Kardinalstaatssekretär Parolin: Abtreibung gehört nicht zur "sexuellen und reproduktiven Gesundheit" - Atomwaffen-Ächtung und Schuldenerlass für arme Länder gefordert
New York, 24.09.2024 (KAP) Vorbehalte gegen einzelne Passagen des am Sonntag verabschiedeten "Zukunftspakts" der Vereinten Nationen hat Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin bei der UNO-Vollversammlung in New York geäußert. Besonders gegen die darin enthaltenen Begriffe "sexuelle und reproduktive Gesundheit" sowie "reproduktive Rechte" erhebe der Vatikan Einspruch, sagte der Chefdiplomat des Papstes am Montag bei der sogenannten "High Level Week" der Staats- und Regierungschefs. Dass der Zukunftspakt und seine Anhänge angenommen worden seien, nehme der Heilige Stuhl jedoch zu Kenntnis.
Aus vatikanischer Sicht könnten die Begriffe "sexuelle und reproduktive Gesundheit" sowie "reproduktive Rechte" nur auf ein "ganzheitliches Gesundheitskonzept" angewendet werden, sagte Parolin. Dieses müsse die Person in ihrer Gesamtheit - mit Persönlichkeit, Geist und Körper - umfassen und solle jene persönliche Reife in der Sexualität und in der gegenseitigen Liebe und Entscheidungsfindung fördern, welche "die eheliche Beziehung zwischen einem Mann und einer Frau" charakterisieren. Die Abtreibung wie auch den Zugang zu Abtreibung oder Abtreibungsmitteln betrachte der Heilige Stuhl hingegen "nicht als Dimension dieser Begriffe".
Weiters betonte der vatikanische Diplomat, dass das "Geschlecht" vom Heiligen Stuhl verstanden werde "als auf der biologischen sexuellen Identität beruhend, die männlich oder weiblich ist".
Atomwaffen und Schuldenerlass
Auch auf weitere Punkte des Paktes ging Parolin ein und sprach sich für den Erlass der Auslandsschulden von Ländern des Globalen Südens sowie auch für die Ächtung von Atomwaffen aus. Das multilaterale System sei in einer Krise und das Vertrauen zwischen den Nationen erodiere angesichts der zunehmenden Konflikte, sagte der vatikanische Kardinalstaatssekretär. Wichtiger denn je sei es daher, etwas für "die Gleichheit und die souveräne Würde aller Nationen und die Schaffung von Vertrauen zwischen ihnen" zu tun.
Parolin erinnerte die UNO an ihr Ziel, die Armutsquote in der Welt spürbar zu senken, und zitierte Papst Paul VI. mit dem Diktum, der neue Name für Friede sei Entwicklung. "Eine friedliche und wohlhabende Zukunft erfordert den politischen Willen, alle möglichen Mittel einzusetzen, um eine nachhaltige Entwicklung zu erreichen", so der Kardinalstaatssekretär. Dazu gehörten "die Reform der internationalen Finanzinstitutionen, die Umstrukturierung der Schulden und die Umsetzung von Strategien zum Schuldenerlass".
Parolin forderte zudem neue Anstrengungen zur Abrüstung und "die vollständige Abschaffung der Atomwaffen". Dazu sei es notwendig, "engstirnige geopolitische Erwägungen beiseite zu lassen und starken wirtschaftlichen Lobbys zu widerstehen, um die Menschenwürde zu verteidigen und eine Zukunft zu garantieren, in der alle Menschen sowohl als Individuen als auch als Gemeinschaften in den Genuss einer ganzheitlichen Entwicklung kommen können".
Im Schwinden sah Parolin heute "das Gefühl, zu einer einzigen Menschheitsfamilie zu gehören". Auch der Traum, gemeinsam für Gerechtigkeit und Frieden zu arbeiten, scheine bereits überholt und utopisch - was jedoch nicht so sein müsste - "wenn der Wille zu einem echten Dialog vorhanden ist", so der Kardinalstaatssekretär.
Zur Künstlichen Intelligenz (KI) bemerkte Parolin, Technologie spiegle zwar die Ausrichtung auf die Zukunft wider, müsse jedoch dringend reguliert werden. Der Vatikan fordere einen "Regulierungsrahmen für KI-Ethik, der den Lebenszyklus von KI umfasst und sich unter anderem mit Datenschutz, Rechenschaftspflicht, Voreingenommenheit und den Auswirkungen von KI auf die Beschäftigung befasst".
Minimalkonsens für Reformen der UNO
Der seit Jahresbeginn verhandelte Zukunftspakt ("Pact for the future") war am Sonntag unter dem Motto "Multilaterale Lösungen für ein besseres Morgen" verabschiedet worden. In fünf Kapiteln werden dabei insgesamt 56 Punkte aufgelistet, wie zur Bewältigung der weltweiten Krisen und Konflikte der Multilateralismus gestärkt und die internationale Zusammenarbeit verbessert werden sollen. Zu den enthaltenen Absichtserklärungen gehören u.a. eine Reform des UNO-Sicherheitsrats, die Anpassung des internationalen Finanzsystems zugunsten des "Globalen Südens" und eine weltweite Regulierung von KI, zudem wendet sich der Text gegen ein Wettrüsten im Weltraum.
Die Verabschiedung des Paktes, der als Minimalkonsens gilt, erfolgte, nachdem sich Russland von dem Abkommen distanzierte und mit seiner Forderung nach einer festgeschriebenen Nichteinmischung der UNO in die inneren Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten nur von Belarus, Nordkorea, Iran, Nicaragua und Syrien unterstützt wurde. Dass die ursprünglichen sehr ambitionierten Erwartungen nicht umgesetzt wurden, hängt auch damit zusammen, dass die einflussreichen Vetomächte USA, Russland, China, Großbritannien und Frankreich nur ihre Außenminister oder gar deren Stellvertreter zum Gipfel geschickt hatten.