Leiter der Vorarlberger Propstei St. Gerold und früherer Abt von Einsiedeln fordert in Meditation in Wiener "Langer Nacht der Kirchen" zum Nachdenken über die eigene Haltung im Christsein auf
Wien, 29.05.2021 (KAP) "Wenn wir die Pharisäer in der Bibel nicht ernst nehmen, kann das Wort Jesu nicht bei uns ankommen": Mit diesen Worten hat der Leiter der Vorarlberger Propstei St. Gerold, Pater Martin Werlen in der "Langen Nacht der Kirchen" Gläubige zum Nachdenken über die eigene Haltung im Christsein aufgerufen. Der frühere Abt des Schweizer Benediktinerklosters Einsiedeln stellte am Freitagabend in der Wiener Schottenbasilika in einer "Nachtmeditation mit Provokation" sein Buch "Raus aus dem Schneckenhaus" (Herder 2020) vor.
Wer hinter seinem Hinweis eine Diffamierung der jüdischen Pharisäer sehe, habe das Buch nicht verstanden, erklärte der Propst. Pharisäer seien fromme Menschen, die den eigenen Glauben ernst nähmen und versuchten, die Bibel im Leben umzusetzen. Aber, so Werlen weiter: "Wir alle sind bisweilen Pharisäer, wenn wir der Haltung erliegen, besser zu sein als andere. Auch als Christen begeben wir uns in diese Gefahr, besonders dann, wenn wir nicht mehr den Menschen vor uns sehen, sondern das System verteidigen", so der Ordensmann.
Manche Aussage in der Kirche erinnere ihn an die enge Haltung des Pharisäismus. "Die Kirche hat keine Vollmacht? Gutes zu tun, zu segnen, dazu hat die Kirche immer Vollmacht", meinte der Propst in Anspielung auf das jüngste Schreiben der Glaubenskongregation, wonach die Kirche nicht die Vollmacht habe, gleichgeschlechtliche Verbindungen zu segnen.
Die eigentliche Haltung der Kirche sei "Geht hinaus!", betonte Werlen. "Das ist unsere Aufgabe und unsere Identität." Daher komme auch der Untertitel zu seinem Buch: "Nur wer draußen ist kann drinnen sein". Kirche müsse bei den Menschen draußen sein, so wie Jesus zu den Menschen am Rand ging.
Genau dies würden aber so manch "kirchliche Pharisäer" nicht leben und stattdessen sagen, dass es Menschen gebe, die "nicht in die Kirche gehören, weil sie viel am Kerbholz haben oder durch ihr Leben nicht dazu passen". Eine solche Haltung kritisiere Jesus in den Gleichnissen bei den Frommen seiner Zeit, erinnerte Werlen. Diese Sicht selbst zu verändern, erfordere Mut, aber, so der Propst: "Wer im Glauben voranschreitet, dem weitet sich das Herz."