TU-Wien-Experte Harald Frey sieht in "Sonntag"-Interview Flächenwidmungen, Förderung des öffentlichen und Fahrradverkehrs und weniger Tempo im Straßenverkehr als Ansatzpunkte
Wien, 24.08.2023 (KAP) Mobilität müsste viel ökologischer gestaltet werden, um der Klimaerwärmung Einhalt zu gebieten: Verkehrsplaner Harald Frey nannte im Interview der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" (Ausgabe 20. August) die Flächenwidmungspolitik, die Förderung des öffentlichen Verkehrs, den Ausbau der Radinfrastruktur und eine Temporeduktion im Straßenverkehr als Ansatzpunkte für Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit. Die Elektromobilität sieht Frey dabei "ganz und gar nicht" als Allheilmittel, dennoch werden man nicht um sie herumkommen, wenn es um die Reduktion des Kohlendioxid-Ausstoßes geht.
24 Millionen von insgesamt 77 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß gehen pro Jahr auf das Konto des Verkehrssektors, zwei Drittel davon auf den Personenverkehr, ein Drittel auf den Güterverkehr, erklärte der am Forschungsbereich für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Wien tätige Wissenschaftler. Zwei Drittel der individuell zurückgelegten Wege würden beim Wohnort beginnen und enden, die Gegebenheiten rundum maßgeblich die Verkehrsmittel bestimmen. Wesentlich dabei ist laut Frey die Siedlungs- und Flächenwidmungspolitik einer Gemeinde. "Wenn ich nicht rund um den Bahnhof oder eine Bushaltestelle bauen lasse, sondern irgendwo fernab, nur weil es gerade dort opportun ist, dann brauche ich mich nicht wundern, dass die Leute nachher mit dem Auto unterwegs sind und vielleicht noch einmal viel Fläche für Park-and-Ride-Anlagen in größeren Gemeinden oder bei Bahnhaltestellen benötigen." Das alles beschleunige außerdem den Bodenverbrauch.
Es sei auch viel sinnvoller, eine alte Dorfschule zu erhalten, als die Schüler mit einem Postbus auf der ausgebauten Landesstraße täglich in die Nachbargemeinde zu führen und wieder zurückzubringen. Gerade in den ländlichen Regionen sei der öffentliche Verkehr in den letzten Jahrzehnten gegenüber dem Straßenverkehr stark benachteiligt worden, nannte der Experte die Einstellung von Regionalbahnen als Beispiel.
Autos verlangsamen, Fahrräder fördern
Eine wirksame Maßnahme zur Reduzierung der Treibgasemissionen könnte - wie vom Umweltbundesamt in zahlreichen Studien bewiesen - die Einführung von Tempolimits sein. "Vor allem 80 km/h auf Freilandstraßen halte ich für ganz maßgeblich", so Frey. Denn der Anteil der Landesstraßen, wo wirklich Tempo 100 gefahren werden kann, liege "marginal im einstelligen Prozentbereich".
Auch eine massive Förderung des Radverkehrs wäre wünschenswert. Der Mobilitäts-Fachmann gab dazu ein "Gedankenspiel: Der Supermarkt in der Nachbargemeinde liegt eineinhalb oder zwei Kilometer entfernt, eine bequeme Radfahrerdistanz. Aber da es keinen Radweg gibt, nur eine Landstraße mit Tempo 100, werde ich an einem Herbstabend um 17:30 Uhr wahrscheinlich nicht neben dem vorbeirauschenden LKW mit dem Fahrrad fahren, obwohl die Distanz so kurz wäre."
Dass E-Autos als nationaler Beitrag zur Reduktion der CO2-Emissionen gesehen werden, "mag in Österreich noch funktionieren, weil wir einen nachhaltigen Strommix im Gegensatz zu Deutschland oder Polen haben", führte Frey weiter aus. Zu behaupten, dass 2,8-Tonnen-Fahrzeuge werbetechnisch mit "Null Gramm CO2" herumfahren, sei "ein bisschen eine Greenwashing-Geschichte". Der Elektromotor sei zwar etwa dreimal effizienter als ein Fahrzeug mit einem konventionellen Verbrennungsmotor. Doch dieser Vorteil verpuffe, wenn das E-Auto drei Tonnen im Vergleich zum eine Tonne schweren Verbrennerauto wiegt.
Das nutzen, was schon da ist
Zudem sei zu berücksichtigen, dass es viel "graue Energie" kostet, wenn alles neu produziert werden muss, so Frey. "Ich bin ein Anhänger davon, in erster Linie das zu nutzen, was schon da ist, bevor Dinge neu gebaut werden. Wenn ein Fahrzeug schon 200.000 Kilometer gefahren ist, warum soll es nicht noch einmal 200.000 Kilometer fahren? Das ist für die Ökobilanz noch immer besser, als wenn ich jetzt ein zweieinhalb Tonnen schweres Elektroauto produziere und damit herumfahre. Ich muss schon sehr viele Kilometer zurücklegen, damit sich das amortisiert."
Die anhaltende Begeisterung für das Automobil erklärte Frey damit, dass es ermögliche, lange Strecken mit ganz hohen Geschwindigkeiten ohne nennenswerten Körperenergieaufwand zurückzulegen. "Das gab es noch nie in der Evolution und das fasziniert uns maßgeblich." Lange Zeit habe man die historischen Städte in Europa an das Auto angepasst und dementsprechend umgebaut. Aus diesen Fehlern gelte es zu lernen, um die Klimawende zu schaffen.