Auftakt zu Fachtagung und Festakt am 25./26. November unter dem Titel "Herkunft-Zukunft-Jetzt 250 Jahre Pastoraltheologie in Wien" - Pock: Pastoraltheologie will "Mitarbeiterin an einer guten Zukunft für die Menschen" sein - Polak: "Wieder stärker an apokalyptisch-eschatologisches Erbe anknüpfen, um Hoffnung für taumelnde Welt zu entwickeln"
Wien, 25.11.2024 (KAP) Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Pastoraltheologie stehen im Fokus eines Fachsymposions, mit dem die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Wien am Montag und Dienstag (25./26. November) den 250. "Geburtstag" des Faches Pastoraltheologie feiert. 1774 wurde die Disziplin vom damaligen Abt Franz Stephan Rautenstrauch im Auftrag von Kaiserin Maria Theresia begründet. Zum Auftakt der Tagung zeigte der Wiener Pastoraltheologe Prof. Johann Pock, der die Tagung gemeinsam mit Prof. Regina Polak und Prof. Christian Friesl organisiert hat, in einem kursorischen Durchgang die wechselvolle Geschichte des Faches auf - von den Anfängen einer vor allem praktischen Ausbildungsdisziplin für Priester über die Ausweitung und "empirische Wende" bis hin zur "Kairologie" (P. Zulehner).
Heute gelte es, das Fach abermals weiterzuentwickeln, so Pock: "Pastoraltheologie ist keine Zukunftswissenschaft, keine Trendforschung - sondern Mitarbeiterin an einer guten Zukunft für die Menschen." Dies gelte es in Richtung von "Zukunftsarbeit als Hoffnungsarbeit" weiterzuentwickeln, so Pock, damit "auf Basis einer guten theologischen Gegenwartsanalyse Optionen und Visionen sichtbar werden können, um die Gegenwart in eine gute Zukunft zu transformieren".
Die Wiener Pastoraltheologin Prof. Regina Polak plädierte zur Eröffnung des ersten Panels für eine Wiederentdeckung des "apokalyptisch-eschatologischen Erbes", um daraus "Hoffnung für eine taumelnde Welt" zu schöpfen. Die Gegenwart werde von vielen Menschen als "Zeitenwende" empfunden - Gewissheiten würden bröckeln, Unsicherheit zu einem bestimmenden Lebensgefühl; Hoffnung als Ressource sei Mangelware. In dieser Situation könne der biblische Glaube zu einem notwendigen Resilienz- und Hoffnungsfaktor werden, zeigte sich Polak überzeugt. Für die Pastoraltheologie bedeute dies aber zunächst ein hohes Maß an "Zeitsensibilität" zu zeigen, die "Dramatik der Gegenwart" beim Namen zu nennen - ohne zugleich "dem Leiden und dem Bösen zu gestatten, unseren Geist zu beherrschen", so Polak. Auf dieser Basis könne "widerständige Hoffnung" gedeihen.
Den Auftakt machte am Montagnachmittag ein erstes Panel unter dem Titel "Epochenwandel - theologische Situationsanalyse", bei dem Gabriele Eder-Cakl (Österreichisches Pastoralinstitut), Yuval Katz (Institut für Religionswissenschaft, Wien) und Johannes Kaup (ORF-Religion) zu Wort kamen. Dabei zeigte sich Eder-Cakl überzeugt, dass es aus pastoraler Sicht wichtig sei, dass sich Christinnen und Christen "als Teil der Lösung" der Probleme der Gegenwart verstehen müssten. Der Auferstehungsglaube sei Motor dieser Hoffnung. Auch gelte es, wach auf die Entwicklungen in Kirche und Gesellschaft zu blicken, die nicht überall so negativ seien, wie man gemeinhin meine: "Wir sehen an vielen Orten wie etwa auch bei der Matura-Aktion 'BeBlessed', dass sich junge Menschen verbinden wollen", so die Pastoraltheologin. Auch in der digitalen Welt gebe es "Gebet, Seelsorge, Glaube - das stimmt mich zuversichtlich." Entscheidend allerdings für die künftige Glaubwürdigkeit der Kirche sei der Umgang mit den Frauen - bzw. die Ermöglichung von Teilhabe auf allen Ebenen, so Eder-Cakl.
Der jüdische Religionswissenschaftler Yuval Katz zeigte sich skeptisch gegenüber der Rede von einer Zeitenwende: Gewiss, die Menschen seien heute weniger optimistisch als früher im Blick auf die Zukunft; doch sei dies noch kein hinreichendes Kriterium, um tatsächlich eine Zeitenwende festzustellen. Tatsächlich gebe es - wie auch Eder-Cakl meinte - in vielen Bereichen durchaus Fortschritte und Entwicklung zum Besseren hin.
Der Journalist Johannes Kaup zeichnete seinerseits das Bild einer von Unsicherheit und dem Gefühl des "schwankenden Bodens" bestimmten Gegenwart. "Viele Menschen fühlen, dass sie etwas verlieren könnten und erwarten in Zukunft Verluste". Das "Fortschrittsversprechen der Moderne" sei brüchig geworden; zugleich herrsche gerade in einer Zeit beschleunigter "Transformationsprozesse" eine "Transformationsmüdigkeit" vor. Den Kirchen beschied Kaup angesichts dessen die Chance, Kräfte der Hoffnung neu freisetzen zu können, wenn es ihr gelinge, für Kooperationen gerade jenseits der eigenen kirchlichen Blase in der Zivilgesellschaft offen zu sein. Schließlich gebe es weiterhin eine Sehnsucht nach der "transzendenten Dimension, die uns allen gemeinsam ist", zeigte sich Kaup überzeugt.
Interdisziplinäre Panels zeigen Bandbreite
Die ganze thematische Bandbreite, mit dem sich das Fach Pastoraltheologie heute auseinandersetzt, wurde im Rahmen der Wiener Fachtagung zum 250. "Geburtstag" des Faches in weiteren, bewusst interdisziplinär angelegten Panels sichtbar. Nach dem Eröffnungspanel, das im Zeichen einer Situationsanalyse stand, folgten weitere Panels zum Thema "Von Gott reden im Heute" und zum Thema "Werte-Gesellschaft- Politik".
Über die Frage einer zeitgemäßen Rede von Gott tauschten sich dabei Prof. Pock, die Erlangener evangelische Theologin Prof. Ursula Roth, der Wiener Fundamentaltheologe Prof. Jakob Deibl und die Digital-Expertin und Leiterin des Bereichs "Pastoral im digitalen Raum" der Erzdiözese Wien, Stefanie Sandhofer aus. Pock plädierte für eine "mutige Weiterentwicklung" zeitgemäßer Verkündigungsformen, in denen nicht nur auf klassische Medien und Formen der Vermittlung von Glaubensinhalten geblickt werden müsse. Nur so könne die Rede von Gott auch gesellschaftlich breit wahrgenommen werden und politische Kraft entfalten. "Es braucht viel Kreativität, um auf den neuen Areopagen bestehen zu können - aber ich glaube es lohnt sich", so Pock.
Roth plädierte dafür, in der Pastoraltheologie wie auch in der empirischen Beforschung der Glaubensrealität einen "breiteren Blick" zu wagen und so auch Glaubensformen in den Blick zu nehmen, die nicht im Bereich klassischer Kirchlichkeit und kirchlicher Vollzüge liegen. Vorbehalte gegenüber einer "allzu vollmundigen Rede von Gott in der Öffentlichkeit" äußerte Jakob Deibl. Die Vokabel Gott sei "ambivalent" - schließlich würde als "der Abwesende schlechthin" ebenso in Erscheinung treten wie als "überall präsent". Gerade in der Pastoral brauche es daher eine große Sensibilität für die Vielfalt dessen, was Menschen mit "Gott" verbinden.
Stefanie Sandhofer gab schließlich Einblicke in das von ihr mit initiierte Projekt "weilmaglaubn.at", wo sie und eine Mitstreiterin über das "Alltagsleben mit Gott* & Kirche" schreibt bzw. im Rahmen dessen Videos produziert. Es sei überraschend, wie viele Menschen sie auf diese niederschwellige Form der direkten Kommunikation, bei der sie auch viel von sich preisgebe, erreiche, so Sandhofer. Eine zeitgemäße Pastoral müsse wagen, nicht nur neue Formen und Medien zu nutzen, sondern auch die eigene Sprache überdenken. In der digitalen Welt gehe es "nicht darum, dass wir unseren Glauben auf andere übertragen, sondern dass wir die Kraft sichtbar machen, die der Glaube uns gibt".
Werteforschung im Fokus
Im dritten Panel des Tages stand eine wichtige Säule der Wiener Pastoraltheologie im Fokus: die Werteforschung. Einen kursorischen Überblick über die Entwicklungen in diesem Bereich von den Anfängen bis zum heutigen überfakultären "Netzwerk Interdisziplinäre Werteforschung" boten die Theologen Christian Friesl und Patrick Rohs. Empirische Werteforschung sei heute eine wichtige Basis moderner Pastoraltheologie und sei auch "hochrelevant", um die "Zeichen der Zeit" fundierte deuten zu können, so Friesl.
Detailliertere Blicke warf Friesl etwa auf den hohen Stellenwert, den die Befragungen über die Jahrzehnte der Familie beimessen; doch auch das "volatile Vertrauen in Institutionen" sei ein wichtiger Ankerpunkt für die Werteforschung. Um dieses Vertrauen zu stärken, brauche es "Ressourcen, Verlässlichkeit und Beteiligung" - ähnliches gelte für die Demokratie selbst. Hier bestehe auch eine Aufgabe für die Pastoraltheologie. Rohs wies weiters darauf hin, dass Österreich zwar im europäischen Vergleich weiterhin über eine "überdurchschnittliche Ausprägung von Zusammenhaltsressourcen" verfüge, dass jedoch in den letzten Jarhen und forciert durch gesellschaftliche Krisen "der soziale Zusammenhalt stark beansprucht" und somit prekär wurde. Angesichts dessen und einer weiteren Individualisierung brauche es verstärkt "Lernorte für ein gelingendes Miteinander und den demokratischen Austausch" sowie eine verstärkte Wertebildung, so Rohs.
Diskutiert wurden diese Thesen u.a. von der Wiener Sozialwissenschaftlerin Prof. Sylvia Kritzinger und der Dekanin der Katholisch-Theologischen Fakultät, Prof. Andrea Lehner-Hartmann. Letztere unterstrich, dass es zentral sei, "Demokratie als Lebensform" zu begreifen, um ins Schwanken geratene Werte zu stärken. Indem man politische Beteiligungsformen in der Praxis erlebe, stelle sich die Erfahrung der Selbstwirksamkeit ein, die wiederum Vertrauenswerte heben könne. "Wir müssen außerdem lernen, unterschiedliche Positionen in den Dialog zu bringen, ohne einander gleich als Feinde abzustempeln", so Lehner-Hartmann.
Einblicke aus der gesellschaftlich-sozialen Praxis bot außerdem der frühere Caritas-Generalsekretär, frühere Grünen-Geschäftsführer und nunmehrige Geschäftsführer des Bündnisses für Gemeinnützigkeit, Stefan Wallner. Der attestierte Vertrauensverlust in die politischen Institutionen sei nicht zuletzt auch für die wichtige Arbeit der NGOs eine große Herausforderung, so Wallner. Schließlich sei die politische Öffentlichkeit der zentrale Umschlagplatz der NGO-Arbeit. Wenn das Vertrauen in Medien und diese kritische Öffentlichkeit schwinde, schwinde auch die Basis der Arbeit der NGOs. "Wir erleben eine völlige Disruption der Öffentlichkeit", so Wallner. Für die NGOs folge daraus, dass sie künftig nicht nur ihr Kerngeschäft betreiben müssen, "sondern wir uns auch um die Voraussetzungen unserer Arbeit kümmern müssen" - und das Vertrauen in den Diskurs, die Öffentlichkeit, die Medien und die Demokratie fördern müssen.
Den Festvortrag am Montagabend, 25. November, im Großen Festsaal der Universität Wien hält Prof. Hans Pock. Daneben sind eine musikalische Darbietung, Grußworte und eine kabarettistische Einlage geplant. Außerdem wird im Rahmen des Festaktes dem langjährigen Vorstand und bekannten Wiener Pastoraltheologen Prof. Paul M. Zulehner zu seinem 85. Geburtstag (am 20. Dezember dieses Jahres) gratuliert.
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