Neue Podcast-Folge von "Diesseits von Eden" mit dem Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück und dem Münchner Jesuiten und Konzilsexperte Andreas Batlogg
Wien, 21.11.2024 (KAP) Eine hohe Aktualität gerade im Blick auf aktuelle Kirchenreformdebatten haben der Wiener Dogmatiker Prof. Jan-Heiner Tück und der Münchner Jesuit und Konzilsexperte P. Andreas Batlogg dem Konzilsdokument "Lumen gentium" attestiert. Zum einen seien nicht wenige Querelen in der aktuellen Debatte um die Ausübung kirchlicher Leitungsgewalt auf zwei unverbunden nebeneinander stehende Kirchenbildern in dem Dokument zurückzuführen; zum anderen könne man aber am Dokument und seiner Genese auch lernen, wie man mit Unterschieden umgehen kann, unterstreichen die beiden Theologen in einer aktuellen Folge des Theologie-Podcast "Diesseits von Eden". Anlass des Gesprächs bot der 60. Jahrestag der Promulgation des Dokuments am 21. November 1964 durch Papst Paul VI.
Auf die bewegte Entstehungsgeschichte des Dokuments verwies in dem Gespräch der Jesuit und frühere "Stimmen der Zeit"-Chefredakteur Andreas Batlogg, der zuletzt selber ein viel beachtetes Buch über das Konzil publiziert hat. Das vorbereitete Schema (Textvorlage) sei u.a. vom Theologen Karl Rahner als Berater von Kardinal Franz König auf dem Konzil heftig kritisiert worden. Auch andere Theologen hätten sich dafür stark gemacht, das Dokument in "dialogische Offenheit" zur Welt hin zu formulieren. "Wer sind wir als Kirche in dieser Welt? Sind wir eine hierarchische Klerikerkirche, eine Bischofskirche oder eben Kirche als wanderndes Volk Gottes? Letzteres ist die Metapher, die das Konzil dann gefunden hat - eine Art neues Kirchenbild, an dem u.a. Karl Rahner maßgeblich mitgewirkt hat."
Mit der Formel des "subsistit in" habe außerdem eine "ökumenische Öffnungsklausel" Eingang ins Konzil und das Selbstverständnis der Kirche gefunden, so Batlogg weiter. Mit der Formulierung "subsistit in" wird darauf hingewiesen, dass die Kirche Jesu Christi zwar in der Katholischen Kirche verwirklicht ist, aber Kirche sich zugleich nicht in der Katholischen Kirche erschöpfe. "Wenn man heute die aggressiven Töne, die Verketzerung von anderen Meinungen und Positionen hört, dann könnte man meines Erachtens von den Konzilsvätern durchaus lernen, wie man mit Anstand miteinander ringen kann", so Batlogg.
Auch Tück verwies in dem Gespräch darauf, dass das Dokument sich sowohl einer "hierarchischen Engführung" von Kirche auf der einen Seite als auch einer einseitigen Ermächtigung der Laien als Volk Gottes verweigere. "Es geht nicht nur darum, die Partizipationsmöglichkeiten von Laien an der Leitung der Kirche zu unterstreichen, sondern primär darum, Laien, die getauft und gefirmt sind, dazu zu befähigen, in den pluralen Lebenswelten der Spätmoderne dem Evangelium Stimme und Gesicht zu geben." Damit entspreche das Dokument ganz dem Anliegen, das Papst Franziskus auch mit dem Synodalen Prozess für die Weltkirche verfolge, so Tück und Batlogg einhellig.
Zugleich verwies Tück auf Aspekte, die heute fast vergessen seien - etwa die "eschatologische Tiefendimension von Kirche: Kirche erschöpft sich nicht in der Gemeinschaft derer, die heute leben und glauben, sondern sie ist eine Gemeinschaft, die Lebende und Verstorbene gleichermaßen umgreift." Außerdem bürge die Reflexion des Dokuments auf Kirche als "Mysterium" dafür, dass Kirche stets "größer und komplexer" zu denken sei, als ihr weltliches Erscheinungsbild.
Bischöfe können nicht mehr "durchregieren"
Auf die Debatte um die Leitungsvollmacht des Papstes und die Entscheidungsgewalt der Bischöfe angewendet halte "Lumen gentium" außerdem fest, dass das Papstamt in das bischöfliche Kollegium eingebettet sei - und dass auch die Bischöfe sich immer wieder in ihren Entscheidungen synodal an das Volk Gottes rückbinden müssten, so Tück weiter. Hier gehe der Abschlussbericht der jüngsten Weltsynode im übrigen auch über "Lumen gentium" hinaus, insofern die bischöfliche Entscheidungskompetenz zwar im Kern nicht angetastet werde, aber sie zugleich "nicht bedingungslos" bleibe: "Die Ausübung der bischöflichen Leitungskompetenz bekommt moralische Autorität, wenn synodale Abstimmungs- und Beratungsprozesse vorangegangen sind und die Entscheidung sich auch dem Gegenüber zu verantworten hat. Transparenz- und Rechenschaftspflicht sind da wichtige Momente. Damit ist auch klar: Als Bischof kann man heute nicht mehr wie ein Barockfürst 'durchregieren', sondern man muss sich beraten lassen. Das ist jetzt festgeschrieben."
Batlogg und Tück plädierten weiters dafür, die Konzilsdokumente als "Gesamtpaket" zu sehen, d.h. in ihrer Verwiesenheit aufeinander: Das Kirchenverständnis könne etwa nicht ohne die Ausführungen von "Gaudium et spes" zum Verhältnis der Kirche zur Welt verstanden werden; auf eine dialogische Öffnung hin zu den anderen Religionen verpflichte nicht nur "Lumen gentium", sondern auch "Unitatis redintegratio" (Ökumenismus-Dekret) und das Dokument über die Religionsfreiheit, "Dignitatis humanae". Entsprechend müssten auch mit Nachdruck alle Versuche zurückgewiesen werden, etwa im Gespräch mit den Piusbrüdern einzelne Dokumente als nicht-verbindliche Dokumente abzutun, mahnte Tück. "Wer die Dekrete und Erklärungen in Frage stellt, stellt letztlich die dogmatischen Konstitutionen, die diese Dekrete und Erklärungen grundlegen, in Frage."
Wichtig sei es außerdem angesichts der aktuellen Debatten um die vatikanische Diplomatie im Blick auf den Gaza-Krieg festzuhalten, dass sowohl "Lumen gentium" als auch die Erklärung "Nostra aetate" des Konzis festhalten, "dass Kirche, wenn sie über sich selbst nachdenkt, dies nie tun kann, ohne zugleich über die theologische Verwurzelung in Israel nachzudenken", so Tück. Und Batlogg ergänzte: "Es ist ein amputiertes Christentum, wenn wir meinen, ich kann Christ sein, ohne im Bewusstsein zu leben, dass Jesus Jude war und Jude blieb. Das ist schon auch eine Errungenschaft des Konzils."
Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils schränkte den Papstprimat ein, wertete das Kollegium auf und befasste sich auch mit der Stellung der sogenannten Laien in der Kirche - Hintergrundbericht von Ludwig Ring-Eifel