Neue Bildungsbeauftrage der Orden: Schulen als "Lebensräume" sehen
15.11.202411:50
Österreich/Kirche/Bildung/Schule/Orden
Theologin Marie-Theres Igrec vor Übernahme der Bereichsleitung Bildung in der Ordenskonferenz: Profil und Selbstbewusstsein der Ordensschulen sowie auch "widerständiges Potenzial" stärken - Vorgänger Clemens Paulovics sieht "Nestwärme" und Wertevermittlung als Grund für ungebrochen hohe Nachfrage, "Herzensbildung" und Sozialengagement als heutige Aufgaben
Wien, 15.11.2024 (KAP) Bei Österreichs Ordensschulen wird demnächst eine personelle Weiche neu gestellt: Marie-Theres Igrec (49) übernimmt mit 1. Dezember die Bereichsleitung für Bildung bei der Ordenskonferenz und folgt auf Clemens Paulovics (51), der nach fünf Jahren in die Schul- und Betriebspastoral bei der Vereinigung von Ordensschulen Österreichs (VOSÖ) wechselt. Angesichts der Übergabe kurz nach den anstehenden Österreichischen Ordenstagungen haben die beiden Bildungsexperten im Kathpress-Doppelinterview eine Standortbestimmung der Ordensschulen vorgenommen und sind dabei auch auf deren gesellschaftliche Aufgaben in Gegenwart und Zukunft eingegangen.
Derzeit besuchen in Österreich an die 75.000 bzw. 6,7 Prozent aller Schülerinnen und Schüler eine katholische Privatschule, davon 50.000 bzw. 4,5 Prozent der Gesamtzahl eine der bundesweit 190 Ordensschulen. Deren Nachfrage ist enorm, berichtete die designierte Bereichsleiterin Igrec, in vielen Standorten sei sie sogar "zwei- bis dreifach überzeichnet". Zum guten Ruf trage einerseits das gute Abschneiden in der Leistungsskala bei, ebenso jedoch auch das spürbare Bemühen um das Schulklima. Ordensschulen sähen sich "nicht als Unterrichtsanstalten, sondern als Lebensräume, und setzen auch in den Pausen oder am Nachmittag Schwerpunkte".
Nestwärme und Hilfsprojekte
Von "Nestwärme" sprach auch der scheidende Bildungs-Zuständige. Die Ordensschulen hätten fest im Bewusstsein, "dass Lernen über Beziehung gelingt, und zwar umso besser, je wohler man sich im Lernumfeld fühlt". Ein Pluspunkt für viele Eltern seien jedoch auch vielfältige pädagogische Schwerpunkte und das Lebendig-Halten von Glauben und Werten: "Es ging bei unseren Fortbildungen für Direktoren in den letzten Jahren beispielsweise um Inklusion, Partizipation, interreligiöses und interkulturelles Zusammenleben sowie um Umgang mit Machtverhältnissen", sagte Paulovics. Das wirke sich positiv auf die Entwicklung der Ordensschulen aus. Deren Blick habe sich geweitet, durch "Kontakte und Referenten auch weit außerhalb der katholischen Bubble". Umgekehrt würde die Ordenskonferenz in Bildungsfragen heute auch mehr wahrgenommen als früher - nicht zuletzt bei ihren politischen Appellen wie jüngst zu pädagogisch-administrativen Fachkräften an Pflichtschulen, den Themen Mental Health und Inklusion.
Sichtbar wird das soziale Engagement der Ordensschulen unter anderem durch die bisher "sehr komplikationslose" Aufnahme von Schülerinnen und Schülern, die als Geflüchtete nach Österreich gekommen sind - zuerst ab 2015 aus Nahost, dann seit 2022 aus der Ukraine. In den Wiener Ordensschulen sei derzeit jedes 20. Kind ein Flüchtlingskind, "wobei von dieser Gruppe nur äußerst selten Schulgeld eingehoben wird", wie Paulovics erklärte. Daneben gibt es Hilfsprojekte, Spendenaktionen und Schüleraustausche, allen voran mit Partnerschulen derselben Ordensgemeinschaft in Ländern des Globalen Südens.
Mittlerweile als Vorreiter sieht Paulovics die Ordensschulen ebenso wie auch katholische Schulen allgemein bei der Missbrauchsprävention. Seit Neuveröffentlichung der Rahmenordnung der Bischofskonferenz 2021 hätten alle größeren kirchlichen Schulträger begonnen, eigene Schutzkonzepte zu entwickeln und umzusetzen, wobei gelte: "Ziel ist es, dass möglichst hohe Wachsamkeit herrscht und ein guter, sicherer Umgang mit dem Thema gefunden wird." Der Staat werde im Gegensatz dazu erst allmählich nach rezenten Vorfällen auf das Problem aufmerksam.
Lernorte für Verantwortung und Kritik
Viel werde heute in Ordensschulen über den eigenen Auftrag nachgedacht, sagte Igrec, die hier um weitere Profilschärfung bemüht ist. Die künftig von ihr vertretenen Bildungseinrichtungen seien "Orte des Erwerbs nicht nur von Wissen, sondern auch von Sozialverantwortung, Solidarität oder demokratischen Grundwerten", so die Fundamentaltheologin, und sie seien zudem auch bereit, Rede und Antwort über die christlich geprägte Bildungsvision einer "Humanisierung der Gesellschaft" zu geben. Überschätzen könne man diese Funktion keineswegs, gelte doch: "Schule prägt Menschen - und gestaltet damit Zukunft mit." Ordensschulen seien "Orte der Hoffnung inmitten eines sich ausbreitenden Fatalismus und wachsender psychischer Belastung".
Doch auch ein "widerständiges Potenzial" gegen negative Tendenzen machte Igrec in den Ordensschulen aus. Es gehe bei ihnen nicht rein um Vorbereitung junger Menschen für die Einbindung in Arbeitsprozesse und ökonomische Strukturen, sondern auch um Einübung von politischer Wachheit und "Einmischungskompetenz", verwies die neue Bereichsleiterin auf ein Zitat der deutschen Bildungsexpertin Margret Rasfeld, und führte aus: "Wer in der Schule gelernt hat, dass nicht nur die Leistung, sondern auch die eigene Stimme zählt, wird diese auch künftig in der Gesellschaft einbringen". Ordensschulen sollten ihre weitreichende Schulautonomie unter anderem dafür einsetzen, dieses Potenzial zu stärken.
Säkularisierung und Mitgliederrückgang
Freilich stünden auch die Ordensschulen heute vor zahlreichen Herausforderungen, zu denen Igrec unter anderem die Säkularisierung und Pluralisierung zählte. An allen Standorten nähme die Zahl von Schülerinnen und Schülern ohne Bekenntnis zu, "und es wird auch immer schwieriger, Lehrpersonal zu finden, das christlich und vielleicht sogar katholisch sozialisiert ist", so die neue Bildungsverantwortliche. Notwendig werde es deshalb, "das Wertefundament praktikabel zu übersetzen - also konkret: Was bedeutet das Evangelium jetzt für die Schulführung oder für die Unterrichtsgestaltung? - sodass es auch von jenen Mitarbeitenden, die der Kirche fernstehen, mitgetragen werden kann".
Auch das Schrumpfen der Mitgliederzahl der Orden beschäftigt deren Schulen, wobei jedoch Noch-Bereichsleiter Paulovics keinen Grund für ein Läuten der Alarmglocken sah. "Man kann zwar vom einst absoluten Höchststand von 12.000 Ordensleuten in Österreich ausgehen, aber auch davon, dass es über die Jahrhunderte im Schnitt 800 Ordensfrauen und -männer gab. Derzeit sind es 4.000, und viele von ihnen leben lange und sind bis ins hohe Alter hochaktiv. Zudem geht es in Ordensschulen nicht um eine Lebensform, sondern um die Grundidee der Gemeinschaft, die auch Nicht-Ordensmitglieder pflegen und weitertragen können." Vielen Orden sei es gelungen, Führungskräfte aus ihrem Umfeld heranzubilden, die sich dieses sogenannte "Charisma" zum eigenen Anliegen machen.
Eine Gratwanderung für die Ordensschulen ist die Sicherstellung des wirtschaftlichen Erhalts bei gleichzeitiger Vorgabe, keine soziale Segregation zu fördern. "Das Schulgeld ist für uns alle ein Stachel im Fleisch, und wir setzen alles daran, dass es nicht angehoben werden muss - heißt es doch in unseren Gründungsaufträgen, wir sollen dort Bildung ermöglichen, wo Menschen ausgeschlossen werden", betonte Igrec. Zugleich seien jedoch die Kosten für die Schulerhalter gewaltig, komme doch der Staat nur für die Lehrergehälter auf, nicht aber für sonstiges Schulpersonal wie etwa Schulärzte, Psychologen oder Reinigungskräfte, ebensowenig für alle Infrastruktur. Ermäßigungen für Kinder aus wenigbegüterten Familien gibt es an vielen Standorten, Igrec sprach sich darüber hinaus dafür aus, Konzepte für "Solidaritätsbeiträge" zu diskutieren.
Erfüllte und neue Mission
Nicht übersehen dürfe man den sich wandelnden Auftrag der Ordensschulen. Die meisten von ihnen seien inmitten der Industrialisierung und Massenarmut des 19. Jahrhunderts gegründet worden, um Kinder von der Straße zu holen und ihnen Bildung zu vermitteln. Paulovics: "In Mitteleuropa könnte man hier von einer 'mission completed' sprechen. Heute geht es um das gewisse Extra an Herzensbildung und Sozialengagement." Da mache man immer wieder die Erfahrung, dass es "Laien" an der Spitze von Ordensschulen sehr gut und manchmal sogar besser gelingt, das Ordenscharisma sichtbar zu machen. "Denn für vieles, was bisher selbstverständlich war und oft gar nicht erwähnt wurde, wird jetzt eine eigene Sprache auf der Höhe der Zeit entwickelt."
Ohnehin hätten die meisten Ordensschulen in Österreich bereits sehr umsichtig für die Zukunft vorgesorgt, bemerkte Igrec. So gibt es vielerorts Trägervereine, die sich um den Erhalt der Institutionen wie auch um die Weitergabe ihres Selbstverständnisses bemühen. Der größte von ihnen ist mit 40 beteiligten Schulen die Vereinigung von Ordensschulen Österreichs (VOSÖ), deren neuer Abteilungsleiter für Schul- und Betriebspastoral sowie Ordenscharisma Paulovics ab 1. Dezember wird. Er wolle sich in der künftigen Rolle besonders für die Etablierung multiprofessioneller Teams an Schulen und für neue Wege in der Schulpastoral einsetzen und "Experimentierfelder nutzen", kündigte der Experte an.