Wiener Alttestamentler bei Abschiedsvorlesung: Historisch-kritische Auslegung allein geht an eigentlicher Intention biblischer Schriften vorbei - Würdigung durch Kardinal Schönborn zum Abschied - Festschrift überreicht
Wien, 30.06.2022 (KAP) Kritik an einer heute oft einseitigen Bibelauslegung hat der Wiener Alttestamentler Prof. Ludger Schwienhorst-Schönberger geäußert. Die heute gängige Methode einer historisch-kritischen Interpretation biblischer Texte unterschlage die Frage der "Inspiration" der biblischen Autoren ebenso wie jene des Lesers. Erst wenn man die Bibel als "inspirierte Schrift" verstehe, könne sie tatsächlich zu einer "Quelle der Theologie" werden, betonte Schwienhorst-Schönberger bei einem Vortrag am Mittwochabend in Wien. Dabei gehe es ihm nicht darum, die eine gegen die andere Lesart auszuspielen, sondern vielmehr um eine "Unterbrechung" gängiger Methoden und den Wechsel in einen anderen "Modus".
Die Vorlesung war zugleich seine Abschiedsvorlesung und eingebettet in einen Festakt samt Überreichung einer eigenen Festschrift. Der 1957 im deutschen Lüdinghausen geborene Schwienhorst-Schönberger war seit 2007 Professor für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte liegen u.a. im Bereich der Bibel-Theologie und -Hermeneutik, in der Geschichte der Schriftauslegung sowie in der Alttestamentlichen Rechts- und Weisheitsliteratur.
Wenn das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) in der Offenbarungskonstitution "Dei verbum" festhalte, dass die Bibel Gotteswort in Menschenwort sei, so meine sie genau dies: weder eine einseitig historisch-kritische Auslegungspraxis, noch eine rein bzw. allein spirituelle Auslegung. "Sowohl der Historismus als auch der Spiritualismus führen dazu, dass die Bibel als Quelle der Theologie weitgehend ausfällt", so Schwienhorst-Schönberger. Auch genüge es nicht, der klassischen kritischen Methode eine "spirituelle Übermalung" zu geben, handele es sich dabei doch meist ohnehin nur "um die sekundäre Applikation persönlicher theologie- oder kirchenpolitischer Vorlieben".
Man müsse vielmehr der Ruhe und Meditation, mithin der christlichen Mystik neuen Raum geben. Sie kenne und berücksichtige etwa das alttestamentliche Bilderverbot, das es verbiete, interpretatorisch generierte Bilder absolut zu setzen und "anzubeten", ohne die Möglichkeit von Zwischentönen. Dies sei im Übrigen durch "Dei verbum" gedeckt, werde dort doch nicht nur auf eine kritische Erforschung der Absichten der biblischen Autoren gedrängt, sondern mit einem in der Konzilsrezeption nicht selten unterschlagenen "et" (und) hinzugefügt, dass ebenso zu einem umfänglichen Bibelverständnis die Erforschung dessen dazugehöre, "was Gott durch ihre Worte kundzutun beschloss" (DV 12). Anders gesagt: Es gilt "sorgfältig zu erforschen, was die heiligen Schriftsteller wirklich zu sagen beabsichtigten und (...) was Gott mit ihren Worten kundtun wollte".
Würdigung durch Kardinal Schönborn
Im Anschluss an die Vorlesung wurde Schwienhorst-Schönberger noch die von Georg Braulik, Agnethe Siquans und Jan-Heiner Tück herausgegebene Festschrift "Dein Wort ist meinem Fuß eine Leuchte" überreicht. In einem Vorwort der Festschrift würdigt der Wiener Erzbischof, Kardinal Christoph Schönborn, das theologische Wirken Schwienhorst-Schönbergers. Die Einsicht des Kirchenvaters Hieronymus - "Die Schrift nicht kennen, heißt Christus nicht kennen" - könne als "Lebensmotto und Arbeitsethos" Schwienhorst-Schönbergers gelten. "All sein Wirken als Alttestamentler ist letztlich darauf ausgerichtet, durch die Auslegung der Heiligen Schrift zu einer immer tieferen Erkenntnis Christi zu gelangen". Mit seinen Studien und Arbeiten habe er schließlich dazu beigetragen, "die Heilige Schrift in ihrer existenziellen Tiefe und ihrer spirituellen Bedeutung für das Leben der Menschen heute zu erschließen", so Schönborn.
Ludger Schwienhorst-Schönberger wurde 1957 in Lüdinghausen (Deutschland) geboren. Er studierte von 1976 an Philosophie, Theologie und Erwachsenenpädagogik an den Universitäten in München und Münster sowie in Jerusalem. 1989 promovierte er mit einer Arbeit zum Thema "Das Bundesbuch". 1992 habilitierte er sich an der Universität Münster mit einer Arbeit über das Buch Kohelet. 1993 wurde er Professor für Alttestamentliche Exegese und Hebräische Sprache an der Universität Passau.
Im Jahr 2007 folgte Schwienhorst-Schönberger einem Ruf an die Universität Wien, wo er bis heuer den Lehrstuhl für Alttestamentliche Bibelwissenschaft innehatte. 2021 wurde ihm für seine Verdienste der Joseph-Ratzinger-Preis verliehen. Zudem ist Schwienhorst-Schönberger Mitglied der Theologischen Kommission der Österreichischen Bischofskonferenz. (Infos: https://bibelwissenschaft-ktf.univie.ac.at/ueber-uns/mitarbeiter/schwienhorst-schoenberger-ludger)