Ökumenischer Meilenstein: 25 Jahre Erklärung zur Rechtfertigungslehre
29.10.202410:25
Deutschland/Religion/Kirche/Geschichte/Ökumene
Wesentlicher Streitpunkt zwischen Katholiken und Protestanten wurde 1999 ausgeräumt. Worum es ging und was noch zu klären ist - Hintergrundbericht von Simon Kajan
Augsburg, 29.10.2024 (KAP/KNA) "Wie finde ich einen gnädigen Gott?" - das war die einschneidende Frage, die sich Reformator Martin Luther stellte. An deren Antwort sollte die Christenheit vor rund 400 Jahren zerbrechen. Die Antwort spitzte Luther zu auf die Alternativen: allein durch die Gnade ("sola gratia") oder auch durch die Werke wie gute Taten, das Gebet und das Fasten. Diese sogenannte Werkgerechtigkeit wurde für ihn zum Schlagwort gegen die katholische Kirche. Der Bruch in dieser theologischen Frage blieb und wurde zu einem Marker der Reformation.
Erst der ökumenische Dialog des 20. Jahrhunderts und die Öffnung der katholischen Kirche auf dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-1965) ebneten neue Wege theologischen Denkens aufeinander hin. Einen neuen Konsens auch in dieser strittigen Frage wurde durch die vor 25 Jahren, am 31. Oktober 1999, von Lutheranern und Katholiken in Augsburg unterzeichneten "Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre" erreicht.
Das Konsensdokument hielt für beide Seiten fest: "Rechtfertigung geschieht allein aus Gnade". Damit war übereinstimmend erklärt, dass sich der Mensch Gott gegenüber in keiner Weise auf seine eigenen Bemühungen verlassen kann, sondern immer auf die rettende Gnade Gottes angewiesen ist. Katholiken betonen zudem die Mitwirkung des Menschen bei seiner Rechtfertigung: 'Gott heiligt den Menschen nicht ohne den Menschen' - der Mensch ist Beteiligter am Erlösungshandeln Gottes.
Wegweiser auch für multilaterale Ökumene
Deshalb war diese Konsensökumene auch nicht unumstritten. Vor allem aus dem Raum der evangelischen Kirche gab es Bedenken. Denn die Erklärung war ein bilaterales Dokument zwischen der katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund (LWB). Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) besteht jedoch auch aus reformierten und unierten Christen. Nach den Methodisten und Anglikanern schloss sich auch die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen (WGRK) der Erklärung 2017 an.
Wunsch dabei war, dass das Reformationsjubiläum im selben Jahr, das am 31. Oktober an den Thesenanschlag Martin Luthers erinnerte, zu einem gemeinsamen "Christusfest" der protestantischen Christen werden sollte. Damit haben sich die Repräsentanten von weltweit mehr als 250 Millionen Christen der verschiedenen protestantischen Traditionen die Ökumene-Erklärung zu eigen gemacht.
Insofern ist die bislang erste "Gemeinsame Erklärung" eine Erfolgsgeschichte nicht nur des Dialogs zwischen Katholiken und Lutheranern. Sie eröffnete einen Konsens auch in der multilateralen Ökumene.
Zugleich war das Reformationsjubiläum 2017 aber auch eine Zäsur im ökumenischen Dialog. Zur Vorbereitung auf das große Fest ("Lutherdekade") veröffentlichte die EKD 2014 einen Grundlagentext mit dem Titel "Rechtfertigung und Freiheit" - allerdings ohne die "Gemeinsame Erklärung" darin zu erwähnen.
Ökumeniker für weitere Erklärungen
Bischof Bertram Meier, Mitglied der Vatikanbehörde für die Ökumene, erkennt in solchen Entwicklungen, dass "Ökumene nicht statisch" ist. Sie sei ein Weg, auf dem es Phasen besonderer Intensität gebe, in denen man sich über das Erreichen von Etappenzielen freuen könne, auf dem es aber auch Zeiten gebe, wo es steil und mühsam werden könne und wo besonderes Durchhaltevermögen gefordert sei, so der Augsburger Bischof.
Der nächste Schritt soll nun eine gemeinsame Erklärung zu den schwierigen Themen Kirche, Eucharistie und Amt sein - möglichst bis 2030, dem 500-Jahr-Jubiläum des sogenannten Augsburger Bekenntnisses der Protestanten. Dieses fasste 1530 die Lehre und Praxis der lutherischen Kirche zusammen. Der Augsburger Bischof verbindet mit diesem weiteren Jubiläum große Hoffnungen, handle es sich bei der "Confessio Augustana" doch um ein "vorkonfessionelles Zeugnis der Einheit", nicht konfessionsbegründend, sondern dass sie die Einheit retten sollte. "Die Confessio Augustana ist theologisch ein so tiefer Text, dass wir ihn als Schatz ökumenisch zu heben versuchen sollten", so der Ökumeniker weiter.
Auch der Leiter der vatikanischen Ökumene-Behörde, Kardinal Kurt Koch, versucht derzeit die ökumenischen Gesprächspartner von dieser weiteren "Gemeinsamen Erklärung" zu überzeugen.
Einigkeit, nicht Einheit
Hier tun sich die lutherischen Gesprächspartner indes schwer. Der Leitende lutherische Bischof in Deutschland, der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, versteht das Ökumene-Modell für den Protestantismus und darüber hinaus als "Einheit in versöhnter Verschiedenheit". Ökumene bedeute "für uns in erster Linie Einigkeit und nicht Einheit", so Meister. Damit wird deutlich, dass eine weitere "Gemeinsame Erklärungen" fraglich wird.
25 Jahre nach der "Gemeinsamen Erklärung" sind damit manche Hoffnungen auf eine baldige Kircheneinheit und Eucharistiegemeinschaft nicht erfüllt. Dennoch sind sich Christen nähergekommen. Der katholische Theologe Manuel Schlögl sieht die Ursache für den stockenden Dialog darin, dass heute Fragen des Amtes und der Eucharistie im Mittelpunkt stünden. Bei der Gemeinsamen Erklärung sei dies das Gott-Mensch-Verhältnis gewesen.
Daher sieht er eher eine Chance in einer "Bekenntnisökumene": "Die gemeinsame Orientierung an der Heiligen Schrift, an Leben, Kreuz und Auferstehung Jesu Christi, an den Gaben des Geistes und seiner Hilfe bei der Verkündigung des Evangeliums erlebe ich als ein froh machendes, inspirierendes und einander bestärkendes Zeugnis für Gottes Gegenwart in unserer Zeit."