Der weit über die Grenzen Österreich hinaus bekannte Ordensmann wohnt heute im rumänischen Roma-Dorf Marpod und ist Mitarbeiter im Hilfswerk "elijah" - Jesuit spricht über Neuanfang und Mut: "Nix probieren bedeutet: es kann nix werden" - Kathpress-Porträt von Franz Morawitz
Wien/Bukarest, 07.07.2021 (KAP) Am 26. Juli feiert der weit über die Grenzen Österreichs und des "katholischen Milieus" hinaus bekannte Jesuit Georg Sporschill seinen 75. Geburtstag. Seine heutige Arbeit in den Roma-Dörfern in Siebenbürgen hat er begonnen, als er 65 geworden ist. "Ich habe mir damals gedacht: Jetzt bin ich in einem Alter, in dem ich mir leisten kann, etwas Verrücktes zu machen", erzählt der Ordensmann im "Kathpress"-Interview. Wobei ihm "die Neugier immer geholfen" habe.
Die damals, vor zehn Jahren, entstandene Roma-Hilfe, die nach dem biblischen Propheten "elijah" benannt wurde, arbeitet heute in den sechs rumänischen Dörfern Hosman, Nou, Tichindeal, Nocrich, Marpod (wo Sporschill wohnt) und Casol, sowie in der Großstadt Sibiu/Hermannstadt. Die "elijah"-Projekte umfassen etwa eine Landwirtschaft, eine Gärtnerei oder Werkstätten. Es gibt Berufsausbildungen, Musikschulen, Tagesschulen und ein Internat.
Dem aus Vorarlberg stammenden Georg Sporschill waren seit seiner Studentenzeit "die Schwierigen ans Herz gewachsen". Er trat mit 30 in den Jesuitenorden ein, war Redakteur der Zeitschrift "Entschluss", Motor einer großen Jugendbewegung und organisierte in Wien das Caritas-Jugendhaus in der Blindengasse, den Canisibus zur Essensverteilung an Armuts-Hotspots sowie das sozialökonomische Arbeitsmarktprojekt "Cafe Inigo" in der Wiener Innenstadt. Der Orden sandte ihn 1989 nach Rumänien. Von 1989 bis 2011 leitete Sporschill den Verein "Concordia", der sich der Arbeit mit Straßenkindern in mehreren Ländern Osteuropas widmet. Die kleine Initiative wuchs zu einem Werk mit 600 Angestellten und Mitarbeitern.
Als er von seinem Orden 1989 nach Bukarest entsandt worden sei, habe es geheißen - so Sporschill im Interview - ,,dass ich sechs Monate bleiben soll. Es sind mehr als 30 Jahre geworden. Das hat niemand geplant."
Das Kind "Concordia" sei im Laufe der Jahre "erwachsen geworden". Sein "Vater" sah den Moment gekommen, es zu entlassen, um "nicht ein Manager zu werden". Es kam zu einer Übergabe der Leitung: "Freunde haben mich davon befreit und haben das Werk übernommen".
"Wo werde ich gebraucht, wo ist die Not am größten?"
Sein Ziel vor zehn Jahren sei gewesen, "in das Milieu zu gehen, wo die Straßenkinder herkommen - zu den überforderten und verwahrlosten Roma-Familien", so Sporschill. Leitfrage sei schon immer für ihn gewesen: "Wo werde ich gebraucht, wo ist die Not am größten?"
Geholfen habe die jahrzehntelange Beziehung zu dem in Siebenbürgen tätigen evangelischen Pfarrer und Schriftsteller Eginald Schlattner. Über ihn habe er eine Beziehung zu der Gegend vermittelt bekommen und viel "von der Schönheit und dem Elend" dort erfahren.
Die Dörfer seien teilweise entvölkert, weil die ursprünglichen Bewohner - Siebenbürger Sachsen - ab 1989 massenweise nach Deutschland gegangen seien. Roma seien zugezogen, wohnen aber außerhalb der Zentren, und man spreche von den "lustigen Vierteln", weil viel gesungen und getanzt werde. "So bin ich dort hingekommen - allerdings jetzt nicht mehr als Nummer Eins", erzählt Sporschill. Beim Roma-Projekt "elijah" ist nämlich die deutsche Religionspädagogin und frühere "Concordia"-Bereichsleiterin Ruth Zenkert die maßgeblich Verantwortliche.
Er sei "froh, mitmachen zu können", sagt Sporschill. Weil man "wirklich jeden Tag geistig- geistlich durchgewalkt" werde. Aber es gelte auch das Wort Martin Bubers: "Erfolg ist kein Name Gottes".
Viele stellen Frage: "Wie hältst du das aus?"
Viele stellten die Frage: "Wie hältst du das aus?" Die Antwort sei, dass "niemand mich mehr zum Beten gebracht hat als die Obdachlosen, die Straßenkinder, die Roma". Sie hätten Gottnähe, "warum weiß ich nicht". Es gelte das Wort Jesu: "Du hast es den Weisen und Klugen verborgen, den Unmündigen aber offenbart." Was in der Randgruppen-Arbeit spürbar werde sei, "dass Gott auch dem letzten Loser noch eine Chance gibt".
Sporschill erzählt Beispiele: "Wenn ich in ein Dorf komme, fragen mich oft die Roma-Familien: Wann ist Gottesdienst? Das fragen sie, bevor sie etwas zu essen oder materielle Hilfe bekommen. Oder eine Familie mit elf Kindern: Man weiß nicht, wer der Vater ist, sie leben in einer Hütte, drunter und drüber, Missbrauch, Alkohol, Gewalt, alles ist da. Zwei von diesen Kindern leben mit uns in unserer Gemeinschaft. Die ältere, sie ist zehn, liest wunderbar. Sie wollte immer beim Morgengebete das Evangelium lesen, und sie tut das jetzt, und sie erklärt uns das Evangelium. Und in der Schule ist sie - obwohl ihr ein paar Jahre gefehlt haben - die beste Leserin: Die führt unser Morgengebet, auch wenn Gäste aus dem Westen da sind. Die lernen dann alle von diesem Mädchen mit diesem Hintergrund Gemeinschaft und Beten. Die meisten Geschwister leben dagegen sehr verwahrlost, an der Grenze zur Kriminalität. Da leuchtet aus einem Misthaufen die schönste Blume heraus!"
Zu "elijah" in Siebenbürgen kommen seit dem Abklingen der Pandemie wieder verstärkt Volontäre, hauptsächlich aus Österreich und Deutschland. "Ich erlebe, dass es hier eine tolle Jugend gibt", sagt Pater Sporschill. Er könne sich Klagen über ausufernden Materialismus in der Jugend nicht anschließen. "Die meisten Jugendlichen, die kommen, sind allerdings kirchenfern. Kirche ist für sie kein Thema. Es wird in Rumänien aber wieder ein Thema, und die Lehrer in dem Fach sind die Roma." Sie seien tief religiös. So habe ihn einmal ein Kind extra deshalb aufgesucht, weil es einen Atheisten identifiziert habe. "Pater komm, dieser Volontär hat gesagt, dass er nicht an Gott glaubt", habe das Mädchen gerufen.
Brot geben und Sinn empfangen
Sporschill fällt dazu ein Wort von Viktor Frankl ein: Wenn ich Brot gebe und dafür Sinn empfange - ist das nicht ein gutes Geschäft? Dass die Kirche im Westen einstmals blühende Werke schließen müsse, könne er verstehen, sagt Sporschill. Dies dürfe aber nicht ein Schlussstrich sein. Es müsse gelten: "Wer einen Baum fällt, muss fünf neue pflanzen". Weil dann zumindest einer der neu gepflanzten überleben werde.
Denn - so der Vorarlberger Jesuit -: "Gott erschafft ständig Neues, wie es schon beim Propheten Jesaja heißt: 'Ich erschaffe jetzt etwas Neues, schon wächst es heran, merkt ihr es nicht?''' (Jes. 43, 19). Was es dafür brauche seien "Mut, Neugier und die Lockerheit der Jugend".
Als Beispiele für diese Eigenschaften nennt Sporschill Kardinal Carlo Martini, Karl Rahner und Kardinal König. "Sie haben keine Angst gehabt, und sie haben geschaut: Wo wächst das Neue?" Karl Rahner habe, wenn er in Wien gewesen sei, immer im Jugendhaus Blindenhaus übernachtet, "und da mussten dann auch die Professoren hin". Kardinal König habe bei seinem Bukarest-Besuch im Straßenkinderhaus gewohnt, "und der Nuntius hat auch hinfahren müssen".
Oder Caritas-Präsident Leopold Ungar (1912-1992): "Er hat mir, ohne irgendein Papier, ein leer stehendes Altersheim in der Wiener Blindengasse übergeben und nur gesagt: Du kümmerst dich um Obdachlose und Strafentlassene, probier's! Ohne irgendeine Vorschrift; es war zuerst ein Haus, und später auch weitere Häuser."
Neues habe immer Gefährliches an sich, erinnert Pater Sporschill: "Aber nix probieren bedeutet: es kann nix werden." Und Neues lasse sich nicht organisieren. Was es brauche sei "ein Verrückter, und ein zweiter Verrückter, der unterstützt".
(Informationen zum Roma-Hilfswerk in Siebenbürgen: www.elijah.ro; Spendenkonto/IBAN: AT66 1630 0001 3019 8724)