuch Anfang April in das traditionell erzkatholische Malta glich einem Heimspiel. Anders dann die Reise nach Kanada Ende Juli: Die Bußreise, wie er sie selbst nannte, stand unter dem dunklen Stern unbeschreiblicher Misshandlungen Indigener an oft katholisch geführten Internaten. Franziskus bemühte sich redlich um Vergebung und Versöhnung - nicht ohne Kritik der Überlebenden. Der Wunsch nach Frieden und der dafür nötige interreligiöse Dialog, verbunden mit persönlichen Begegnungen, dürften auch leitend gewesen sein, dass Franziskus im September nach Kasachstan reiste und im November dann nach Bahrain.
Synodaler Prozess
Dass von Amtsmüdigkeit letztlich keine Rede sein kann, belegt das derzeit wohl bedeutendste Projekt des Papstes: der weltweite Synodale Prozess. Wenn Franziskus von Synodalität spricht, ist damit in erster Linie ein Kirche-Sein als gemeinsamer Weg der Gläubigen gemeint; in der Sprache des Konzils das "pilgernde Volk Gottes" als Metapher für die Kirche. Gleichzeitig geht es um ein Mehr an "Gemeinschaft, Partizipation und Mission". Diese drei Themenbereiche waren auch Gegenstand von Beratungen in allen Diözesen der Welt, angeleitet durch ein Arbeitsdokument mit konkreten Fragen und einem klaren Zeitplan. Letzteren verlängerte der Papst heuer kurzerhand um ein weiteres Jahr bis einschließlich 2024.
Auch für die Kirche in Österreich war und ist der Synodale Prozess ein bestimmendes Thema. Bis Ostern liefen in den Diözesen - parallel zu den Vorbereitungen auf die landesweiten Pfarrgemeinderatswahlen am 20. März und unter coronabedingten Einschränkungen - dazu Gespräche, Befragungen und Erhebungen. Rund 50.000 Personen beteiligten sich. Verdichtet und nochmals reflektiert wurden die diözesanen Ergebnisse dann in einer nationalen vorsynodalen Beratung der Bischofskonferenz im Juni in Mariazell; das Ergebnis der Endredaktion ging fristgerecht bis zum 15. August an das vatikanische Generalsekretariat für die Bischofssynode und wurde am 21. September vom Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Erzbischof Franz Lackner, und den Theologinnen Regina Polak und Petra Steinmair-Pösel präsentiert.
Wie es in dem Österreich-Bericht heißt, gibt es einige Anliegen, die man vor Ort aufgreifen und umsetzen kann. Dies betrifft etwa die Themen Geschlechtergerechtigkeit, Förderung von Frauen in kirchlichen Leitungspositionen oder den Ausbau von Partizipationsmöglichkeiten in Richtung Mitbestimmung auf allen Ebenen. Ebenso gilt dies für die vermehrte Mitwirkung von Laien und Laiinnen in der Liturgie, das Bemühen um eine verständlichere Sprache in Liturgie und Verkündigung, den pastoralen Umgang mit Menschen, die in verschiedener Weise vom kirchlichen Leben ausgeschlossen sind, für die Aufarbeitung von Missbrauch oder die Förderung der Glaubensbildung.
Andere Anliegen seien auf weltkirchlichen Ebenen zu thematisieren, wie es in der Synthese heißt: Dies betrifft etwa den Zugang von Frauen zur Weihe - vor allem zum Diakonat - und den damit verbundenen Ämtern, den Zölibat als Zulassungsbedingung zum Weiheamt oder die Adaptierung von Lehrmeinungen unter Berücksichtigung der fortschreitenden Offenbarung des Heiligen Geistes, etwa hinsichtlich der Sexualmoral.
Dass diese Themen nicht nur in Österreich diskutiert werden, sondern auch in anderen Teilen der Weltkirche, belegt das im Oktober erschienene offizielle Arbeitsdokument für die nächste Etappe des Synodalen Prozesses auf kontinentaler Ebene. Fast durchgängig ist der Wunsch nach einer stärkeren Rolle der Frau in der Kirche, auch wenn es Unterschiede in der konkreten Umsetzung gibt. Dass dabei nicht alles zur Disposition steht, hat erst jüngst der Papst in einem Interview wieder einmal im Blick auf das Thema Frauenpriesterweihe klar gemacht. Das kirchliche Nein dazu bleibt für Franziskus maßgeblich.
Dennoch bleibt genug anderes gestaltbar, und da haben die österreichischen Bischöfe beispielsweise mit ihrem Beschluss, wonach innerhalb von sieben Jahren 30 Prozent der kirchlichen Leitungspositionen von Frauen besetzt sein sollen, sich heuer selbst eine klare Vorgabe gemacht. Dass die Österreich-Ergebnisse beim Synodalen Prozess ein wichtiger Referenzpunkt bleiben, hat zuletzt auch der Ad-limina-Besuch gezeigt. Man habe alles in Rom zu Sprache gebracht, hieß es unisono von den Bischöfen am Ende ihrer fünftägigen Visite, die sie als eine Erfahrung praktizierter Synodalität und Zuversicht beschrieben. "Werft die Zuversicht nicht weg": Diese biblisch inspirierten Worte der Bischöfe in ihrem Hirtenwort zum Advent klingen nicht nach einem Schlussakkord am Ende eines krisengeschüttelten Jahres, sondern mehr nach einem Leitmotiv für die kommenden.
Höhepunkte des kirchlichen Jahres 2022 - Eine Chronologie in vier Teilen - Die gesamte Jahreschronik 2022 inklusive eines Kommentars von Kathpress-Chefredakteur Paul Wuthe ist unter www.kathpress.at/jahreschronik2022 abrufbar
Höhepunkte des kirchlichen Jahres 2022 - Eine Chronologie in vier Teilen - Die gesamte Jahreschronik 2022 inklusive eines Kommentars von Kathpress-Chefredakteur Paul Wuthe ist unter www.kathpress.at/jahreschronik2022 abrufbar