ICO-Libanon-Experte Maier im Kathpress-Interview: Menschen fürchten Krieg wie 2006 - Hilfe für aus Südlibanon Geflüchtete angelaufen, angesichts der dramatischen Wirtschaftskrise im Land aber extrem schwierig - Hilfswerke "Initiative Christlicher Orient" und "Kirche in Not" bitten um Spenden für Versorgung der Menschen
Linz/Beirut, 25.09.2024 (KAP) Im Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah sind bereits 150.000 Menschen aus dem Südlibanon vor den aktuellen israelischen Luftschlägen geflohen und müssen nun, so sie nicht nach Syrien flohen, in den zentralen und nördlichen Landesteilen versorgt werden. Für das kleine Land, das ohnehin schon mit der schlimmsten Wirtschaftskrise seiner Geschichte kämpft, eine ungeheure Herausforderung. Darauf hat der Libanon-Experte Stefan Maier vom Hilfswerk "Initiative christlicher Orient" (ICO) am Mittwoch im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress hingewiesen.
Eigentlich wäre im Libanon derzeit der Beginn des Schuljahres. Der Start wurde aber vom Ministerium verschoben; zum einen aus Sicherheitsgründen, zum anderen, weil man die Schulen für die Unterbringung der Flüchtlinge benötigt. Ca. 250 Schulen wurden bisher in Flüchtlingsunterkünfte umgewandelt. An der Hilfsaktion beteiligen sich auch bereits kirchliche Privatschulen. So öffneten etwa die Barmherzigen Schwestern in Beirut eine Schule für die Geflüchteten, so Maier. Die Lage sei freilich schwierig, denn den kirchlichen Schulbetreibern fehle es an Mitteln, die Menschen zu versorgen.
In seinen Gesprächen dieser Tage mit Menschen im Libanon sei deren Angst deutlich geworden, dass es wieder zu einem Krieg wie 2006 kommt, berichtete der Projektreferent der ICO. Auch wenn sich die Angriffe Israels gegen die Hisbollah richten, sei davon immer auch die Zivilbevölkerung betroffen. Schließlich zeige auch der Gaza-Krieg, dass im Endeffekt immer auch zivile Einrichtungen und Flüchtlingslager betroffen sind, mit zigtausenden unschuldigen Toten und Verwundeten. "Die Menschen sind in großer Sorge, dass auf den Libanon nun das gleiche Szenario zukommen könnte", so Maier. Nachsatz; "Das ist kein Krieg der Libanesen gegen Israel."
Verheerend sei auch die Lage in den Krankenhäusern, so Maier weiter. Deren Kapazitäten seien jetzt schon am Ende. "Nicht auszudenken, was passiert, wenn es zu intensiveren Kämpfen kommt."
Die ICO unterstützt im Libanon seit vielen Jahren kirchliche Schulen und darüber hinaus u.a. auch die Beiruter "Marienküche" des maronitischen Priesters Hany Tawk. Dieser hatte nach der verheerenden Explosionskatastrophe 2020 im Beiruter Hafen spontan eine Suppenküche ins Leben gerufen, um die Menschen zu versorgen, die alles verloren haben. Dank der Unterstützung durch die ICO besteht die Sozialeinrichtung bis heute. Maier: "Normalerweise werden 1.000 warme Mahlzeiten pro Tag ausgegeben. Angesichts der vielen vertriebenen Menschen, die in Beirut Zuflucht gesucht haben, hat die Marienküche ihre Kapazitäten auf 2.000 Mahlzeiten hochgefahren."
Da die Einrichtung aber zu 100 Prozent von Spenden abhängig ist, werde man das ohne weitere finanzielle Mittel nicht lange durchhalten. Maier: "Wir bitten deshalb dringend um Spenden, um die Menschen in Not zumindest mit einer warmen Mahlzeit versorgen zu können." (Infos und Spenden: www.christlicher-orient.at)
Kirche in Not: Massenexodus aus Südlibanon
Angesichts der anhaltenden israelischen Luftangriffe auf die Hochburgen der Hisbollah im Süden des Libanon befürchtet die Beiruter Projektkoordinatorin des weltweiten katholischen Hilfswerks "Kirche in Not", Marielle Boutros, dass noch mehr Menschen das Land verlassen, insbesondere Christen. Bei einem Besuch in der internationalen Zentrale des Hilfswerks in Königstein im Taunus erklärte sie am Mittwoch: "Der gesamte Südlibanon ist ins Visier genommen, dort leben viele Christen. Es handelt sich nicht um ausschließlich schiitische oder Hisbollah-dominierte Gebiete, zahlreiche christliche Familien sind dort zu Hause." Einige hätten bereits ihre Häuser verloren und suchten nun Schutz in anderen Teilen des Landes wie in der Hauptstadt Beirut, im Libanongebirge und im Norden.
In Beirut seien bereits mehrere Ziele getroffen worden, "wenngleich sie sich vorwiegend auf schiitische Gebiete beschränken, in denen die Hisbollah stark unterstützt wird". Dennoch seien die Auswirkungen in der ganzen Stadt spürbar. "Die Menschen hören den ganzen Tag den Lärm von Militärflugzeugen und Drohnen", berichtete Boutros.
Sie befürchte, dass der aktuelle Konflikt im Libanon zu einem weiteren Exodus der Christen führen könnte, wodurch deren Präsenz und Einfluss in der Region schwinden würde. Boutros: "Ich bin 37 Jahre alt und habe mehr als fünf Kriege im Libanon erlebt. Es ist schwer, in einem Land zu leben, in dem man an einem Tag in Sicherheit ist und sich am nächsten Tag vor Raketen verstecken muss."
Bislang seien die Projekte von "Kirche in Not" noch nicht betroffen, bestätigte Boutros. Im Süden des Landes und im Bekaa-Tal im Osten würden derzeit vor allem Lebensmittel und Hygieneartikel verteilt. Zwar seien die katholischen Schulen, die "Kirche in Not" verstärkt unterstützt, derzeit vorübergehend geschlossen, aber die Umstellung auf Online-Unterricht sei im Gange.
Der Libanon ist eines der wichtigsten Förderländer von "Kirche in Not". Im Jahr 2023 hat das Hilfswerk 237 Projekte mit fast sieben Millionen Euro gefördert. Boutros: "Viele Menschen leben derzeit in Pfarrgemeindesälen, weshalb sie Lebensmittel, Hygieneartikel, Matratzen und Decken benötigen." Sollte der Konflikt anhalten, würden im Winter auch Heizungen gebraucht - "obwohl wir natürlich hoffen, dass er nicht so lange dauern wird", ergänzte Boutros.
Neben der materiellen Unterstützung rief die Libanesin auch alle Wohltäter und Freunde von "Kirche in Not" dazu auf, für den Frieden zu beten. "Wir hoffen, dass der Friede endlich im Libanon und der gesamten Region einkehrt." (Infos und Spenden: www.kircheinnot.at)