Parlamentarier stimmen am Freitag über Legalisierung von Beihilfe zum Suizid ab - 30 führende Vertreter von Kirchen und Religionsgemeinschaften befürchten Druck auf schutzbedürftige Menschen und fordern stattdessen bessere Palliativmedizin und Hospizversorgung
London, 26.11.2024 (KAP) Vor der für Freitag geplanten Parlamentsabstimmung über eine Legalisierung der Beihilfe zum Suizid in England und Wales haben rund 30 führende Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften ihre Warnungen vor einer Freigabe bekräftigt. Ein Recht auf Sterben könne "allzu leicht" dazu führen, dass schutzbedürftige Menschen das Gefühl haben, sie hätten "die Pflicht zu sterben", heißt es in einem offenen Brief in der Zeitung "The Observer". Unterzeichnet haben das Schreiben u.a. der katholische Erzbischof von Westminster, Kardinal Vincent Nichols, Oberrabbiner Ephraim Mirvis, die anglikanische Londoner Bischöfin Sarah Mullally und Vertreter von Sikhs, Hindus und Muslimen. Statt einer Freigabe von Suizidhilfe fordern sie eine bessere Palliativmedizin und Hospizversorgung.
Erfahrungen in Staaten mit ähnlichen Gesetzen, wie Kanada oder der US-Bundesstaat Oregon, zeigten, "wie tragisch die unbeabsichtigten Folgen sein können", warnen die Religionsvertreter. "Die versprochenen Schutzmaßnahmen haben die Schwachen und Ausgegrenzten nicht immer geschützt." Eine "wirklich mitfühlende" Antwort auf die Herausforderungen am Lebensende liege in der Bereitstellung von qualitativ hochwertigen Palliativdiensten "für alle, die sie benötigen", unterstreichen die Unterzeichner des Schreibens auch unter Hinweis auf Erfahrungen aus der seelsorgerischen Begleitung von Kranken und Sterbenden. Der vorliegende Gesetzentwurf aber eröffne die Möglichkeit von lebensbedrohlichem Missbrauch und Zwang. "Wir wissen, dass diese Sorge von vielen Menschen geteilt wird, mit und ohne Glauben", so die Religionsvertreter.
Der neue Labour-Premier Keir Starmer hatte im Wahlkampf angekündigt, Sterbehilfe legalisieren zu wollen. Vor wenigen Wochen brachte die Labour-Abgeordnete Kim Leadbeater einen Gesetzesvorschlag ins Parlament ein, der die Mitwirkung an Selbsttötungen von unheilbar kranken Menschen in England und Wales, die laut ärztlicher Ansicht maximal sechs Monate zu leben haben, erlauben würde. Der Entwurf verlangt, dass ein Richter und zwei Ärzte den gesetzeskonformen Wunsch eines Patienten nach Suizid bestätigen müssen; auch bevollmächtigte Dritte dürften stellvertretend für Patienten den Antrag stellen.
Vor der Abstimmung am Freitag wird im Unterhaus (House of Commons) eine mehrstündige Debatte über das Gesetz stattfinden. Laut britischen Medienberichten wollen sich mehr als 100 Parlamentarier zu Wort melden. Für das anschließende Votum ist der Fraktionszwang für die Abgeordneten. Der Ausgang gilt als ungewiss; etliche Abgeordnete hätten sich noch nicht entschieden, berichtete die BBC am Montag. Mehrere Regierungsmitglieder, darunter Bildungsministerin Bridget Phillipson, Justizministerin Shabana Mahmood und auch Gesundheitsminister Wes Streeting, sprachen sich zuletzt gegen den Gesetzentwurf aus, während andere ihre Unterstützung signalisierten.
Auch der katholische Ärzteverband, die Catholic Medical Association (CMA), forderte die Abgeordneten auf mit Nein zu stimmen. CMA-Präsident Mike Delany bezeichnete die im Gesetzentwurf enthaltene Klausel über die Verweigerung aus Gewissensgründen nach Angaben der katholischen Wochenzeitung "The Tablet" als "sehr schwach". "Jeder Arzt, der sich weigert, an Gesprächen über Sterbehilfe teilzunehmen, ist verpflichtet, den Patienten an einen anderen Arzt zu verweisen, der dies tut. Das bedeutet, dass jeder Arzt, wenn er qualifiziert ist, gesetzlich verpflichtet ist, bei der vorsätzlichen Tötung eines anderen Menschen mitzuwirken: wenn nicht persönlich, dann durch Überweisung an einen anderen Arzt. Kein katholischer Arzt könnte das mit gutem Gewissen tun", wurde Delany zitiert.