Theologe und Religionswissenschaftler: "Kirchen sind noch auf der Suche nach neuen Wegen der Glaubensweitergabe"
Budapest/Wien, 27.04.2023 (KAP) Auch in Ungarn sind aus religionssoziologischer Sicht Prozesse einer voranschreitenden Säkularisierung klar zu erkennen. "Wie in anderen europäischen Staaten schrumpft die Volksreligiosität, und die Kirchen sind noch auf der Suche nach neuen Wegen der Glaubensweitergabe", sagt der Theologe und Religionswissenschaftler András Máté-Tóth von der Universität Szeged der Nachrichtenagentur Kathpress.
Im Land zu beobachten sei aber auch eine tiefe Veränderung von Religiosität. Als einen Grund nennt der Wissenschaftler, dass eine emotionalisierende politische Massenkommunikation seit Jahren stark darauf setze, das Christentum zu einer Marke für bestimmte politische Einstellungen zu machen.
"Unabhängig von den Kirchen und einem fundierten Wissen über Religion, Evangelium oder die Perspektive des Christlichen wurde das Christentum - auch Katholizität und Protestantismus - so zu einem Merkmal für eine bestimmte politische Einstellung zu heiß diskutierten Themen", sagt Máté-Tóth. Bei der Flüchtlingskrise habe man dies ebenso beobachten können wie nun im Zuge des russischen Kriegs in der Ukraine. "Menschen, die sich mehr von der Regierungspolitik angesprochen fühlen, relativieren dann alles, was christlich ist", so der Forscher. - Papst Franziskus besucht Ungarn ab Freitag (28. bis 30. April).
Einen Grund für abnehmende Volksreligiosität sieht Máté-Tóth im Wegzug aus ländlichen Regionen in die Städte. "Dort verlieren die Menschen ihre Routine der Glaubenspraxis, den regelmäßigen Kirchgang, auch den lebendigen Kontakt mit den Großeltern, die noch eine volkskirchliche Religiosität bewahren." Die nachfolgende Generation der Enkelkinder habe dann gar keine Beziehung mehr zu religiösen Gebräuchen.
Während der Jahrzehnte des kommunistischen Regimes gab es in Ungarn praktisch keinen Religionsunterricht. Máté-Tóth rät jedoch zu Vorsicht, diese Zeit als Erklärungsmuster für fehlende Glaubensweitergabe heranzuziehen. "Man konnte etwa in den 1980er Jahren in Ungarn ziemlich frei über Religion sprechen." Zwar sei Religion vom Schulsystem ausgeschlossen gewesen; "die Kirchen waren aber aktiv, gerade unter Jugendlichen." Allerdings hätten sie Theologie und Religionspädagogik nicht erneuert. Der Religionswissenschaftler: "Sie haben nicht gelernt, mit Jugendlichen in deren heutiger Sprache zu kommunizieren."
Auf den bevorstehenden Besuch von Papst Franziskus im Land blickt Máté-Tóth nüchtern. Ungarns Kirche sei zu recht sehr stolz und freue sich darauf. Nachhaltige Auswirkungen für die Religiosität erwartet der Experte aber nicht. Für die meisten Ungarn sei der Papst vor allem eine berühmte Persönlichkeit, der sie im Prinzip positiv gegenüberstehen. "Sie sehen ihn als einen weltweit bekannten Opa, der viel lächelt und dem man gut zuhören und auch seinen Humor genießen kann."
Im Zuge der Flüchtlingskrise 2015/16 hätten manche politische Kommentatoren regierungsnaher Medien Franziskus öffentlich übel attackiert und auch Aussagen aus dem Kontext gerissen, erinnert der Religionsforscher. Mittlerweile gebe es in Ungarn aber kaum noch Kritik am Papst. Schon 2021 beim Eucharistischen Weltkongress habe man gesehen: Wenn der Papst da ist und zu den Leuten spricht, verstummten kritische Stimmen. "Die Persönlichkeit und die Gesten des Papstes siegen dann und übermitteln seine Botschaft über den liebenden Gott."
(Diese Meldung ist Teil eines Kathpress-Themenschwerpunkts zur Papstreise nach Ungarn. Alle Meldungen, Stichworte und Hintergrundberichte sind gesammelt abrufbar unter: www.kathpress.at/Papst-in-Ungarn)