Befreiungstheologe Gutierrez im Alter von 96 Jahren gestorben
23.10.202409:15
(zuletzt bearbeitet am 23.10.2024 um 09:58 Uhr)
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Peruaner galt als einer der wichtigsten Theologen weltweit
Lima, 23.10.2024 (KAP/KNA) Der Mitbegründer der Befreiungstheologie, Gustavo Gutierrez, ist tot. Er starb am Dienstag im Alter von 96 Jahren, wie die Dominikaner in Peru am Mittwoch auf Facebook mitteilten. Dutzende Universitäten hatten den peruanischen Theologen mit einem Ehrendoktortitel ausgezeichnet. Zudem erhielt Gutierrez wichtige internationale Ehrungen. 1999 trat er dem Dominikanerorden bei.
Die vom Vatikan kritisch beurteilte Befreiungstheologie reagierte vor allem seit den 1960er Jahren auf wachsende soziale Missstände in Lateinamerika. Gutierrez' 1971 erschienenes und in viele Sprachen übersetztes Buch "Theologie der Befreiung" ("Teologia de la Liberacion") gab der Bewegung ihren Namen. Sie bemühte sich um Antworten auf die Unterdrückung und Entrechtung von Menschen.
"Option für die Armen"
Der 1928 geborene Gutierrez studierte in Lima, Löwen und Lyon Medizin, Philosophie, Psychologie und Theologie. Lange Zeit war der katholische Priester als Professor für Theologie und Sozialwissenschaften an der Katholischen Universität in Lima tätig. In den vergangenen Jahren arbeitete er - auch kritisch - die historischen Hintergründe der Befreiungstheologie auf. Weiterhin plädierte er für eine theologische Relevanz der "Option für die Armen". Er räumte aber "Übertreibungen, sogar einige Irrtümer" der Theologie der Befreiung ein und distanzierte sich wiederholt vom Marxismus.
Papst Franziskus würdigt den Befreiungstheologen unter anderem zu dessen 90. Geburtstag. In einem damals vom Vatikan veröffentlichten Glückwunschschreiben bedankte sich das Kirchenoberhaupt bei Gutierrez für dessen Arbeit.
"Sei Dir sicher, dass ich in diesem bedeutenden Moment Deines Lebens für Dich bete", so Franziskus. Weiter schrieb der Papst: "Ich danke Dir für all das, was Du durch Deinen theologischen Dienst und Deine Liebe zu den Armen und Ausgegrenzten für die Kirche und die Menschheit getan hast."
Stichwort: Befreiungstheologie
Befreiungstheologie heißt eine in den 1960er und 70er Jahren in Lateinamerika entstandene kirchliche Reformbewegung. In ihrem Mittelpunkt steht die "Option für die Armen". Zu den bekanntesten Vertretern zählen die Brüder Leonardo (85) und Clodovis Boff (80), Bischof Helder Camara (1909-1999) aus Brasilien, der nicaraguanische Dichter Ernesto Cardenal (1925-2020) und der Peruaner Gustavo Gutierrez (1928-2024). Dessen Buch "Teologia de la liberacion" von 1971 gab der Bewegung ihren Namen. Der 1980 ermordete und 2018 heiliggesprochene Erzbischof Oscar Romero aus El Salvador gilt ebenfalls als Repräsentant der Befreiungstheologie.
Diese reagierte auf die politische und gesellschaftliche Situation Lateinamerikas in den 1960er und 1970er Jahren. Angesichts von Massenarmut hatten 1968 die lateinamerikanischen Bischöfe einen Weg empfohlen, der als "Option für die Armen" beschrieben wurde. Tragend für die Umsetzung waren sogenannte Basisgemeinden.
Der Vatikan kritisierte, dass bestimmte Vertreter der Befreiungstheologie in ihrer soziologischen Gesellschaftsanalyse auch marxistische Deutungsmuster gebrauchten. Theologen und Priester wurden in den 1980er Jahren mit Lehr- und Schreibverboten belegt oder suspendiert. Dennoch breitete sich der theologische Ansatz auch in Afrika und Asien aus.
Die römische Glaubenskongregation unter Kardinal Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI. (2005-2013), stellte 1984 und 1986 in zwei Texten die Unvereinbarkeit einer marxistisch verstandenen Befreiungstheologie mit der kirchlichen Lehre fest. Diese Form der Theologie missverstehe die Idee des Gottesreiches und verrate den Glauben zugunsten revolutionärer Projekte.
Inzwischen ist in der kirchlichen Lehre die "vorrangige Option für die Armen" nicht mehr umstritten. Mit der Papstwahl des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio (Franziskus) 2013 rückten Armut und Ausgrenzung von Menschen wieder verstärkt in den Fokus der katholischen Kirche.