Bischof Glettler: Umfassendes Vorgehen der Kirche gegen Missbrauch
29.11.202416:42
Österreich/Kirche/Missbrauch/Glettler
Innsbrucker Bischof in Stellungnahme: "Alle Betroffenen möchte ich erneut um Vergebung bitten und versprechen, dass die Kirche daraus gelernt hat und betreffend Missbrauchsprävention entschlossen vorangeht" - Öffentlicher Disput um Tiroler Missbrauchsstudie
Innsbruck, 29.11.2024 (KAP) Die Diözese Innsbruck hat am Freitag in einer Aussendung festgehalten, wie sehr man um die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und zugleich um nachhaltige Strategien gegen Missbrauch und Gewalt bemüht ist. Die Berichte der Betroffenen über das ihnen zugefügte Leid in kirchlichen Heimen seien erschütternd, so Bischof Hermann Glettler. Er bekräftigte in der Aussendung einmal mehr seine Haltung gegenüber diesem Unrecht: "Das Leid und die Erniedrigung, welche die vielen Opfer in den Heimen erleben mussten, sind erschütternd. Das Ausmaß der Gewalt in vielfältiger Form macht bis heute betroffen. Hier liegt ein pädagogisches Totalversagen im Fürsorgesystem vor, das in seinem Ausmaß erst im Nachhinein und damit viel zu spät erkannt worden ist."
Jeder Fall von Missbrauch sei einer zu viel, so Glettler: "Alle Betroffenen möchte ich erneut um Vergebung bitten und versprechen, dass die Kirche daraus gelernt hat und betreffend Missbrauchsprävention entschlossen vorangeht."
Sensibilisierung, Schutzkonzepte, Schulungen und Beratungen sowie schonungslose Aufklärung und Opferschutz seien Säulen, auf die die Diözese Innsbruck in Bezug auf die Themen Missbrauch und Gewalt immer stärker setze, hieß es. Dazu gehören laut Aussendung verpflichtende Schulungen für alle Priester, Diakone und hauptamtliche Mitarbeitende, die in der Diözese Innsbruck inklusive Caritas tätig sind. Hinzu kommen ergänzende verpflichtende Schulungen für Personen mit Leitungsverantwortung sowie Schulungsmöglichkeiten für ehrenamtliche Mitarbeitende.
Die Diözese stehe dabei in enger Zusammenarbeit mit den Ordensgemeinschaften auf ihrem Gebiet, wie es in der Aussendung hieß. Noch unter Bischof Manfred Scheuer - von 2003 bis 2015 Bischof der Diözese Innsbruck - sei eine Abteilung dafür eingerichtet worden; heute das Referat für Prävention von Missbrauch und Gewalt. Es richte den Blick in die Zukunft, indem Maßnahmen gesetzt würden, "um mögliche Risikofaktoren von Gewaltanwendung zu vermeiden und unerwünschtes, grenzverletzendes und übergriffiges Verhalten in allen ihren Einrichtungen bestmöglich zu verhindern".
Schutzkonzept für jeden Seelsorgeraum
Die Österreichische Bischofskonferenz hat in ihrer Rahmenordnung "Die Wahrheit wird euch frei machen" beschlossen, dass Verantwortungsträger von Pfarren, Orden, kirchlichen Organisationen und Einrichtungen flächendeckend ein Schutzkonzept zu erarbeiten haben. In der Diözese Innsbruck sei jeder Seelsorgeraum verpflichtet, ein solches Schutzkonzept zu erarbeiten. Damit stelle die Kirche klar, "dass der Schutz der anvertrauten Menschen ernst genommen wird", hieß es in der Aussendung. Durch ein Schutzkonzept könnten sichere Orte für alle Beteiligten entstehen. An weiteren Schutzkonzepten, etwa für Schulen und die Caritas, werde gearbeitet.
Glettler: "Unmissverständlich gilt, dass die Kirche ein sicherer Ort für Kinder, Jugendliche und andere vulnerable Personen sein muss. Bei Gewalt gegenüber Minderjährigen und allen besonders schutzbedürftigen Menschen gilt ein 'Null-Toleranz-Prinzip'. Jedes Opfer war und ist eines zu viel."
Mit einer Ombudsstelle gibt es in der Diözese seit 2011 auch eigene unabhängige Ansprechpersonen für Betroffene. Diese würden der Vertraulichkeit und Verschwiegenheit unterliegen. Bis dato seien von kirchlichen Einrichtungen auf dem Gebiet der Diözese Innsbruck rund 7,7 Millionen Euro an finanzieller Hilfe für Opfer ausgeschüttet worden, hieß es weiter. Über 700.000 Euro seien für Therapien geleistet worden. Dieses Geld stamme nicht aus laufenden Kirchenbeiträgen, sondern sei durch Erträge aus Rücklagen abgedeckt, wie die Diözese betonte.
Kritisches Wort zu Missbrauchsstudie
Hintergrund der Aussendung der Diözese waren mediale Debatten rund um die Veröffentlichung einer Studie über Missbrauchsfälle in den katholischen Heimen in Tirol. Die Studie soll im Dezember in Buchform erscheinen. Sie wurde 2019 von der Diözese gemeinsam mit dem Land Tirol in Auftrag gegeben - als interdisziplinäre Aufarbeitung aller erfassten Missbrauchsfälle in kirchlichen Heimen Tirols und der darin offensichtlich gewordenen strukturellen Gewalt. Auch eine Kontextualisierung mit den staatlichen Heimen sei vorgesehen gewesen. Auf Wunsch von Studienleiter Prof. Dirk Rubnow war dabei der Forschungsgegenstand über das ursprünglich fokussierte Mädchenerziehungsheim der Benediktinerinnen in Martinsbühel erweitert worden.
In seinem Vorwort zu der Studie hat Glettler von einem offenbar gewordenen "pädagogischen Totalversagen" auch noch im Fürsorgesystem der Nachkriegszeit geschrieben, den Autoren dabei aber fehlende "Fairness und größtmögliche Objektivität" gegenüber jenen vorgehalten, "die sich unter schwierigsten Bedingungen um eine angemessene Betreuung der ihnen anvertrauten jungen Menschen bemüht haben".
Keine vertieften Untersuchungen
In einigen Fragen betreffend die Qualität wissenschaftlichen Arbeitens, so der Bischof in seinem Vorwort, sei die Studie nicht überzeugend. Konkret könnten bei den Ausführungen zum Heim Thurnfeld nicht zwei befragte Zeugen "für 1.200 Buben stehen, die im Salesianer Heim untergebracht waren" und in einem genannten Fall, bei dem Aussage gegen Aussage stehe, nicht "der Inhalt einer massiven Beschuldigung als historisches Faktum ausgegeben" werden.
In einer Stellungnahme auf der Website der Diözese führte der Bischof aus, dass sich im weiteren Verlauf gezeigt habe, dass wissenschaftliche Gütekriterien der Studie aufgrund der Erweiterung und des zeitlichen Drucks nicht mehr eingehalten werden konnten. Er habe das Forschungsteam um eine vertiefte Untersuchung der Situation im Heim Thurnfeld gebeten, wo noch Schwestern lebten. Um der Repräsentativität willen habe er eine Erweiterung des Kreises der Befragten über zwei Personen, die sich selbst gemeldet hatten, gebeten, sowie um eine spätere Veröffentlichung.
Beidem sei nicht entsprochen worden, was der Bischof bedauerte, "weil kurz nach Abschluss der Studie eine Fülle von Dokumenten im Archiv in Thurnfeld aufgefunden wurden, die zur Erfassung der Gesamtsituation von Bedeutung seien", wie er erklärte. Die vielen Dokumente und Fotos hätten von zahlreichen Aktivitäten im Salesianischen Bubenheim gezeugt, die ein "Gesamtbild, das gar nicht dem konstruierten Bild der Studie entsprach" ergeben haben. Am meisten kritisierte Glettler, dass der Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs in der wissenschaftlichen Studie an mehreren Textstellen als erwiesene Tatsache hingestellt worden sei - ohne zu erwähnen, dass die beschuldigte Schwester eine gegenteilige Erklärung abgegeben habe "und damit Aussage gegen Aussage steht".
Bischof Glettler gab an, bei den Vorbesprechungen zur Beauftragung der Studie mehrmals betont zu haben, dass "alle Fakten auf den Tisch gelegt gehören und nichts vertuscht werden dürfe". Damit sei primär gemeint gewesen, "dass die Opfer in ihren Aussagen ernst genommen werden müssen, aber auch die Situation der Schwestern und das Versagen der Fürsorgeverantwortung des Landes dargelegt werden muss". So habe er seiner Verantwortung zur "schonungslosen Offenlegung von nicht zu entschuldigenden Vergehen" gerecht werden wollen, so der Bischof. Zugleich obliege ihm jedoch auch "die Verantwortung gegenüber jenen Menschen, die mit größtem Engagement für das Wohl der ihnen Anvertrauten sorgten und die aufgrund einer unvollständigen Darstellung hier Gefahr einer Pauschalverurteilung laufen".
Studienleiter Rubnow wies laut APA die Kritik des Bischofs zurück.