Postulator des Seligsprechungsprozesses, Nicola Gori, berichtet im Kathpress-Interview über teils noch wenig bekannte Details aus dem Leben des jungen "Cyberapostels" und sieht mehrere Analogien zu Franz von Assisi
Wien, 27.10.2020 (KAP) Unter den Heiligen und Seligen, derer die Kirche zu Allerheiligen gedenkt, ist Carlo Acutis der zuletzt Hinzugestoßene. Der am 10. Oktober seliggesprochene Italiener, der 2006 15-jährig an Leukämie verstarb, gilt als möglicher "Patron des Internets" und als Beispiel, wie Glaube heute gelebt werden kann. Sein Weg war aber nicht vorgezeichnet: "Nicht seine Eltern, sondern sein polnisches Kindermädchen, das selbst noch sehr jung und tiefreligiös war, vermittelte Carlo die Grundzüge des Glaubens und lehrte ihn die ersten Gebete", sagte der Postulator der Seligsprechung, Nicola Gori, im Kathpress-Interview (Dienstag). Gori ist Redakteur des Osservatore Romano und war schon zu Lebzeiten Carlos mit dessen Mutter bekannt. Auf ihre Bitte hin verfasste er die erste Biografie über den neuen Seligen.
Acutis Eltern, der Investmentbanker Andrea Acutis (56) und seine Gattin Antonia Salzano (54), praktizierten zum Zeitpunkt von Carlos Geburt am 3. Mai 1991 in London ihren katholischen Glauben nicht. Umso mehr tat dies jedoch die von ihnen angeheuerte Babysitterin namens Beata. Die Verehrerin von Johannes Paul II. habe in Carlo "den ersten Samen des Glaubens" gelegt und dort "äußerst fruchtbaren Boden" gefunden, sagte Gori. So kam es, dass sich der heute Selige schon als Dreijähriger für alles Religiöse interessierte und Kirchen aufsuchte, um Blumensträuße vor Heiligenstatuen zu deponieren und "Jesus zu grüßen". Die Familie Acutis übersiedelte nach Mailand, wo Carlo als Vierjähriger vom Sterben des Großvaters mütterlicherseits sehr geprägt wurde. Dieser sei ihm später erschienen und habe ihn um sein Gebet gebeten, da er im Fegefeuer sei, erzählte der Junge den Eltern später.
Carlo habe ein enormes Talent entfaltet, "Menschen zu Gott zu ziehen", berichtete sein Biograf und Postulator. Um dies zu verstehen, müsse man auch seine Wirkung auf die nächste Umgebung sehen: "Er selbst war es, der seine Familie in das Abenteuer des Glaubens hineingezogen hat." Wie seine Mutter Antonia später berichtete, hatte sie ihr Sohn schon im Kleinkindalter in Verlegenheit gebracht durch viele Fragen über Religion, auf die sie keine Antwort wusste. Ein Priester, den sie auf Rat einer religiösen Freundin konsultierte, legte ihr nahe, den katholischen Glauben besser kennenzulernen. Daran hielten sich die Eltern auch, begannen selbst in den Gottesdienst zu gehen und unterstützten ihren Sohn in dieser Hinsicht stets. Ein Haushaltsgehilfe der Familie, der aus Mauritius stammende Hindu-Brahmane Rajesh Mohur, war von der Begeisterung des Buben für den Glauben so beeindruckt, dass er sich taufen ließ.
Faible für die Eucharistie
Auch der Glaube von Carlo sei "nach und nach gereift", bis er dann jedoch "unerschütterlich" geworden sei, erklärte Gori. Das Kind habe sich Gott nahe und von ihm geliebt gewusst, was ihm Großes ermöglicht habe. Besonders die Gegenwart Jesu in der Eucharistie faszinierte den Jungen, der jetzt in Mailand eine katholische Grundschule - das Tommaseo-Institut der Marcellus-Schwestern - besuchte. Auf sein Drängen empfing Carlo mit Einverständnis seines Pfarrers Don Aldo Locatelli die Erstkommunion am 16. Juni 1998 als Siebenjähriger, früher als in der Erzdiözese Mailand üblich. Bereits damals wurden die Heilige Messe und eine kurze Anbetung vor dem Tabernakel tägliche Fixpunkte. Ebenso regelmäßig betete er den Rosenkranz und verehrte die Jungfrau Maria sehr, bezeichnete sie später als "einzige Frau meines Lebens". Auch beichtete der Junge wöchentlich, pochte bei Urlaubsreisen stets darauf, ein Hotel in der Nähe einer Kirche zu finden und nannte die Bibel seinen "Kompass fürs Leben".
Die außergewöhnliche Anziehungskraft, welche die Eucharistie auf Carlo ausübte, spiegelt sich auch in den von ihm überlieferten Zitaten wider, darunter u.a.: "Die Eucharistie ist meine Autobahn in den Himmel", sowie "Je häufiger wir die Eucharistie empfangen, desto ähnlicher werden wir Jesus. So bekommen wir hier auf Erden einen Vorgeschmack auf den Himmel." Als sein Vater ihm vorschlug, gemeinsam ins Heilige Land zu reisen, um dort die biblischen Stätten zu besuchen, winkte Carlo ab: "Wir haben es besser als die Apostel, die vor 2.000 Jahren mit Christus gelebt haben. Um ihm zu begegnen, brauchen wir nur in die Kirche zu gehen. Wir haben Jerusalem vor der Haustür." Die Erkenntnis der Gegenwart Jesu in der Eucharistie habe Acutis als "Schatz, den er selbst empfangen hatte" gesehen, wobei es ihn drängte, diesen anderen Menschen weiterzugeben, wie sein Biograf Nicola Gori bemerkte. Es sei für den Jungen daher logische Konsequenz gewesen, dass er sich in der Pfarre für die Mitwirkung an der Erstkommunion-Vorbereitung meldete.
Fußball, Videospiele und Computergenie
Neben dieser tiefen Religiosität war Carlo jedoch auch ein "normaler" Junge: In seiner Freizeit ging er oft auf den Fußballplatz oder in den Karatekurs, brachte sich selbst Saxophon bei, spielte gerne mit seinen Hunden und Katzen, umsorgte seine Goldfische, zeichnete Figuren aus Zeichentrick-Serien und war leidenschaftlicher Videofilmer, der seine Freunde und Tiere vor die Kamera holte, um die Aufnahmen am Computer mit Synchronstimmen zu versehen und lustige Animationen erstellte. Er besaß auch eine Spielkonsole, mit der er Videogames spielte, wobei er sich selbst ein Wochenlimit von einer Stunde auferlegte. "Sein Umfeld nahm ihn als äußerst sympathisch, nett und aufgeschlossen wahr, als einen, der gerne feierte und dabei auch im Mittelpunkt stand. Zugleich half er den Klassenkollegen oft bei Schulaufgaben", berichtete der Postulator über den Seligen. Sticheleien seiner Altersgenossen über seine offen zutage gelegte Frömmigkeit entgegnete Carlo mit Gelassenheit.
Regelrechte Genialität entwickelte Carlo beim Umgang mit dem Computer. Schon als Neunjähriger vertiefte er sich in ein Informatik-Lehrbuch auf Universitätsniveau, mit dem er in Rekordzeit das Programmieren erlernte. Mit dieser Basis begann er als Elfjähriger ein mehrjähriges Projekt, das alle seine Interessen vereinen sollte: Eine Website, die alle rund 140 von der Kirche anerkannten eucharistischen Wunder - d.h. unerklärte Erscheinungen an einer konsekrierten Hostie wie etwa blutrote Verfärbungen oder die Verwandlung in Fleisch - verzeichnete. Für die Recherchearbeit wollte Carlo alle darunter angeführten europäischen Stätten aufsuchen, worin ihn seine Eltern unterstützten. Die nach wie vor auf www.miracolieucaristici.org abrufbare Seite wird seit Carlos Tod vom Verein "Freunde von Carlo Acutis" weitergeführt und existiert mittlerweile in 17 Sprachen. Eine weitere von Acutis initiierte Website, die posthum fertiggestellt und 2014 veröffentlicht wurde, behandelt alle kirchlich anerkannten Marienerscheinungen.
"Poverello" aus Assisi als Vorbild
Eine weitere Facette des jungen Seligen wurde erst bei seinem Begräbnis 2006 im vollen Ausmaß sichtbar, als zur Überraschung seiner Familie viele Obdachlose, alte Menschen und Flüchtlinge die Kirche füllten. Carlo habe die Menschen auf seinen Alltagswegen nicht nur gegrüßt und mit ihnen gesprochen, sondern dabei auch unzählige Notleidende unterstützt, erklärte Gori. "Er brachte den Obdachlosen Thermoskannen, Schlafsäcke und warmes Essen, wobei er von seinen Eltern Rückhalt bekam. Darüber hinaus spendete er sein Taschengeld an die Kapuziner-Hilfsorganisation 'Opera San Francesco', die Armenausspeisungen betreibt." Manchmal habe die Mutter Carlo dazu zwingen müssen, Kleidung für sich selbst zu kaufen, weil er nicht wollte. "Er sagte, dass das, was er habe, genug sei und dass der Rest an die Armen gehen solle."
Vorbilder für den Jungen waren dabei Franz von Assisi und Antonius von Padua, die er beide sehr verehrte und als seine Beschützer sah. Nicht nur die Geburt in einer wohlhabenden Familie und der Wunsch, selbst in Armut zu leben, sondern auch der Glaube an die Gegenwart Christi in der Eucharistie und in allen Brüdern und Schwestern, besonders den Ärmsten, seien laut dem Postulator Gori wichtige Analogien zwischen Carlo und dem "Poverello", ja, man könne Acutis sogar als einen "Franz von Assisi des 21. Jahrhunderts" bezeichnen. In der umbrischen Heimatstadt des Heiligen aus dem Mittelalter hatte die Familie Acutis ein Ferienhaus und machte öfters Urlaub. Carlo fühlte sich zu dem Ort so hingezogen, dass er vor seinem Tod den Wunsch äußerte, dort auch begraben zu werden, was ihm die Eltern dann auch erfüllten sollten.
Letztes großes Projekt
Als Carlo 14-jährig in die Oberstufe ans Mailänder Jesuitengymnasium Instituto Leone XIII wechselte, hatte sein Projekt mit den eucharistischen Wundern bereits eine neue Dimension erreicht: Aus der zunächst für die Website gesammelten Auflistung wurden nun Schautafeln einer Wanderausstellung, die mittlerweile bereits in tausenden Pfarren auf allen fünf Kontinenten gezeigt wurden. Das erklärte Ziel war auch hier, "allen Menschen die Nähe und Gegenwart Christi in der Eucharistie bekannt zu machen, damit jeder zu ihm Zuflucht nehmen könne", sagte der Postulator. Carlo arbeitete mit Hochdruck und in jeder freien Minute dafür, besonders in der Schlussphase während der Schulferien des Jahres 2006, dem letzten Sommer seines Lebens. Dass ihm nicht mehr viel Zeit bleiben könnte, dürfte der Jugendliche geahnt haben: In einem in ebendiesen Monaten aufgenommenen Video, das seine Eltern erst später fanden, sagt er in die Kamera: "Ich bin vorherbestimmt zu sterben."
Als Carlo im darauf folgenden Herbst erkrankte und in ein Spital in Monza eingeliefert wurde, glaubte man zunächst an eine Grippeinfektion, bis drei Tage später Leukämie in der aggressiven Form M3 diagnostiziert wurde. Er selbst sprach von einem "Wecker", den Gott ihm gestellt habe, und erklärte, er opfere seine Schmerzen "für Gott, für Papst Benedikt XVI. und für die Kirche auf, um nicht ins Fegefeuer, sondern direkt in den Himmel zu kommen". "Carlo akzeptierte den Willen Gottes und bereitete sich gut auf die letzte Begegnung mit Christus vor", so der Eindruck seines Postulators. Das nahe Umfeld des Jugendlichen tat sich mit seinem Tod in den Morgenstunden des 12. Oktobers 2006 freilich schwerer. "Für seine Eltern war klar, dass Carlo aufgrund seiner Neigungen später Priester werden würde. Sie begriffen es anfangs überhaupt nicht, wie dieses Ende nur Gottes Plan für ihren Sohn sein könne. Inzwischen haben sie es jedoch verstanden", betonte der Journalist Gori.
Assisis neues Pilgerziel
Sieben Jahre nach dem Tod wurde in Mailand der Seligsprechungsprozess für Carlo Acutis eingeleitet, der dann ab 2016 in Rom weitergeführt und am 21. Februar 2020 durch die Anerkennung eines seiner Fürsprache zugesprochenen Heilungswunders abgeschlossen wurde - als einer der schnellsten der Kirchengeschichte. Am vergangenen 10. Oktober fand in Assisi die Seligsprechung statt, wo der in der Kirche Santa Maria Maggiore (Santuario della Spogliazione) seit Frühjahr 2019 der Leichnam ruht. Inzwischen ist dort laut Angaben des Postulators bereits eine neue Destination für Assisi-Pilger entstanden: Allein in den ersten drei Oktoberwochen kamen trotz Covid19-Bestimmungen 41.000 Menschen aus vielen Ländern zu dem Steinsarkophag, der über ein Seitenfenster den Blick auf die in Jeans, Sweatshirt und Nike-Sneakers gekleideten sterblichen Überreste des Jugendlichen - das Gesicht ist mit einer Silikonmaske bedeckt - freigibt. Am 20. Oktober ließ Ortsbischof Domenico Sorrentino das Sichtfenster allerdings wieder schließen. Es soll nach der Corona-Pandemie wieder geöffnet werden.
Nicola Gori war selbst anwesend bei der Seligsprechungsfeier anwesend, die laut Angaben der Diözese Assisi 569.000 Menschen via Facebook-Streaming mitverfolgten. Die Popularität von Carlo Acutis habe die entferntesten Länder und Menschen jedes Lebensalters erreicht, schloss der Postulator aus den vielen weiter anhaltenden Anfragen aus aller Welt und unzähligen Freundeskreisen, Facebook-Gruppen oder Websiten, die sich auf den nunmehr Seligen berufen. Hinsichtlich des Zeitpunkts für eine denkbare Heiligsprechung gab sich der Journalist zurückhaltend: Eine Vorhersage sei dabei nie möglich, hänge dabei doch alles von der Anerkennung eines weiteren Wunders ab. Sicher sei jedoch, "dass Carlos Ruf der Heiligkeit schon alle Welt erreicht hat und viele zu ihm beten. Es wird daher noch viel mehr Gelegenheiten für Wunder geben als bisher", so Gori.
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