Gottschlich: Einheitsrats-Präsident Koch angetan von der Idee einer Neubestimmung der kirchlichen Beziehung zum Judentum - Konzilsdokument von 1965 revolutionär, doch "Verlegenheitslösung"
Vatikanstadt, 15.10.2015 (KAP) Die Beziehung zwischen Christentum und Judentum sollte in den Augen des Wiener Kommunikationswissenschaftlers Maximilian Gottschlich durch eine Neuversion des vor 50 Jahren beschlossenen Konzilsdokuments "Nostrae aetate" gestärkt werden. Der dafür zuständige Einheitsrats-Präsident Kurt Koch habe sich dazu gesprächsbereit und von der Idee "angetan" gezeigt, erklärte Gottschlich gegenüber Radio Vatikan nach einer Begegnung im Vatikan zu Monatsbeginn, bei der er dem Kurienkardinal sein neues Buch "Unerlöste Schatten - Christen und der neue Antisemitismus" präsentiert hatte. In dem Buch appelliert Gottschlich an Christen, sich mit den Juden und Israel zu solidarisieren.
Aktuell sei die Frage laut dem christlichen Kommunikationsforscher mit jüdischen Wurzeln aufgrund des Antisemitismus, der auch in der Dritten Generation nach der Shoah "in den Köpfen und Herzen der Menschen" vorhanden sei. Erhöhte Dringlichkeit gebe es zudem vor dem Hintergrund der neuen muslimischen Migrationsbewegung in Europa. Er und Koch seien sich "in der Diagnose der Situation relativ einig" gewesen, und man sei verblieben, den "fruchtbaren Gedankenaustausch" fortzusetzen, berichtete Gottschlich.
Konkret erhoffte der Experte von einem etwaigen neuen Dokument, dass seitens des Christentums die eigene Verbindung mit dem Judentum klargestellt und die "jüdische Mitte des christlichen Glaubens" herausgehoben werde. Zudem seien eine "größere mediale Begleiterscheinung als vor 50 Jahren" nötig. Als Vorbild für die Anbahnung einer Erklärung nannte Gottschlich den französischen Juden und Holocaust-Überlebenden Jules Isaac, der Papst Johannes XIII. in einer Privataudienz seine Aktivitäten in der jüdisch-christlichen Freundschaft geschildert hatte. Angeregt von wechselseitiger Sympathie, habe der Pontifex den deutschen Bibelwissenschaftler Kardinal Augustin Bea zur Vorbereitung eines Textes beauftragt, der letztendlich zur Erklärung "Nostra aetate" führte.
Vergangenheit als Last
Dass es in der katholischen Kirche heute ähnlich wie in der Nazizeit an Solidarität mit dem jüdischen Volk fehle, hatte Gottschlich zuvor bereits gegenüber den "Salzburger Nachrichten" beklagt. Immer noch lasteten die Schatten von 2.000 Jahren - in denen die Kirche "ein Hort des Antijudaismus und Antisemitismus" gewesen sei und das Judentum systematisch abgewertet habe, um das Christentum aufzuwerten - "schwer auf der christlichen Kollektivseele".
Für den zu späten, dennoch aber "revolutionäre Sprung" von "Nostra aetate" 1965 habe die Kirche jeden Antisemitismus mit bloß einem "sehr mageren Satz" abgelehnt, "als hätte die Kirche mit dem Antisemitismus nie etwas zu tun gehabt, so Gottschlichs Kritik. Zudem habe man bloß eine "Verlegenheitslösung" gewählt: Die Neubestimmung der Beziehung zum Judentum, mit dem man "unvergleichbar mehr und inniger verbunden" sei als etwa mit Hinduismus, Buddhismus oder Naturreligionen, sei in einer allgemeinen Erklärung über das Verhältnis des Christentums zu den anderen großen Weltreligionen versteckt worden.
Antisemitismus-Synode
Durchaus könnte der Papst eine Synode einberufen, die sich mit dem bedrohlichen Antisemitismus in Europa und weltweit auseinandersetzt und Grundlegendes zum Selbstverständnis der Christen darlegt, regte Gottschlich an. Schließlich müsse das Judentum durchaus als "religiöse Mitte des Christentums" ernst genommen werden, zumal es ohne diese jüdischen Wurzeln "nicht Jesus, nicht seine Lehre, nicht seine Jünger, nicht die Zehn Gebote" gebe.
Christlich-jüdische Solidarität müsse sich zudem auch politisch bewähren und das jüdische Volk "hier und heute" - und damit auch die Existenz des Staates Israels - achten und wertschätzen. Angesichts jener in der arabischen Welt, die die Anerkennung Israels verweigern und seine Auslöschung propagieren, setze die Kirche bislang "keine positiven Impulse".
Prof. Gottschlich diskutiert am Montag, 19. Oktober, um 19 Uhr in Wien (Buchhandlung Herder, Wollzeile 33, 1010) mit dem emeritierten Wiener Weihbischof Helmut Krätzl zum Thema "Der neue Judenhass". Dabei wird er auch sein neues Buch ("Unerlöste Schatten. Die Christen und der neue Antisemitismus") vorstellen.
Weitere Meldungen zum Abschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils vor 50 Jahren im Kathpress-Themenpaket unter http://www.kathpress.at/konzil
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