Deutsche Ostkirchenexpertin Elsner bei "Pissarek-Hudelist-Vorlesung" an Universität Innsbruck: Ukraine-Krieg kann nicht beendet werden ohne Auseinandersetzung mit Geschlechtergerechtigkeit
Innsbruck, 22.11.2024 (KAP) Die seit dem Ukraine-Krieg besonders deutlichen tiefen Ambivalenzen christlicher Friedensethik hat die deutsche Theologin Prof. Regina Elsner aufgezeigt. Die Kirchen seien dazu gerufen, Frieden und Versöhnung zu stiften, doch sie seien zugleich ideologisch und militärisch tief verstrickt in diesen Krieg und diese ideologische Verstrickung zeige sich besonders in der Frage der Geschlechtergerechtigkeit, so Elsner. Das zentrale Problem kirchlicher Friedenspolitik besteht demnach darin, dass viele Kirchen und Religionsgemeinschaften die Geschlechterideologie der Russisch-orthodoxen Kirche teilen und damit implizit deren kriegslegitimierende Ideologie.
Prof. Elsner hielt am Donnerstagabend einen Vortrag im Rahmen der "9. Pissarek-Hudelist-Vorlesung" an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck. Ihr Vortrag stand unter dem Generalthema: "Wie gerecht ist der 'gerechte Frieden'? Gender als Leerstelle kirchlicher Friedenspolitik". Elsner ist Professorin für Ostkirchenkunde und Ökumenik an der Universität Münster.
Ausgehend von einer Differenzierung unterschiedlicher Friedenskonzepte veranschaulichte Elsner, wie die Vernachlässigung oder bewusste Ausklammerung von Geschlechtergerechtigkeit aus kirchlichen Friedenskonzepten einen nachhaltigen Frieden verhindert. Solidarische wie christliche Konzepte von "Friede" fokussierten auf die Würde des einzelnen Menschen, aber es fehle eine Auseinandersetzung mit umfassender Geschlechtergerechtigkeit. Dies sei umso problematischer, da der sogenannte "Kampf gegen Gender" ausdrückliches Kriegsziel Russlands sei, warnte Elsner.
In einem historischen Aufriss zeichnete die Ostkirchenexpertin nach, wie die Russisch-orthodoxe Kirche ab den 1990er-Jahren zusehends moraltheologische Fragen in den Fokus rückte und sich als globaler Player gegen "den Liberalismus" stellte. Dazu gehört ab den 2000er-Jahren auch eine Distanzierung vom "gerechten Frieden" und eine Wiederkehr der Lehre vom "gerechten Krieg".
Gerechtigkeit, so Elsner, sei im russisch-orthodoxen Denken nur vor Gott und innerhalb einer göttlichen Ordnung möglich. Demokratie und Menschenrechte seien aus dieser Perspektive widergöttlich. Seit Jahrzehnten schmiede die Russisch-orthodoxe Kirche Allianzen gegen eine liberale Ordnung und trete als Anwältin sogenannter "traditioneller Werte" auf. Elsner wies aber auch darauf hin, dass auch die Katholische Kirche in Teilen an dieser Allianz mitarbeite.
Den russischen Krieg gegen die Ukraine sah Elsner als imperialistischen und völkermörderischen Krieg, der auch Teil eines globalen Kampfes gegen die liberale Ordnung, Menschenrechte und Demokratie sei. "Dieser Krieg kann nicht beendet werden ohne Auseinandersetzung mit Geschlechtergerechtigkeit", zeigte sich Elsner überzeugt, denn "der Kampf gegen Gender ist Teil der Vorbereitung des Kriegs und seiner Durchführung".
Wie könne aber eine aktive Diplomatie für einen gerechten Frieden aussehen, insbesondere durch religiöse Akteure, wenn diese die zugrundeliegende Ideologie mehr oder weniger stark teilen würden, stellte Elsner zur Debatte.