"Jugend Eine Welt"-Nothilfekoordinator Wolfgang Wedan nach Rückkehr von Ukraine-Transport: Caritas und Ordensgemeinschaften gehören zu den wichtigsten Playern bei der humanitären Hilfe vor Ort
Wien, 18.01.2023 (KAP) Tief beeindruckt vom Wirken der römisch-katholischen Kirche im orthodox dominierten Süden der kriegsgeplagten Ukraine hat sich ein ausgewiesener Profi für Katastrophenhilfe aus Österreich, Wolfgang Wedan, geäußert. Die in den sonst zahlenmäßig kleinen Gemeinden tätigen Priester, Ordensleute und freiwilligen Helfer "bleiben auch dann vor Ort, wenn Bomben fallen, organisieren Hilfe für die Notleidenden und leben wirklich vor, was christliche Nächstenliebe ist. Das sieht und spürt man auch an der enormen Dankbarkeit der Bevölkerung", berichtete der Nothilfekoordinator von "Jugend Eine Welt" am Mittwoch im Gespräch mit Kathpress über die Eindrücke seines jüngsten Besuchs in Odessa im Jänner.
Wedan besitzt jahrzehntelange Erfahrung als Nothelfer, koordinierte in seiner Laufbahn bereits für verschiedenste NGOs Einsätze - wie etwa nach dem Tsunami 2004 in Sri Lanka oder später nach Erdbeben in Sumatra, Haiti und Ecuador - sowie auch Indigenen- und Straßenkinderprojekte in Venezuela, wohin er demnächst für zwei Jahre aufbricht. In den vergangenen Tagen brachte der gebürtige Steirer mit seinem Kollegen Konrad Fentzloff drei Hilfs-LKWs in die Südukraine sowie nach Moldawien. An Bord waren Paletten von Medikamenten und Lebensmitteln, 1.000 Paar "Waldviertler"-Schuhe und 1.500 Nothilfe-Pakete mit Familien-Wochenrationen an Öl, Reis, Nudeln, Haferflocken, Salz, Cerealien und Vitaminen, weiters auch Weihnachtspakete für Kinder und schließlich medizinisches Equipment für das von "Jugend Eine Welt" unterstützte Kinderspital in Odessa.
Während die Ostukraine und die im Norden gelegene Hauptstadt Kiew von vielen Hilfsorganisationen aus aller Welt angesteuert wird, sind laut Wedan im südlich an der Schwarzmeerküste gelegenen Metropole Odessa und in der Region ostwärts davon nur wenige NGOs aktiv. Die wichtigsten Akteure seien dabei österreichische Hilfswerke: "Caritas, Concordia und 'Jugend Eine Welt', teils in Zusammenarbeit mit der Aktion 'Nachbar in Not'", zählte der Nothilfe-Experte auf.
Helfen inmitten der Bomben
Zugute kommen diesen Initiativen vor allem die schon bestehenden Hilfsstrukturen der Kirche vor Ort. Neben der Caritas sind mehrere Ordensgemeinschaften - darunter Franziskaner, Salesianer und die Don-Bosco-Schwestern - in den Regionen Odessa, Mykolajiw und Cherson die Projektpartner. "Es ist gigantisch, was die Kirche in der Unterstützung der am meisten vom Krieg betroffenen Menschen in den Städten und auch Dörfern leistet, besonders auch für Binnenflüchtlinge sowie für die zurückgelassenen Alten", so Wedan. Von Flüchtlingsquartieren, Lebensmittel- und Kleiderausgaben, Suppenküchen und Wärmestuben über die Führung von Schulen und Spitälern bis zur Unterstützung bei der Reparatur von Privathäusern reichen die inmitten des Krieges gebotenen Hilfen.
Wie weit der Einsatz der Priester und Ordensleute, die auf ihre eigene Flucht verzichtet haben, geht, bekam Wedan in den vergangenen Tagen in Odessa selbst zu spüren. Gerade als er im Büro von Diözesanbischof Stanislaw Szyrokoradiuk - der selbst Franziskaner ist - herzlich empfangen wurde und man nach einer Projektbesprechung für ein gemeinsames Foto posierte, ging die Luftalarm-Ankündigung eines Raketenangriffs los. "Man bekommt dabei schon eine Gänsehaut", gestand der Experte. Dennoch seien in Odessa Luftalarme nach elf Monaten Krieg längst Normalität geworden. "Da die Metropole eine funktionierende Luftabwehr hat, kümmert die Bewohner das Sirenengeheul nicht mehr stark. Nur bei plötzlichem auf- und abschwellendem Alarm verschwinden alle Menschen fluchtartig in die Luftschutzkeller."
Trinkwasserkrise steht bevor
Auch wenn Odessa als sicher gilt, sind die Vorstädte von den anhaltenden russischen Raketen- und Drohnenangriffen bereits stark in Mitleidenschaft gezogen, allen voran die kritische Infrastruktur. "Die Elektrizitätswerke sind zerstört, jedoch zunehmend auch die Wasserwerke. Die Bewohner Odessas - und mit ihnen auch die derzeit 100.000 hier lebenden Binnenflüchtlinge - werden daher schon bald ein Problem mit dem Trinkwasser haben. Da sich viele keine gekauften Wasserflaschen leisten können, greifen sie zu kontaminierten Wasser - weshalb in der Stadt eine Gesundheitskrise unmittelbar bevorsteht", warnte Wedan, der schon in mehreren Katastropheneinsätzen mit der Wasseraufbereitung betraut war.
Jedoch auch die ständigen wiederkehrenden Ausfälle von Strom - und damit auch des Internets und sonstiger Kommunikation sowie der Heizungen - machen der Stadt und ihren Bewohnern zu schaffen; weiters die fehlenden Arbeitsmöglichkeiten: "Die Arbeitslosigkeit ist extrem hoch, auch die Preise für Lebensmittel und Kleidung. Die Stadt unterstützt die Menschen stark, doch werden ihr die Mittel dazu bald ausgehen", so Wedans Eindruck. Hinsichtlich der medizinischen Lage ist laut dem Nothilfekoordinator die Versorgung mit Medikamenten an Spitälern stabil, zumal die ukrainischen Pharmafirmen die Herstellung wieder aufgenommen haben. Bei medizinischen Produkten oder Ersatzteilen medizinischer Geräte sei die Ukraine jedoch "extrem angewiesen auf Hilfslieferungen aus dem Westen".
Durchhalten in Angst
Zumal der jüngste "Jugend Eine Welt"-Transport mit dem orthodoxen Weihnachtsfest am 6./7. Jänner zusammenfiel, wurden die 1.800 von einem bayrischen Spender gepackten Weihnachtspakete besonders freudig in Empfang genommen, berichtete der "Jugend Eine Welt"-Helfer. "Weihnachten zu feiern ist in Kriegszeiten wichtig. Man hat plötzlich in den Kinderaugen wieder ein wenig Glanz und Lächeln gesehen - jene Lebensfreude, die der Bevölkerung im vergangenen Jahr sonst weitgehend abhandengekommen ist. Es ist so, wie man sagt: Angst frisst die Seelen auf", so der Eindruck Wedans aus seinen bereits sieben Odessa-Besuchen seit vergangenem März, als er einen halbjährigen Einsatz bei den Salesianern Don Boscos in der unweit gelegenen moldawischen Hauptstadt Chisinau begann.
Auch wenn man sich in der Ukraine darauf einstelle, dass der Krieg wohl noch lange dauern wird, sei der Zusammenhalt der Bevölkerung angesichts der großen Not enorm, berichtete Wedan. In Odessa zeige sich dies etwa an der weiterhin enormen Aufnahmebereitschaft für Flüchtlinge aus den ländlichen und von Russland besetzten Gebieten, sowie auch an der Solidarität mit der Ukraine selbst vonseiten der Stadtbewohner mit russischer Abstammung. "Man hilft sich gegenseitig wo man nur kann, stärkt einander und will den Krieg gemeinsam als Ukraine durchstehen. Ich habe nie bemerkt, dass irgendjemand ans Aufgeben denkt."
Spenden weiter wichtig
Für das Überleben wie auch für die Moral der Bevölkerung wichtig sei in dieser Situation die internationale Solidarität. Dass die Spendenbereitschaft mit fortschreitender Dauer des Krieges abgeflaut sei, hält Wedan für eine normale Entwicklung. Nicht bedeutend genug einzuschätzen seien daher Firmenspenden, die zu 100 Prozent absetzbar sind, sowie Signale wie die von der Bundesregierung angekündigte Verdoppelung der "Nachbar in Not"-Spenden und auch die vereinfachte Möglichkeit für Hilfswerke, sich für die Beteiligung an der nationalen Hilfsaktion zu akkreditieren. "Bei 'Jugend Eine Welt' erleben wir sowohl Großspender als auch, dass manchmal Kinder fünf Euro von ihrem Taschengeld hergeben. Jede Spende hilft", so der Nothilfeexperte.