Ökumenischer Patriarch eröffnete in Istanbul Konferenz, die die Ereignisse von 1964 aufarbeitete, als 50.000 ethnische Griechen vertrieben wurden
Istanbul, 21.11.2024 (KAP) Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios I. hat am Mittwoch in Istanbul eine Konferenz im Gedenken an die Vertreibung zehntausender griechischer Christen aus der Stadt im Jahr 1964 eröffnet. Bartholomaios bezeichnete die Vertreibung zehntausender ethnischer Griechen vor 60 Jahren als eine nach wie vor "offene Wunde", wie das Infoportal "OrthodoxTimes" berichtete. Die Menschen seien ihrer Rechte und ihrer Lebensgrundlage beraubt worden.
Die tragischen Ereignisse hätten zu tiefem Schmerz innerhalb der griechischen Gemeinschaft und zu einem starken Rückgang ihrer Bevölkerung in Istanbul geführt, was sich auch auf das Ökumenische Patriarchat auswirkte, das seinen Sitz in Istanbul hat. Unter den Deportierten seien auch Bischöfe gewesen, erinnerte der Patriarch, griechischen Schulen und weitere kirchliche Einrichtungen mussten geschlossen werden.
Der Patriarch sprach von einer "tiefen Sehnsucht" der Vertriebenen nach ihrer alten Heimat. Zugleich unterstrich er einmal mehr das unerschütterliche Engagement des Patriarchats für Dialog und Versöhnung und er zog Parallelen zwischen den Vertreibungen von 1964 und den heutigen Konflikten in der Ukraine und im Nahen Osten, die unzählige Menschen ins Exil getrieben haben. Die Welt habe scheinbar nichts gelernt, so der Patriarch, im Blick auf die Not und das Leid der Vertriebenen.
Die Konferenz in Istanbul wurde von der Hrat Dink-Stiftung veranstaltet. Man wolle mit der Veranstaltung das öffentliche Bewusstsein in der Türkei wie auch in Griechenland für die tragischen Ereignisse vor 60 Jahren steigern, hieß es. Über die Ereignisse sei viel zu wenig bekannt. (Infos: https://hrantdink.org/en/)
Tausende Vertriebene
Schon 1955 kam es in Istanbul zu gewaltsamen Pogromen gegen die Griechen. In der Nacht vom 6. auf den 7. September 1955 wurden rund 4.200 Geschäfte der griechischen Gemeinde aufgebrochen, geplündert und/oder in Brand gesetzt, über 1.000 Wohnungen, 71 Fabriken, 73 Kirchen und 26 Schulen wurden geplündert und/oder zerstört. Bis zu 15 Personen sollen ums Leben gekommen sein, mehrere hundert Personen wurden verletzt. Neben Griechen waren u.a. auch Armenier betroffen. Infolge der Ereignisse wanderten rund 15.000 Griechen aus, die Zurückgebliebenen fanden sich in einem zunehmend feindlicheren Umfeld wider.
Die antigriechische Stimmung stand in Zusammenhang mit der Zypern-Krise. Die Griechen in Istanbul wurden zu Sündenböcken.1962 startete die Kampagne "Bürger, sprich Türkisch". Wer in der Öffentlichkeit Griechisch sprach, wurde oftmals angepöbelt oder attackiert. 1963 kam die Kampagne "Der Türke kauft beim Türken". Im März 1964 kündigte die türkische Regierung das Freundschaftsabkommen mit Griechenland. Rund 13.000 Istanbuler Griechen wurden des Landes verwiesen. Zusammen mit ihren Angehörigen waren es fast 50.000 Griechen, die das Land verlassen mussten. Allerdings nicht in einer großen Aktion, sondern verteilt über Monate. Die Öffentlichkeit erfuhr wenig darüber.
Wer zur Ausweisung vorgesehen war, erhielt eine Frist von wenigen Tagen und durfte nur Geld im Wert von 20 Dollar und einen Koffer mit 20 Kilo persönlichen Habseligkeiten mitnehmen. Die Bankkonten der Betroffenen wurden gesperrt und später eingezogen, ihre Häuser durften sie nicht verkaufen. An der Grenze verloren viele Griechen dann nochmals Wertsachen.
Fazit: Während 1945 noch bis zu 125.000 orthodoxe Griechen als Minderheit in Istanbul lebten, waren es Anfang 1964 noch 80.000, 1965 nur mehr 30.000 und heute sind es maximal noch 2.000.
Die Ausweisung der Griechen bzw. die damit verbundene türkische Politik hatte auch für das Ökumenische Patriarchat schwerwiegende Auswirkungen. Unter den Ausgewiesenen waren auch Geistliche, 1964 wurde das griechische Waisenhaus von Büyükada (Prinkipos) geschlossen und alle nicht-türkischen Studenten mussten die orthodoxe Hochschule auf Chalki verlassen. (1971 wurde sie endgültig geschlossen.) Die Druckerei des Patriarchats wurde ebenfalls geschlossen.
Griechisch-orthodoxen Geistlichen war es verboten, lokale griechische Schulen zu betreten. Das Morgengebet wurde in den griechischen Schulen verboten, ebenso das Abhalten von religiösen Feiern zu Weihnachten und Ostern. In griechischer Sprache verfasste Bücher wurden verboten und die türkischen Behörden verweigerten auch die Erlaubnis zur Reparatur baufälliger Bildungseinrichtungen. Ab Dezember 1964 war es griechischen Schülern sogar während der Klassenpausen verboten, Griechisch zu sprechen.