Abt der Jerusalemer Dormitio-Abtei, Nikodemus Schnabel, bei ICO-Jahrestagung in Salzburg: Christen in Israel schwer in Bedrängnis, trotzdem hat gerade das Christentum das Potenzial zu Versöhnung - Demokratie in Israel in Gefahr
Salzburg, 26.09.2023 (KAP) Die kleine christliche Minderheit im Heiligen Land kann zwar sicher nicht die Funktion eines Brückenbauers zwischen Juden und Muslimen übernehmen, dafür könnte aber ein Christentum, dass intern die Zusammenarbeit und Solidarität stärkt, Vorbildfunktion für die gesamte Region haben. Das hat P. Nikodemus Schnabel, Abt der Jerusalemer Dormitio-Abtei, bei seinem Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der "Initiative Christlicher Orient" (ICO) in Salzburg betont. Er wolle trotz der schwierigen Situation für die christliche Minderheit vor Ort, die sich mit der neuen israelischen Regierung dramatisch verschärft habe, Zuversicht vermitteln, so der deutsche Benediktiner.
Die christliche Vielfalt im Land sei noch viel stärker ausgeprägt, als man gemeinhin glaube, und das unter verschiedensten Aspekten: So kämen etwa zu den 13 etablierten Kirchen der katholischen, orthodoxen oder orientalischen Traditionen noch zahlreiche Kirchen der reformatorischen Tradition und der Freikirchen. Die Christen würden in den verschiedenen Regionen Israels, im Westjordanland, in Jerusalem oder im Gaza-Streifen auch in ganz unterschiedlichsten politischen Kontexten leben.
Allein die katholische Bischofskonferenz haben neben römisch-katholischen Geistlichen auch Mitglieder der Maronitischen, Syrisch-katholischen und Melkitischen Griechisch-katholischen Kirche. Gottesdienst gefeiert werde in verschiedensten Riten, diskutiert in mehreren Sprachen.
Zu den alteingesessenen Christen, den "Profi-Christen" aus dem Westen, die sich zu einem Leben im Heiligen Land entschlossen hätten und wozu der Abt etwa auch sich selbst zählte, und zu weiteren Millionen von christlichen Pilgern und Touristen aus aller Welt kämen auch noch rund 100.000 katholische Arbeitsmigranten und Asylwerber.
In der Vielfalt und Buntheit des Christentums stecke enormes Potenzial, zeigte sich der Abt überzeugt. Die entscheidende Frage sei, ob es den Christinnen und Christen gelinge vorzuleben und vorzuzeigen, "wie es gelingen kann, Versöhnung zu leben und Mauern zu überwinden" - Mauern von denen es im Heiligen Land viel zu viele gebe.
Die komplexe und schwierige Situation im Heiligen Land sei zudem auch der Lackmustest für jede christliche Theologie, die sich vor dem ökumenische, interreligiösen und politischen Hintergrund auf ihre Relevanz und Praxistauglichkeit hin bewähren müsse.
100.000 katholische Migranten
Immer wieder kam Schnabel im Laufe seines Vortrags auf seine frühere Aufgabe als Patriarchalvikar für die rund 100.000 katholischen Migranten bzw. Asylwerber zu sprechen. Der Großteil dieser Menschen kommt von den Philippinen, aus Indien und Sri Lanka. Sie würden in Israel schlicht ausgebeutet, immer wieder sprach Schnabel von "Sklavenarbeit" bzw. "modernen Sklaven".
Der tiefe Glaube der Migranten bereichere ihn auch persönlich enorm, bekannte der Ordensmann. Ein Riesenproblem für viele seiner Gläubigen sei die mangelnde Religionsfreiheit. Viel Arbeitgeber würden es den Migranten schwer machen, Gottesdienste zu besuchen. Schnabel: "Wenn ich sehe, wie diese Menschen unter widrigsten Bedingungen ihren Glauben leben, dann wird mir bewusst, dass diese Migranten näher an Gott sind als ich." Er habe eine privilegierte Situation, seinen Glauben zu leben. Diese Menschen aber hätten eine Arbeitssituation, wo sie vielleicht alle 14 Tage ein paar Stunden frei haben. "Und diese wenige Zeit nutzen sie dann, um in die Kirche zu gehen." Als Beispiel nannte Schnabel Gottesdienste mit indischen Katholiken, immer am Dienstag um 23 Uhr in einem Karateklub. Ein Ort und ein Zeitpunkt, zu dem die Arbeitgeber nicht vermuten würden, dass sie einen Gottesdienst feiern.
Ein paar weitere Vorgaben für die Migranten, die nur zum Arbeiten in Israel gleichermaßen geduldet wie gebraucht werden: Eine Migrantin, die in Israel schwanger wird oder ein Kind gebiert, wird laut Gesetz automatisch illegal. Gleiches gilt für Migranten, die heiraten. Man wolle, dass diese Menschen in Israel bloß auf Zeit hart arbeiten und wolle keine längerfristigen Bildungen erlauben. Unter der aktuellen Regierung werde die Situation für die Migranten sicherlich noch viel schlimmer, befürchtete Schnabel.
Der Abt plädierte dafür, dass diese Menschen noch viel stärker als bisher als wesentlicher Teil des Christentums des Heiligen Landes wahrgenommen und integriert werden. Der Kontakt zu den einheimischen Christen müsse gestärkt werden. "Wenn Sie die Leute sehen, die in Tel Aviv auf dem Flughafen die Toiletten putzen, dann sind das unsere katholischen Geschwister aus Indien. Wir haben die gleiche Taufe. Wir sind eine Familie. Was bedeutet das denn eigentlich?", so die kritische Anfrage des Ordensmannes.
Angriffe auf Christen
Die zuletzt so dramatisch zunehmenden Anfeindungen und Übergriffe gegen Christen in Israel wollte Schnabel zwar nicht in den Mittelpunkt seiner Ausführungen stellen, sie waren letztlich aber doch auf Anfrage ein dominierendes Thema. Schnabel zeigte sich sehr besorgt, dass Israel gleichsam auf der Kippe stehe, das demokratische System Israels sei ernsthaft in Gefahr. Jüdische Rassisten und Schwerstkriminelle würden Ministerämter in der aktuellen Regierung bekleiden. Die Regierung sei in Teilen rechtsradikal. Ihre Ideologie nenne man Kahanismus.
Der Dormitio-Abt nannte ein Beispiel, das für seinen Orden sehr bedrückend war und es bis heute ist: Auf das zweite Kloster der Benediktiner in Tabgha am See Genezareth wurde 2015 ein Brandanschlag verübt. Der Fall konnte aufgeklärt werden, die Brandstifter wurden vor Gericht gestellt. Der Anwalt, der die Brandstifter verteidigte, beleidigte die Ordensleute während des Prozesses aber auf übelste Weise, und dieser Mann sei Itamar Ben-Gvir gewesen, der jetzt Minister für Nationale Sicherheit sei.
Schnabel verwies weiters auf den 2018 verstorbenen israelischen Intellektuellen und Friedensaktivisten Amos Oz. Dieser habe jene jüdischen Extremisten, die Leute anderer Religionen attackieren, "jüdische Neonazis" genannt, weil sie öffentlich skandieren: "Israel den Juden. Nichtjuden raus."
Christenhass habe es bis zu einem gewissen Ausmaß immer schon gegeben. Das jetzige Ausmaß sei in der Geschichte aber beispiellos. "Wurde ich früher in den Straßen von Jerusalem vielleicht einmal in drei Monaten angespuckt, so passiert es heute viermal am Tag", so Schnabel. Die Politik der Regierung enthemmt die Extremisten. Freilich wolle er zugleich auch sagen, dass die Solidaritätsbekundungen von anderer jüdischen Seite mit den bedrängten Christen zugenommen hätten.
Scharf wies der Abt Stimmen zurück, wonach im Heiligen Land die Religionen das Problem seien. Gerade Religionsführer, darunter auf zahlreiche Rabbiner, würden sich um Versöhnung bemühen und würden gegen die Hetzer auftreten. Das Problem bestehe vielmehr darin, dass derzeit "die Politik religionisiert wird", so Schnabel.
Im Blick auf Jerusalem bekräftigte Schnabel einmal mehr seine Position: Es sei die beste Lösung, Jerusalem als "internationale Stadt unter UNO-Verwaltung zu stellen, die der gesamten Menschheit gehört. Dies sei eigentlich schon 1947 im UN-Teilungsplan beschlossen worden.
Die ICO-Jahrestagung am 25./26. September in Salzburg steht heuer unter dem Generalthema "Christentum im Heiligen Land - Gegenwart und Zukunft". Abt Schnabel hielt Montagabend den öffentlichen Hauptvortrag. Einleitende Grußworte sprachen der Salzburger Erzabt Korbinian Birnbacher und der stellvertretende Obmann der Salzburger Pro Oriente-Sektion, Robert Luckmann. Die ICO-Jahrestagung in Salzburg findet stets in Kooperation mit der Salzburger Sektion der Stiftung "Pro Oriente" statt.