Festakt an Wiener Universität anlässlich der Einführung der Pastoraltheologie im Jahr 1774 als eigene theologische Disziplin - Kardinal Schönborn: Wiener Pastoraltheologie leistet gesellschaftlichen Beitrag zu Frieden und Verständigung - Pastoraltheologe Zulehner gewürdigt
Wien, 26.11.2024 (KAP) Die pastoraltheologische Forschung und Lehre an der Universität Wien hat sich in den letzten 50 Jahren nach einer 200 Jahre langen Fokussierung auf die Sakramentenpastoral "ausgeweitet auf die Verantwortung für ein gelingendes gemeinsames Leben der Menschen in Kirche und Welt". Das hat der Wiener Pastoraltheologe Prof. Johann Pock bei der Festveranstaltung "250 Jahre Pastoraltheologie in Wien" am Montagabend betont. Vor zahlreichen Gästen im Großen Festsaal der Universität Wien legte Pock dar, dass die Pastoraltheologie schon lange keine Anwendungswissenschaft der Theologie mehr sei, sondern sich als "Handlungswissenschaft versteht, die sich in die Praxis von Kirche und Welt hineinbegibt". Entsprechend breit sei das Fach inhaltlich und methodisch aufgestellt.
Trotz dieses Wandels sei die Einführung der Pastoraltheologie vor 250 durchaus "innovativ" gewesen. Maßgeblich dafür waren die Arbeiten vom damaligen Abt Franz Stephan Rautenstrauch für die Studienordnung des neuen Faches, die 1774 von Kaiserin Maria Theresia in Kraft gesetzt wurde. Rautenstrauch habe damals den Graben zwischen der theoretischen theologischen Ausbildung und der Praxis der Priester in den Pfarren festgestellt und versucht, den Bezug zur Praxis bereits im Studium selbst zu thematisieren, nicht erst in der Praxiseinführung.
Nach Rautenstrauch sollte die Pastoraltheologie die angehenden Priester mit den wesentlichen praktischen Pflichten ihrer Tätigkeit vertraut machen: "Unterweisungspflicht, Ausspendungspflicht, Erbauungspflicht" - wie auch die drei großen Traktate damals hießen. Inhaltlich sei es dabei um die Einführung in die Katechese und Verkündigungslehre gegangen, die Sakramentenpastoral und die moralische sowie psychologische Bildung der Priester, die damals die einzigen hauptamtlichen Personen in der Seelsorge waren.
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65) habe sich das Fach dann massiv verändert: Ausgangspunkt seien jetzt die Fragen und Erfahrungen der Menschen, die in das Gespräch mit der christlichen Tradition zu bringen seien. Pock wörtlich: "Im Prinzip hat sich damit die Richtung um 180 Grad gedreht: Vor 250 Jahren und auch noch vor dem Konzil ging es um die Frage: Wie können wir unsere Botschaft, wie können wir das Evangelium, am besten an den Mann, an die Frau bringen? Heute lautet die Frage zunächst: Was sind die Fragen, Sorgen, Hoffnungen und Ängste der Menschen? Was haben sie uns zu sagen - und wie verändert sich durch sie auch der eigene Blick auf die Tradition? Und erst dann die Frage: Und was können wir ihnen bieten; wo können wir hilfreich sein mit unseren Forschungen."
Entsprechend vielfältig seien daher auch die in der Pastoraltheologie behandelten Themen. Sie reichten von der Befassung mit der Veränderung kirchlicher Strukturen - Stichworte "Weltsynode" und "arme Kirche der Armen" - über eine ökumenisch und interreligiös geweitete Perspektive hin zu gesellschaftlich relevanten Themen wie Migration, Antisemitismus oder Klimagerechtigkeit.
Schönborn würdigt Beitrag zu Frieden und Verständigung
"Nicht nur die akademische Theologie profitiert von der Zugangsweise der Pastoraltheologie. Auch für die Kirche und die Erzdiözese Wien ist die Pastoraltheologie eine wichtige Gesprächspartnerin, die darüber reflektiert, wie das Evangelium heute konkret vor Ort gelebt und bezeugt werden kann." Das hat Kardinal Christoph Schönborn in seinem beim Festakt verlesenen Grußwort unterstrichen. Der Wiener Erzbischof würdigte in seiner Eigenschaft als Großkanzler der Katholisch-theologischen Fakultät die vielen Impulse, die seit dem Konzil von der Wiener Pastoraltheologie ausgegangen seien und nannte dabei ausdrücklich das Wirken von Prof. Paul Zulehner, "dessen Werte- und Religionsforschung weit über Wien hinaus bekannt geworden sind".
Bis heute spiele die Wiener Pastoraltheologie nicht nur eine große Rolle in der Ausbildung und Vorbereitung auf den kirchlichen Dienst, sondern habe auch eine gesellschaftliche Bedeutung, führte der Kardinal aus und hielt fest: "Schlüsselthemen des Zusammenlebens, die auch mir selber sehr am Herzen liegen, werden reflektiert und begleitet: Fragen der Migration, des interreligiösen Dialogs, des interkonfessionellen Miteinanders, der gesellschaftlichen Grundwerte - und zwar nicht nur aus einer theologischen Binnenperspektive, sondern im fruchtbaren Austausch mit anderen Disziplinen, Religionsgemeinschaften und Konfessionen. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zu Frieden und Verständigung."
Zulehner gewürdigt
Seitens der Universität wies deren Vizerektorin Prof. Christa Schnabl darauf hin, dass die Pastoraltheologie im Vergleich zu vielen anderen Fächern an der Universität "wirklich sehr alt ist". Sie beschrieb die Praktische Theologie als eine "Scharnierwissenschaft", die "sowohl tragend als auch beweglich" sei. Solch ein "Scharnier zwischen den theologischen Disziplinen, zwischen Fakultät und Rektorat sowie zwischen Universität und Öffentlichkeit" sei auch Prof. Zulehner in seiner früheren Amtszeit als Dekan der Theologischen Fakultät gewesen.
Die Dekanin der Theologischen Fakultät, Prof. Andrea Lehner-Hartmann, sprach davon, dass mit der Einführung der Pastoraltheologie vor 250 ein "Professionalisierungsschub der Theologie" verbunden gewesen sei. Auch sei es der Wiener Pastoraltheologie in den letzten Jahrzehnten durch die Arbeiten von Paul Zulehner, Johann Pock, Regina Polak und Christian Friesl gelungen, sich international zu positionieren.
Im Rahmen des Festaktes wurde daher auch dem langjährigen Vorstand und bekannten Wiener Pastoraltheologen Prof. Paul M. Zulehner zu seinem bevorstehenden 85. Geburtstag (am 20. Dezember dieses Jahres) gratuliert. Pock über seinen Vorgänger, der 25 Jahre als Ordinarius gewirkt hatte: "Du hast mehr Bücher geschrieben, als die meisten je insgesamt lesen werden. Du hast vor allem mit dem Pastoralen Forum etwas geschaffen, das ganze Generationen von Theologinnen in den Ländern von Ost-, Mittel- und Südeuropa geprägt hat und weiterhin prägt - und einige davon sind heute auch hier."
Der Angesprochene dankte für die "unerhoffte Feier" und gab zugleich einen kurzen Einblick in seinen derzeitigen pastoraltheologischen Alltag. Dazu gehörten nach wie vor Online-Seminare mit Teilnehmende aus Russland, der Ukraine, Georgien und anderen osteuropäischen Ländern, die jedoch vom über 1.000 Tagen anhaltenden Krieg in der Ukraine überschattet seien. Immer drängender sei vor diesem Hintergrund laut Zulehner die Frage und zugleich der Wunsch: "Wie können wir als Pastoraltheologen Kontakte halten und Versöhnungsarbeit präventiv leisten?"
Der Festakt endete mit einem in Reimen eigens getexteten Kabarett unter dem Titel "Himmlische Evaluation", dargeboten von Studierenden. Es sei eine "Allegorie auf die Arbeit im Institut" und zeige, dass die Pastoraltheologie auch eine "kreative Wissenschaft" sei, wie Prof. Polak eingangs dazu sagte.
Auftakt zu Fachtagung und Festakt am 25./26. November unter dem Titel "Herkunft-Zukunft-Jetzt 250 Jahre Pastoraltheologie in Wien" - Pock: Pastoraltheologie will "Mitarbeiterin an einer guten Zukunft für die Menschen" sein - Polak: "Wieder stärker an apokalyptisch-eschatologisches Erbe anknüpfen, um Hoffnung für taumelnde Welt zu entwickeln"
Wiener Theologe in Blog: Zukünftige Theologie braucht angesichts von politischem Rechtsruck, Kriegsleiden, Ökokrise und Gottferne neue Weltzugewandtheit - Theologietreibende sollen auch dazu beitragen, "dass die Kirche an alten und neuen Orten lebendig und handlungsfähig bleibt"