Volksfrömmigkeit auf den Inseln statt Staatsakt in der Metropole - Der Papst fremdelt noch immer mit dem offiziellen Frankreich, Macron wird ihn bei seinem Korsika-Besuch am Sonntag aber verabschieden - Von Roland Juchem
Vatikanstadt, 12.12.2024 (KAP/KNA) Nicht, dass der Papst aus Argentinien Europas Hauptstädte meiden würde: Franziskus war in Tirana, Bukarest, Budapest, Sofia, Athen, Nikosia - zuletzt auch Luxemburg und Brüssel. Kurzzeitig hatte das Kirchenoberhaupt wohl erwogen, zur Wiedereröffnung von Notre-Dame nach Paris zu reisen. Das Feuer, das eines der wichtigsten Symbole europäischer Geschichte und Kultur beinahe zugrunde richtete, hatte auch ihn getroffen.
Doch bei aller Wertschätzung für französische Kultur und Theologie fremdelt Franziskus einerseits mit identitären und traditionalistischen Tendenzen in der gegenwärtigen Kirche Frankreichs. Zum anderen passt ihm nicht die bioethische Linie des französischen Staatspräsidenten - Stichwort: Verfassungsrecht auf Zugang zur Abtreibung -, auch wenn es kein Zerwürfnis mit Emmanuel Macron gibt.
Schließlich drohte die Wiedereröffnung der Kathedrale zu einem Ereignis mit vornehmlich politischem Prestige zu werden. Kurzum: Für einen kirchlichen Hirten, den es erklärtermaßen an die Ränder zieht, war Paris nicht das passende Ziel. Und so fliegt Franziskus am Sonntag an die Peripherie der Französischen Republik: nach Korsika in dessen nur 300 Kilometer von Rom entfernte Hauptstadt Ajaccio.
Formaler Anlass ist ein zweitägiger Kongress über Volksfrömmigkeit, ein oft unterschätztes Leib-und-Magen-Thema des Papstes. Lebensweisheit und Spiritualität der einfachen Gläubigen - des "heiligen Volkes Gottes", wie Franziskus öfter schreibt - sind für den Papst eine wichtige Kraftquelle der "Kirche als Feldlazarett" und zugleich ein Korrektiv gegen elitär-abgehobenes Theologisieren.
Korsika, die viertgrößte Insel im Mittelmeer, gehört seit 1768 zu Frankreich, besitzt aber einen Sonderstatus und ist sprachlich und kulturell Italien näher als Frankreich. Die Menschen gelten als konservativ und sind - anders als der Rest der Republik - noch sehr vom Katholizismus geprägt. 92 Prozent der Korsen gehören der katholischen Kirche an.
Ein weiterer, persönlicher Beweggrund für Franziskus' Korsika-Reise ist der Bischof der Insel, Francois-Xavier Bustillo. Der 56-jährige Franziskaner-Ordensmann stammt aus dem Baskenland und ist seit 2021 Bischof von Ajaccio. Nur zwei Jahre später machte ihn der Papst zum Kardinal. Bustillo war Pfarrer, zwölf Jahre lang leitete er die Franziskanerprovinz von Frankreich und Belgien. Später war er zuständig für neue geistliche Gemeinschaften, interreligiösen Dialog, das Wallfahrtswesen in Lourdes und den Schutz Minderjähriger.
"Volksfrömmigkeit im Mittelmeerraum"
Nach Ankunft auf dem Flughafen von Ajaccio, benannt nach dem berühmtesten Sohn der Stadt, Napoleon Bonaparte, begibt sich der Papst ins Kongress- und Messezentrum zum Abschluss des Treffens über "Volksfrömmigkeit im Mittelmeerraum". Die Referenten kommen aus Korsika, Festland-Frankreich, Spanien, Sardinien und Sizilien.
Es folgt ein Mittagsgebet mit Bischöfen, Priestern und Ordensleuten in der Kathedrale. Höhepunkt der Visite ist eine Messe auf der Place d'Austerlitz. Der Platz, knapp so groß wie ein Fußballfeld und überblickt von einer Napoleon-Statue auf majestätischem Sockel, heißt auf korsisch "U Casone". Das klingt wie sardisches Italienisch und bedeutet "das große Haus oder Anwesen".
"Ich kann verstehen, dass die Pariser enttäuscht sind", zitierte die italienische "Repubblica" am Montag Kardinal Bustillo: "Der Besuch des Papstes ist ein großes Ereignis, in Korsika freuen wir uns, dass er kommt." Und wenn "wir in Frankreich und in Europa sonst sehr begrifflich-abstrakt sind", so Bustillo, "hat Korsika eine ursprüngliche und einzigartige Art und Weise, wie Laizismus gelebt wird".
Staatspräsident Macron wird seine etwaige Enttäuschung über Franziskus' Paris-Absage verwunden haben. Geht er doch als der Präsident in die Geschichte ein, unter dem Notre-Dame wie Phoenix aus der Asche wiedererstand. Und so begibt sich Monsieur le Président am Sonntagnachmittag selbst an die Peripherie seiner Republik, um den Papst zu verabschieden. Soviel Protokoll muss sein. Angesichts der innenpolitischen Lage könnte und sollte Macron dabei einen von Franziskus früh und oft wiederholten Rat beherzigen: Man sieht das Zentrum besser von den Rändern her.