Deutschland: Fehrs lenkt weiter Geschicke der evangelischen Kirche
12.11.202412:57
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Missbrauch, Migration und gesellschaftliche Spaltung: Vor der nun offiziell als EKD-Ratsvorsitzende bestätigten Hamburger Bischöfin liegen große Herausforderungen - Katholische Bischöfe gratulieren zur Wahl
Würzburg/Hannover, 12.11.2024 (KAP/KNA) Es war wohl einer der schwersten Momente in ihrer bisherigen Zeit an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Im Jänner musste Bischöfin Kirsten Fehrs eine über 800 Seiten starke Missbrauchsstudie aus den Händen unabhängiger Forscher entgegennehmen. Von bundesweit tausenden Betroffenen ist darin die Rede. Zudem stellen die Autoren Kirche und Diakonie im Umgang mit sexualisierter Gewalt ein schlechtes Zeugnis aus. Fehrs bat damals die Betroffenen um Entschuldigung für das Versagen der Kirche und versprach, weitere Maßnahmen zur Veränderung und vor allem einen Kulturwandel auf den Weg zu bringen.
An diesem Versprechen muss sich Fehrs nun messen lassen. Am Dienstag ist sie offiziell in ihrem Amt als Vorsitzende des Rats der EKD, dem Zusammenschluss aller 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland, bestätigt worden. Bei der Tagung des Kirchenparlaments in Würzburg wurde die Hamburger Bischöfin an die Spitze des Leitungsgremiums gewählt, das die evangelische Kirche in der Öffentlichkeit vertritt. Ihre Amtszeit dauert regulär bis 2027.
Mann erhebt Vorwürfe gegen Fehrs
Die 63-Jährige Theologin hatte das Amt bereits seit knapp einem Jahr kommissarisch inne, nachdem die frühere Ratsvorsitzende Annette Kurschus zurückgetreten war. Kurschus hatte damit auf Vorwürfe reagiert, mit einem mutmaßlichen Missbrauchsfall falsch umgegangen zu sein. Der Fall wird aktuell noch aufgearbeitet.
Kurz vor ihrer Wahl wurden auch gegen Fehrs Vorwürfe laut. Bei der Tagung des Kirchenparlaments war am Montag eine "Anwältin des Publikums" vor Ort, um Missbrauchsbetroffene zu Wort kommen zu lassen. Sie las die E-Mail eines Mannes vor, in der er Fehrs beschuldigt, sie habe als Hamburger Bischöfin den Aufarbeitungsprozess einer Betroffenen in der Nordkirche bewusst scheitern lassen.
Der Mann hatte sich bereits im August mit einem Brief an alle Synodalen und Ratsmitglieder gewandt. Die EKD wies die Vorwürfe zurück. Der Fall werde in der Nordkirche konsequent aufgearbeitet. Ein Fehlverhalten der Bischöfin sei nicht erkennbar. Die Mehrheit der Wahlberechtigten fand das offenbar überzeugend.
Missbrauchskandal in der Nordkirche
Mit dem Thema sexualisierte Gewalt ist Fehrs schon lange befasst. Als sie 2011 Bischöfin in Hamburg wurde, war ihre Vorgängerin Maria Jepsen ebenfalls wegen Vorwürfen in einem Missbrauchsfall zurückgetreten. Fehrs gab darauf eine der ersten Aufarbeitungsstudien im kirchlichen Kontext in Auftrag.
Auf EKD-Ebene war Fehrs als langjähriges Ratsmitglied maßgeblich daran beteiligt, die bundesweite Missbrauchsstudie auf den Weg zu bringen. Manche Betroffene sprechen von einer guten Zusammenarbeit mit der Bischöfin. "Ich nehme ihr ab, dass sie es ernst meint mit der Aufklärung", sagte der Sprecher der Betroffenen im EKD-Beteiligungsforum, Detlev Zander, im vergangenen Jahr dem "Spiegel".
Fehrs verteidigt Kirchenasyl
Fehrs, die seit über 30 Jahren mit einem Pastor verheiratet ist, stammt aus dem Westen Schleswig-Holsteins und wurde 1990 zur Pastorin ordiniert. Ab 2006 war sie Pröpstin im Kirchenkreis Hamburg-Ost und Hauptpastorin an der Hauptkirche St. Jacobi.
Immer wieder mischt sich die medienaffine Geistliche in gesellschaftspolitische Debatten ein. In einem Interview verteidigte sie kürzlich die Tradition des Kirchenasyls für Geflüchtete. "Unsere Gemeinden leisten damit nicht nur Nothilfe, wenn Menschen bei drohender Abschiebung Gefahr für Leib und Leben droht. Sie leisten damit auch einen Dienst zur bleibenden Humanität einer Gesellschaft insgesamt, indem sie Gerechtigkeitslücken identifizieren." Auch eine noch so gute Rechtsprechung könne fehlerhaft sein, so Fehrs.
Anfang des Jahres beteiligte sie sich an mehreren der großen Demonstrationen gegen Rechts. Zugleich ging sie auf Distanz zur AfD. Die Partei propagiere eine menschenverachtende Politik und werde wahrscheinlich in naher Zukunft verfassungsrechtlich als rechtsextrem eingestuft, sagte sie in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). "Das ist mit Kirchenämtern nicht vereinbar."
Mehr Miteinander von Kirche und Diakonie
Angesicht des Mitgliederverlusts der Kirche plädiert Fehrs für eine engere Zusammenarbeit von Kirche und Diakonie. "Wenn es in Zukunft noch um eine flächendeckende Präsenz von evangelischer Kirche gehen soll, dann ist das nicht allein die Kirche im Dorf, sondern auch die Pflegeeinrichtung der Diakonie nebenan."
Als Ratsvorsitzende hat Fehrs nun die Chance, sich federführend um solche Veränderungen zu kümmern. Im Hinblick auf Missbrauch will das Kirchenparlament, die Synode, am Mittwoch zahlreiche Maßnahmen beschließen. Die Schaffung eines deutschlandweit einheitlichen Verfahrens für Anerkennungszahlungen an Betroffene hat es bereits auf den Weg gebraucht. Die Umsetzung liegt nun ebenfalls in Händen des Rats und seiner Vorsitzenden.
Katholische Bischöfe gratulieren zur Wahl
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, gratulierte Fehrs zur Wahl als EKD-Ratsvorsitzende. "Was Du in den zurückliegenden zwölf Monaten schon in eindrucksvoller und stets von einem tiefen ökumenischen Geist geprägten Arbeit übernommen hast, führst Du jetzt fort", schrieb Bätzing in einem am Dienstag in Bonn veröffentlichten Brief. "Ich freue mich auf die Zusammenarbeit und das gemeinsame Suchen nach Wegen, wie wir eine konkrete Einheit unserer Konfessionen als glaubwürdige Zeugen des Evangeliums voranbringen können."
Bätzing erklärte, er sei dankbar für die klaren gesellschaftspolitischen Positionen, die katholische und evangelische Kirche verbinden würden. Als Beispiele nannte er den Kampf gegen Antisemitismus, Rassismus und das Kriegsgeschrei in der Welt. "Als Christinnen und Christen müssen wir gemeinsam für den Frieden einstehen und die Menschen an den Rändern der Gesellschaft fest im Blick haben. Das ist nicht nur eine Sache von Konfessionen, sondern fordert ein gemeinsames Handeln aller Religionen."