Norweger mit Zweitwohnsitz Hainburg im Interview mit "Der Sonntag": "Schon seit meinem ersten Stück gab es eine religiöse Dimension in meinem Schreiben"
Wien, 22.11.2024 (KAP) Der norwegische Literaturpreisträger Jon Fosse hat in seinem Schreibprozess zum Katholizismus gefunden. "Mir fiel etwas ein, und ich wusste nicht, woher es kam. Mein Geist öffnete sich für das, was man im katholischen Kontext die unsichtbaren Dinge nennt", beschrieb Fosse seine "spirituelle Suche" im Interview mit der Quartalszeitschrift der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag". Nachdem er als Teenager der norwegischen Kirche den Rücken gekehrt hatte, führte die Lektüre von Meister Eckhart den 65-Jährigen, einst Atheist und dann Quäker, zum Katholizismus. Er teile die geistliche Haltung des damals als Häretiker verurteilten Denkers und Dominikaners und sei kein Dogmatiker, wie er betonte: "Nur das Mysterium des Glaubens zählt, und dass du versuchst, Teil davon zu sein."
Seit einigen Jahren hat Fosse seine "zweite Heimat" im niederösterreichischen Hainburg gefunden. Dort schrieb er unter anderem nachts an seiner international gefeierten "Heptalogie". Heuer fand sie mit dem Roman "Ein neuer Name", der eine Gottsuche zum Thema hat, zu ihrem Abschluss. "Schon seit meinem ersten Stück gab es eine religiöse Dimension in meinem Schreiben", erklärte Fosse im Interview mit "Der Sonntag". Obwohl er zum Zeitpunkt der ersten Produktion seines Stücks noch kein Katholik gewesen sei, habe ein schwedischer Kritiker gemeint, "dass der Schriftsteller ein Katholik sein muss". Der Grund sei seine "mystische Seite", die mit dem Prozess seines Schreibens einhergehe.
"Gentle testimony of faith"
Sein konzentriertes Schreiben verglich Fosse mit dem konzentrierten Beten von Menschen, die er in Kirchen und Kathedralen auf seinen Reisen gesehen habe. "Das hat mich tief beeindruckt. Das kann man sich in einer protestantischen Kirche nicht vorstellen", so der 2013 zum Katholizismus konvertierte Christ, der sich eingehend mit Theologie und der Geschichte der Kirche beschäftigte. "Aber das ist nicht der Kern. Das Zentrum ist das Geheimnis des Glaubens. Alles andere kann man vergessen", erklärte Fosse, der etwa die Sicht des Vatikans auf das Frauenpriestertum und Homophilie nicht teilt.
2023 erhielt der Dramatiker, Übersetzer, Prosa- und Kinderbuchautor den Literaturnobelpreis für "seine innovativen Theaterstücke und Prosa, die dem Unsagbaren eine Stimme geben", wie die Schwedische Akademie in ihrer Begründung mitteilte. Papst Franziskus rühmte in einem Glückwunschbrief Fosses "gentle testimony of faith", wie die "NZZ" (Neue Zürcher Zeitung) berichtete. Seine Nobel-Vorlesung in Stockholm beschloss Fosse mit einem Dank an Gott. "Alles, was ich schreibe, ist eine Art Gebet", beschrieb der Autor seine Werke.
Auch die niederösterreichische Stadt Hainburg habe sein Schreiben stark beeinflusst, erklärte der Autor gegenüber "Der Sonntag": "Ich denke manchmal, dass die besten Schriftsteller der Welt entweder aus Irland oder aus Österreich kommen. Das sind kleine katholische Länder, aber die können es."
Das "Magazin" der Wiener Kirchenzeitung "Der Sonntag" begleitet mit vier Ausgaben die Feste des Jahres. Abonnenten und Abonnentinnen der Wochenzeitung erhalten die Magazine "als zusätzliches Geschenk".
Wiener Theologe und Initiator der Poetikdozentur: Fosse hat "waches Sensorium für die Unfassbarkeit des Geheimnisses", ohne dabei "gottprotzig" zu werden