Präsident Szekeres: "Für uns nicht akzeptabel" - Auch Spitzenvertreter aus Psychotherapie, Psychiatrie und Hospizwesen für Beibehaltung des "österreichischen Wegs der Hospiz- und Palliativversorgung statt Suizidbeihilfe"
Wien, 23.09.2020 (KAP) Im Vorfeld der am Donnerstag anstehenden öffentlichen Verhandlung beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) über aktive Sterbehilfe und assistierten Suizid haben sich Berufsvertreter aus Medizin, Psychotherapie und Hospiz klar gegen eine Veränderung der österreichischen Rechtslage ausgesprochen. "Aktive Sterbehilfe ist für uns als Ärztekammer nicht akzeptabel", wird der österreichische Ärztekammer-Präsident Thomas Szekeres in einer Stellungnahme auf www.lebensende.at zitiert. Die Seite informiert über das Thema und gibt einen Überblick auf Stimmen, die sich für eine Beibehaltung der geltenden Regelung aussprechen.
Trage ein Mensch Suizidgedanken in sich, "braucht er ein Gegenüber, das ihm mitfühlend lebensbejahende Aus-Wege aufzeigt, statt sich mit den Selbsttötungsgedanken des anderen zu 'solidarisieren'", wird an selber Stelle Peter Stippl, Präsident des Österreichischen Bundesverbandes Psychotherapie (ÖVBP) angeführt. Ein "ich will nicht mehr" bedeute "fast immer: ich will so nicht mehr". Die Erfahrung, dass gut gegebene Hilfestellung Menschen "Stunden, Tage oder Jahre gewinnen" lasse, bestärkten in die Haltung, dass "jeder Suizid einer zuviel" sei, betonte Stippl.
Kritik an zu wenig "psychiatrisch-psychotherapeutischem Verständnis für Menschen in Krisensituationen" in der aktuellen Debatte um assistierten Suizid äußerte die Past-Präsidentin der österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Christa Rados: Todeswünsche seien ein "fluktuierender Prozess" und vorrangig "Ausdruck von Angst und Ambivalenz", zeige sich in der psychiatrischen Praxis. Aufgabe der Ärzte und Therapeuten müsse der engagierte Einsatz für eine Behandlung zur "besseren Erträglichkeit schwerer Erkrankungen und zur Erleichterung des Sterbeprozesses" sowie die Stärkung der Palliativmedizin in allen Fachbereichen sein, so die Primarin am Villacher LKH.
Rückendeckung gibt es für diese Position auch vom Weltärztebund. In dessen Vorjahres-Generalversammlung im georgischen Tbilisi hatte die World Medical Association in einer eigenen Stellungnahme ihr "starkes Bekenntnis zu den Grundsätzen der medizinischen Ethik" bekräftigt und festgehalten, "dass dem menschlichen Leben größter Respekt entgegengebracht werden muss". Der Weltärztebund stelle sich daher "entschieden gegen Euthanasie und ärztlich assistierten Suizid".
Hospiz und Palliativ der "österreichische Weg"
Klarer Befürworter der geltenden österreichischen Regelung ist auch der Dachverband Hospiz, der sich 2014/15 aktiv an der Parlamentarischen Enquete-Kommission "Würde am Ende des Lebens" beteiligt hatte. Dachverbands-Präsidentin Waltraud Klasnic bezeichnete dabei die Sterbehilfe als "Unwort der Zeit", schließlich gelte: "Wo ist die Grenze? Wo fängt es an und wo hört es auf? ...Wer entscheidet?" Dass es zu wenig sei, Nein zu sagen zur Tötung auf Verlangen und zur Beihilfe zum Suizid stellte der Dachverband heuer im Frühjahr gemeinsam mit der Österreichischen Palliativgesellschaft klar, und weiter: "Die Not der Betroffenen ist ernst zu nehmen und wirksame Hilfe zu deren Linderung anzubieten. Wir sind herausgefordert, das Sterben als Teil des Lebens zu sehen und gut zu begleiten."
Die Vorsitzende der Enquete-Kommission, Gertrude Aubauer, verwies in ihrer Stellungnahme auf die damals erfolgte Anhörung von über 500 Experten, Praktikern, Ärzten und Pflegern. Der Tenor von deren Schilderungen sei gewesen, Menschen bewege am Lebensende vor allem der Wunsch, nicht leiden zu müssen, berichtete die frühere Nationalratsabgeordnete. " Daher haben alle Parteien einstimmig den Ausbau von Hospiz- und Palliativversorgung beschlossen! Das ist unser österreichischer Weg!" Ähnlich äußerte sich der Kommandant des Malteser-Hospitaldienstes Austria, Richard-Wittek-Saltzberg: Zuwendung und Trost sei das, was allen, die dem Tod sehr nahe seien, am meisten benötigten. Bei einer "guten, menschlichen Palliativbetreuung" sei "auch in schwierigsten Situationen ein 'Ja' zum Leben möglich".
"Explosive" Diskussion
Aus Sicht der Österreichischen Gesundheitskasse verwies Verwaltungsrat Martin Schaffenrath in einem Gastkommentar kürzlich auf die hohe Suizidrate in Österreich, die bereits das 2,5-fache der im Straßenverkehr Getöteten betrage. Suizidprävention müsse aus diesem Grund ein "gesamtgesellschaftliches Anliegen" sein, scheine in diversen Diskussionen von Lobbyisten für Sterbehilfe jedoch untergraben zu werden.
Die Autorin und Behinderten-Aktivistin Marianne Karner warnte in einem am Dienstag veröffentlichten Interview auf www.behindertenarbeit.at vor "gefährlichen bis explosiven" Folgen einer allzu einseitigen Darstellung des Sterbehilfe-Themas in den Medien: Menschenrechte würden dabei ausgehöhlt, die Individualisierung nehme zu und die Solidarität mit bestimmten Bevölkerungsgruppen wie etwa hochbetagte, alte, behinderte und chronisch kranke Menschen sinke, habe in der Corona-Pandemie auch die Debatte um Triage-Richtlinien gezeigt. Urteile man erneut in Kategorien wie "lebens(un)wert", "nützlich" oder "(Be)Lastung", offenbare dies "Kontinuitäten im Denken und Handeln" zur menschenverachtenden NS-Ideologie.
Aus Fehlern anderer lernen
Auf eine eindringliche Warnung des Medizinethikers Theo Boer wurde in einem Kommentar von Gudrun Kattnig in der "Kleinen Zeitung" (Dienstag) verwiesen: Durch Legalisierung der Sterbehilfe werde diese "in einem Schaufenster als Warenangebot ausgestellt", wobei das Angebot auch Nachfrage erzeuge, bemerkte Boer, der selbst zehn Jahre einer niederländischen Prüfungskommission angehörte, die über Rechtmäßigkeit von Sterbehilfe befand. In einigen Regionen der Niederlande gehöre die Sterbehilfe heute mit 10 bis 15 Prozent zu den häufigsten Todesursachen, landesweit beträgt die Rate heute 4,5 Prozent.
In vielen Fällen in den Niederlanden wäre die Sterbehilfe eigentlich nicht angebracht gewesen, doch sei vieles auf eine "schiefe Ebene" geraten - vom Druck durch Verwandte bis hin zu mangelnder Aufklärung über palliative Alternativen. Man hätte, so Boer, in den Niederlanden nie diesen Weg eingeschlagen, hätte man in den Achtzigerjahren dasselbe hohe Niveau der Palliativmedizin wie heute gehabt. "Aus Fehlern anderer lässt sich lernen. Lindern wir gemeinsam die Schmerzen und bereiten der Einsamkeit ein Ende, nicht dem Leben!", hieß es in der "Kleinen Zeitung".
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