Papst bedauert Missbrauch und weitere dunkle Kapitel der Kirche
27.09.202411:50
Belgien/Vatikan/Regierung/Kirche/Papst/Missbrauch
Franziskus spricht zum Auftakt seines Belgien-Besuchs Missbrauchsskandal und Zwangsadoptionen unehelicher Kinder offen an - Papst: Sexualisierte Gewalt in der Kirche eine "Schande" - Belgiens König und Premier drängen auf Missbrauchsaufarbeitung
Brüssel, 27.09.2024 (KAP) Papst Franziskus hat bei seinem Besuch in Belgien den sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche schärfer als je zuvor verurteilt. In einer Ansprache vor den Spitzen von Staat, Kirche und Zivilgesellschaft sagte er am Freitag in Brüssel abweichend vom Redemanuskript: "Der Missbrauch von Minderjährigen ist eine Schande. Diese Schande müssen wir anerkennen, um Vergebung bitten und das Problem lösen."
Nach Worten ringend, verglich der Papst den Missbrauch mit dem Massaker an den unschuldigen Kindern durch König Herodes, das in der Bibel beschrieben wird. "Heute, inmitten der Kirche, gibt es dieses Verbrechen. Und die Kirche muss sich schämen und um Vergebung bitten, und in christlicher Demut alles in ihrer Macht Stehende tun, damit das nicht mehr geschieht." Die Rede des Papstes im Schloss Laeken quittierten die anwesenden Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft mit ungewöhnlich langem und starkem Applaus.
Gegen Relativierung und Vergleiche
Ausdrücklich wandte sich Papst Franziskus gegen jene in der Kirche, die den Missbrauch durch Geistliche relativieren, indem sie darauf hinweisen, dass es noch viel mehr Missbrauch in Familien, im Sport und in Schulen gebe. Es sagte: "Selbst wenn es nur einen einzigen Fall gäbe, wäre das ein Grund, sich zu schämen. Die Kirche muss dafür um Vergebung bitten. Mögen die anderen das bei sich tun, dies hier ist unsere Schande und unsere Erniedrigung."
Zuvor hatte der Papst sich an das für ihn vorbereitete Redemanuskript gehalten und gesagt: "Ich denke an die dramatischen Ereignisse des Kindesmissbrauchs, einer Geißel, gegen die die Kirche mit Entschiedenheit und Entschlossenheit vorgeht, indem sie den Leidtragenden zuhört und sie begleitet und in der ganzen Welt umfassende Präventionsprogramme realisiert."
Unehelich geborene Kinder waren stigmatisiert
In seiner Rede ging der Papst auch auf den Skandal der Zwangsadoptionen außerehelich geborener Kinder ein - eine Praxis, die in Belgien noch bis in die 1970er Jahre verbreitet war und die seit einigen Jahren erneut debattiert wird. Das damalige Tun mache ihn "sehr traurig", erklärte der Papst. Zugleich zeigte er Verständnis für die beteiligten Menschen, die wohl "guten Gewissens glaubten, zum Wohl des Kindes wie auch der Mutter zu handeln".
Weiter erklärte er: "Um das negative Stigma zu beseitigen, das die unverheiratete Mutter in jenen Tagen leider traf, waren die Familie und andere gesellschaftliche Akteure, einschließlich der Kirche, oft der Meinung, dass es zum Wohl von Mutter und Kind besser sei, das Kind würde zur Adoption freigegeben. Es gab sogar Fälle, in denen manchen Frauen gar nicht die Wahl gelassen wurde, das Kind zu behalten oder es zur Adoption freizugeben", kritisierte Franziskus.
Für die Zukunft gelobte der Papst Besserung. Die Kirche müsse die Kraft finden, sich nicht der vorherrschenden Kultur anzupassen. Sie dürfe nicht unter gesellschaftlichem Druck falsche Schlüsse aus dem Evangelium ziehen, die dann zu schwerem Leid und zu Ausgrenzung führten.
Missbrauchsaufarbeitung: König und Premier drängen
Vor der Rede des Papstes hatten der belgische König Philippe und Ministerpräsident Alexander de Croo in ihren Begrüßungsansprachen den Missbrauchskandal in der Kirche ausdrücklich kritisiert und eine konsequente Aufarbeitung sowie Gerechtigkeit für die Opfer gefordert.
Der Papst habe "die unsägliche Tragödie des sexuellen Missbrauchs innerhalb der kirchlichen Institution unnachgiebig angeprangert" und "konkret gehandelt, um diese abscheuliche Gewalt zu bekämpfen", sagte König Philippe in seiner Begrüßungsrede an Franziskus. "Kinder wurden schrecklich verletzt und fürs Leben gezeichnet. Dasselbe gilt für Opfer von Zwangsadoptionen", so der Monarch.
"Es hat sehr lange gedauert, bis ihre Schreie gehört und anerkannt wurden", so Philippe weiter. Die Suche nach Wegen, um das Irreparable zu "reparieren", habe viel Zeit in Anspruch genommen. "Wir kennen die Bemühungen der belgischen Kirche, in dieser Richtung zu arbeiten; sie müssen entschlossen und unermüdlich fortgesetzt werden", forderte das Staatsoberhaupt.
"Vertrauen erheblich beschädigt"
Ähnlich äußerte sich Regierungschef De Croo. Auch wenn die Kirche ihren Platz in der Gesellschaft habe und der Glaube vielen Menschen Orientierung gebe, könne man "die schmerzhaften Wunden" durch die vielen Fälle von sexuellem Missbrauch und Zwangsadoptionen nicht ignorieren. Sie hätten das Vertrauen "erheblich beschädigt", so der Premierminister. Es gehe um mehr als nur eine moralische Verantwortung.
Vertuschung, "wenn etwas schief geht", sei nicht zu akzeptieren, sagte der Premier. "Dies schadet der wertvollen Arbeit aller." Deshalb reichten Worte allein heute nicht mehr aus, nötig seien konkrete Schritte. Die Opfer müssten gehört werden. "Sie haben ein Recht auf die Wahrheit." Ebenso müsse das Fehlverhalten anerkannt und Gerechtigkeit geschaffen werden, unterstrich De Croo.
Auftakt zu Belgien-Besuch
Papst Franziskus hält sich im Rahmen seiner 46. Auslandsreise seit Donnerstagabend in Brüssel auf. Zuvor hatte er am Donnerstag in einer zehnstündigen Tagesvisite Luxemburg besucht. Hauptanlass der bis Sonntag dauernden Visite ist das 600-jährige Bestehen der belgischen Katholischen Universität Löwen, die seit 1968 in einen flämischen und einen wallonischen Teil getrennt ist.
Am Freitagnachmittag ist eine Begegnung des Papstes mit dem Lehrpersonal der flämischen Katholieke Universiteit Leuven geplant. Am Samstag besucht er Studierende des französischen Teils der Universität im wallonischen Louvain-la-Neuve.
In der riesigen Herz-Jesu-Basilika auf dem Koekelberg in Brüssel ist ebenfalls am Samstag eine Begegnung mit Bischöfen, Priester, Diakonen, Ordensleuten und weiteren pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Ortskirche geplant. Zum Abschluss des Besuchs feiert Franziskus am Sonntagvormittag mit mehreren Zehntausend Gläubigen eine Messe im König-Baudouin-Stadion in Brüssel. Dabei wird Franziskus auch die Karmelitin Anna von Jesus (1545-1621) seligsprechen.
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