Lutherischer Bischof Azar informierte bei ICO-Jahrestagung in Salzburg über schwierige Lage der christlichen Minderheit im Heiligen Land
Salzburg, 26.09.2023 (KAP) Die Bedrängnis von außen hat die Christen bzw. Kirchen im Heiligen Land einander näher gebracht. Das hat der lutherische Bischof Sani Ibrahim Azar am Dienstag in seinem Vortrag bei der Jahrestagung der "Initiative Christlicher Orient" (ICO) in Salzburg betont. Der Bischof verwies auf die zahlreichen tätlichen Angriffe auf Christen und christlichen Einrichtungen oder auch auf dubiose Immobiliengeschäfte in jüngerer Vergangenheit, bei denen kirchlicher Besitz verloren zu gehen drohe. Die Kirchen würden inzwischen geeint dagegen auftreten. Versuche bestimmter politischer Kräfte, einzelne Kirchen zu vereinnahmen und so die ökumenische Einheit zu spalten, würden zurückgewiesen, sagte der Bischof.
Die Christen seien nur mehr eine kleine Minderheit im Land, umso schwieriger sei es für die jungen Christinnen und Christen, noch Partner zu finden, so der Bischof weiter. Habe man früher noch eher innerhalb der eigenen Konfession geheiratet, so gebe es heute praktisch nur mehr gemischt-konfessionelle Familien. Zugleich sei auch die eucharistische Gastfreundschaft gewachsen, so der Bischof. Zumindest in Jerusalem. Die Lebensbedingungen für die Christen seien sehr schwer, umso mehr bemühe sich die Kirche auch, die Menschen etwa bei Jobs oder der Beschaffung von Wohnraum zu unterstützen.
Ein erfolgreiches ökumenisches Großprojekt, hinter dem alle 13 offiziellen Kirchen im Heiligen Land stehen, ist ein Buch für den christlichen Religionsunterricht, wie der Bischof weiter berichtete.
Da die christliche Präsenz im Heiligen Land aus vielerlei Gründen in Gefahr ist, warb der Bischof in seinem Vortrag auch für mehr Solidarität mit den einheimischen Christen: "Besuchen Sie das Heilige Land und besuchen Sie auch die Christen, die hier noch leben." Für deutschsprachige Pilgergruppen würde dies bedeuten, vielleicht auch einmal nicht den deutschsprachigen, sondern einen arabischsprachigen Gottesdienst zu besuchen, um so mit den einheimischen Christen in Kontakt zu kommen.
Sani Ibrahim Azar ist Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELKJHL). Der 1961 im Libanon geborene Azar ist Absolvent der evangelisch-lutherischen Schule in Bethlehem. Nach seinem Theologiestudium in München wurde er 1988 ordiniert. Er ist verheiratet und hat drei Kinder. Eine Tochter, Sally Azar, ist die erste Pastorin der ELKJHL. Nach seiner Tätigkeit als Jugendpfarrer war Azar 30 Jahre lang Pfarrer der evangelisch-lutherischen Erlöserkirche in Jerusalem. Zudem ist er Vizepräsident der deutschen evangelisch-lutherischen Schule "Talitha Kumi" in Beit Dschallah. Azar wurde 2017 zum Bischof gewählt und Anfang 2018 im Beisein der palästinensischen und jordanischen Behörden in Jerusalem ordiniert und in sein Amt eingeführt.
Die evangelische Präsenz im Heiligen Land hat Mitte des 19. Jahrhunderts ihren Anfang genommen. Die ELKJHL wurde 1947 als deutsche Missionskirche gegründet. 1959 wurde sie autonom und 1974 Mitglied im Lutherischen Weltbund. Sie hat rund 3.000 Mitglieder in sechs Gemeinden in Jerusalem, Ramallah, im Bezirk Bethlehem und in Amman (Jordanien) und ist Trägerin von vier Schulen und vier Bildungsprogrammen, in denen Christen und Muslime gemeinsam unterrichtet werden.
Segmentierte Gesellschaft
Wenig Erfreuliches über die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Heiligen Land hatte Georg Röwekamp, Leiter des Pilgerhauses Tabgha des Deutschen Vereins vom Heiligen Land (DVHL) am See Genezareth, zu bieten. Er sprach von einer zutiefst gespaltenen Gesellschaft bzw. einem Leben in Blasen. Das zeige sich etwa schon in vier parallelen Schulsystemen allein in Israel, dem orthodoxen, dem staatlich-zionistischen, staatlich-liberalen und arabischen. Diese vier Systeme bzw. die Kinder darin hätten keine Berührungspunkte. Es brauche deshalb viel mehr Möglichkeiten für die jungen Menschen, einander zu begegnen.
Die Christen seien keine einheitliche Größe. Im Norden Israels lebten beispielsweise viele arabische Israelis, darunter nicht wenige Christen, die Bürger Israels seien und Israel grundsätzlich durchaus positiv gegenüberstehen würden. Spätestens seit dem Nationalstaatsgesetz von 2018 würden sie sich aber als Bürger zweiter Klasse fühlen, was zu einem deutlichen Rückgang der Identifikation mit Israel geführt habe. In den arabischen Siedlungsgebieten im Norden habe zuletzt die Kriminalität massiv zugenommen, Polizeipräsenz sei praktisch kaum mehr vorhanden. Von der aktuellen israelischen Regierung werde diese Situation mutwillig herbeigeführt, um die Gemeinschaften vor Ort zu schwächen. Rund 135.000 Christen leben im Norden Israels.
Röwekamp sah keine kurz- oder mittelfristigen politischen Perspektiven für die gesamte Region. Die Gewalt in den besetzten Gebieten gehe weiter bzw. nehme zu, die radikalen Siedler hätten immer mehr Rückhalt in der aktuellen Regierung. Diese repräsentiere freilich nur einen Teil der israelischen Gesellschaft. Die anhaltenden Proteste gegen die Regierung zeigten zugleich, wie gespalten diese bereits sei, wobei auch die israelische Protestbewegung keine einheitliche Größe sei.
Auch in der Politik Palästinas sehe er keine Perspektiven. Die aktuelle Regierung unter Präsident Mahmud Abbas sei zutiefst korrupt und habe kaum noch Rückhalt in der Bevölkerung. Abbas werde oft nur mehr als "Bürgermeister von Ramallah" bezeichnet. "Es gibt also auch aus Palästina wenige zukunftsweisende politische Signale", so Röwekamp.
Trotz dieses weitgehend negativen Befundes könne man gerade im Blick auf das Heilige Land nicht bei diesem Pessimismus stehen bleiben, zeigte sich Röwekamp überzeugt. Er erinnerte daran, dass die ICO-Tagung zeitgleich mit dem jüdischen Versöhnungsfest Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, stattfand. Und nichts habe das Land mehr nötig als Versöhnung.
Gottesdienst mit Weihbischof Hofer
Eröffnet wurde der zweite Tag der ICO-Jahrestagung mit einem Gottesdienst in St. Virgil, dem der Salzburger Weihbischof Hansjörg Hofer vorstand. Er unterstrich in seiner Predigt die gemeinsame Mitte aller Christen: Jesus Christus. Diese Mitte verbinde alle Christen weltweit und so auch die Christen im Westen und jene im Orient. Aus dieser Mitte heraus würden die Christen auch füreinander Verantwortung tragen, so Hofer. Grußworte kamen am Dienstag auch vom französischen Hilfswerk Oeuvre d'Orient, einer Partnerorganisation der ICO, die ebenfalls im gesamten Orient tätig ist.
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