Ordensfrau: Libanon-Konflikt braucht rasch Intervention von Außen
26.09.202415:12
Libanon/Konflikte/Krieg/Kirche/Flüchtlinge
Im Libanon tätige frühere Provinzialin der Don Bosco Schwestern, Sr. Lina Abou Naoum: Kämpfe werden sonst ewig andauern - Bisher ausgelöstes Leid bereits enorm
Beirut, 26.09.2024 (KAP) Auf eine rasche Intervention im sich gefährlich zuspitzenden Konflikt zwischen Israel und dem Libanon hat die libanesische Ordensfrau Sr. Lina Abou Naoum gedrängt. "Wenn die Internationale Gemeinschaft keine diplomatische Lösung findet, werden die Kämpfe ewig andauern. Auf militärischem Weg kann der Konflikt niemals beendet werden", so die frühere Provinzialin der Don Bosco Schwestern für den Libanon am Donnerstag im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress.
Die libanesischen Hisbollah-Milizen, gegen die sich die jüngsten Angriffe Israels richten, seien "schwer bewaffnet, viel besser als die libanesische Armee, und haben alles, um Israel lange Zeit Widerstand zu leisten", so die Ordensfrau. Eine politische Lösung sei dringend nötig, um die vielen Todesopfer auf beiden Seiten abzuwenden. Vom Libanon selbst könne eine solche Lösung jedoch nicht ausgehen: "Wir haben keinen Präsidenten, sind ein kleines Land und haben auch keine Macht, um in Dialog mit Israel zu treten." Dass sich bislang keine Weltmacht dazwischengestellt habe, lasse die Bevölkerung glauben, "dass vielleicht jemand unbedingt will, dass dieser Krieg weitergeht".
Die israelischen Angriffe zu Wochenbeginn seien von einer größeren Intensität als im zweiten Libanonkrieg 2006 gewesen, so der Eindruck Abou Naoums, "vielleicht weil die Waffen jetzt noch weiterentwickelter sind". Auch in ihrer Wirkstätte Kahaleh 13 Kilometer südostlich der Hauptstadt Beirut habe man Detonationen der israelischen Luftangriffe gehört. "Orte im ganzen Land wurden beschossen, vor allem an der Südgrenze, jedoch auch die Städte Baalbeck und Hermel, Regionen im Westen Beiruts sowie im Hinterland, überall wo Schiiten leben." Die christlichen Städte seien verschont geblieben, in vielen Ortschaften würden jedoch Angehörige mehrerer Religionen gemeinsam leben.
Schon die Folgen der bisherigen Angriffe seien fatal gewesen. Schulen und viele Arbeitsstätten seien momentan geschlossen, berichtete Sr. Lina, die eine vom österreichischen Hilfswerk Jugend Eine Welt unterstützte Don-Bosco-Nachmittagsschule leitet. Viele Menschen sogar aus den nicht attackierten Zonen wagten es nicht, ihre Häuser zu verlassen. Dauere die Situation an, sei das Überleben vieler in Gefahr, "denn ohne Arbeit wissen die Leute nicht mehr, wie sie ihre Kinder ernähren können", so die Ordensfrau. Schließlich stecke das Land ohnehin schon seit fünf Jahren in einer der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrisen seiner Geschichte.
Dazu komme jetzt auch ein neues Flüchtlingsproblem. Zehntausende, darunter viele Familien mit Kindern, seien infolge der Krise erneut vor allem aus dem Süden in Richtung Norden geflohen und suchten nun nach Möglichkeiten einer Unterkunft, wobei Schulen und Moscheen als Provisorien dafür eingerichtet wurden. Die ohnehin angespannte Situation spitze sich somit weiter zu. Sr. Lina: "Schon jetzt sind die Hälfte der Bevölkerung Libanons Flüchtlinge, aus Syrien und aus dem Irak. Es wird immer nur noch schlimmer."
Sie selbst habe mit ihren 57 Jahren im Zuge der bereits achtmal erfolgten Angriffe und mehreren Invasionen Israels oft und schon im Kindesalter flüchten müssen, so die im Libanon geborene Ordensfrau rückblickend: "Vom Süden in den Norden, von der Stadt in die Berge, dann wieder zurück - nicht weil meine Eltern es so wollten, sondern wegen des Krieges. Heute herrscht noch immer Krieg, der Friede ist noch immer in weiter Ferne. Ich weiß nicht, warum unser kleines Land so viele Konflikte erleiden muss."
Schockiert zeigte sich Abou Naoum auch über die von Israel bereits in den Tagen davor herbeigeführten Explosionen hunderter Pager und Funkgeräte, die dutzende Menschen getötet und hunderte verletzt haben. "Die Spitäler waren voll von den Opfern, die meisten waren noch sehr jung, viele von ihnen Zivilisten, denn die Geräte waren nicht nur von Hisbollah-Mitgliedern verwendet worden", so Sr. Lina, die auch selbst einige der Betroffenen zu sehen bekam. "Dass viele Augen oder Finger verloren haben, ist schrecklich mitzuerleben."
Besonders als Provinzoberin ihres Ordens zwischen 2014 und 2020 sei sie öfters nach Israel gereist, erklärte Abou Naoum. "Ich habe erfahren dürfen, dass Israelis gute Menschen sind. Doch auch die Hisbollah-Anhänger sind nicht schlecht, sie sind unsere Freunde und ihre Kinder besuchen unsere Schulen. Was wir alle unbedingt brauchen, ist ein Lebensweise, in dem Kultur, Fortschritt und Entwicklung wieder möglich werden. Derzeit schaffen wir das nicht." Frieden durch Waffengewalt werde jedoch nicht gelingen, so die Ordensfrau, die zudem erinnerte: "Auch Israel ist nicht im Frieden."
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