Leiter von bekannter ungarischer Benediktinerabtei, Cirill Hortobagyi: Offene Kommunikation mit Betroffenen und Öffentlichkeit einzig gangbarer Weg für die Aufarbeitung von Missbrauch in der Kirche - Erzabt: "Die Öffentlichkeit ist nicht unser Feind, sondern ein wichtiger Verbündeter in der Aufklärung"
Budapest, 16.12.2024 (KAP) Der Erzabt der ungarischen Benediktinerabtei Pannonhalma, Cirill Hortobagyi (65), hat sich deutlich zu einem offenen Umgang mit Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche bekannt. Die Herausforderung bestehe darin, Wunden der Vergangenheit zu heilen, Verantwortung zu übernehmen und präventive Maßnahmen zu ergreifen, wobei eine offene Kommunikation mit den Betroffenen und der Öffentlichkeit der einzig mögliche Weg sei, schreibt er in einem Beitrag für die Portale "Telex" und "Szemlelek", die sich in einer aktuellen Serie der Missbrauchs-Aufarbeitung in kirchlichen Institutionen widmen.
Bereits in den frühen 2000er Jahren kam es in der Abtei Pannonhalma zu Übergriffen auf Schüler durch einen Benediktinermönch. Nachdem diese Vorfälle 2015 bekannt wurden, bat der damalige Erzabt Asztrik Varszegi öffentlich die Opfer um Entschuldigung. Die Aufarbeitung setzte sich seit 2018 unter der Leitung von Hortobagyi fort.
"Als Leiter eines Ordens, der Schulen unterhält, bitte ich mit Mitgefühl und aufrichtig um Verzeihung bei allen Kindern, Eltern und Lehrern, die in irgendeiner unserer Einrichtungen Schaden, Erniedrigung oder Misshandlung erfahren haben", erklärt Erzabt Hortobagyi in dem am Sonntag veröffentlichten Beitrag. Er unterstrich, dass sich eine Entschuldigung nicht auf Worte beschränken dürfe, sondern auch Anerkennung des Schmerzes der Opfer und aktive Unterstützung ihrer Heilung beinhalten müsse. Auf dreierlei Verantwortung gehe es bei dieser Aufarbeitung einzugehen: "Verantwortlich ist der Täter, der seine kirchliche Position missbraucht, die Institution, die Warnsignale ignoriert, und die kirchliche Führung, die oft nicht entschieden genug handelt", so Hortobagyi.
Die Benediktinerabtei Pannonhalma habe sich dieser Verantwortung gestellt und ein umfassendes Kinderschutzprotokoll entwickelt um sicherzustellen, "dass sich solche Vorfälle nicht wiederholen", schreibt der Erzabt. Seit 2016 gibt es in der Abtei eine Kinderschutzgruppe, die Präventivmaßnahmen in allen Einrichtungen des Klosters umsetzt. Es gab Anhörungen und man habe Opfer nach Strafanzeigen gebeten, auch vor Gericht von den Ereignissen zu berichten, zudem wurden viele ehemalige Schüler mit Therapie und spiritueller Begleitung unterstützt. Auch weiterhin arbeite man in Pannonhalma an einer transparenten und präventiven Kultur, um den Opfern wie auch der Gemeinschaft Gerechtigkeit und Sicherheit zu bieten.
"Wespennest" in Ungarns Kirche
Dennoch lässt der Erzabt im Rückblick auch Selbstkritik durchklingen. Erst nachdem kirchliche Missbrauchs-Skandalen in anderen Ländern aufgeflogen seien, habe er festgestellt, "dass dieses Problemfeld auch in der ungarischen Kirche ein riesiges Wespennest ist". Es bestehe eine gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Umgang mit den Fällen von Kindesmissbrauch und den Fällen von Priestern, die einst mit dem kommunistischen Regime kollaborierten: Beide Sünden hätten als Wurzel "die Anhänglichkeit an die Autorität und die Liebe zur Macht anstelle der Liebe zum evangelischen Dienst" , so der Ordensmann.
Zudem sei der kirchliche Umgang mit Kinderschutz und Missbrauchsfällen in Ungarn noch in der Mitte der 2010er Jahre "sehr vorsichtig" gewesen. Auch er selbst habe lange Zeit damit keine Erfahrung gehabt - "Ich gebe zu, dass ich nicht immer so engagiert war", räumt Hortobagyi ein - und habe in seiner Haltung erst durch persönliche Begegnungen mit Missbrauchsopfern einen "Wendepunkt" erlebt. "Erst 2014, als ich erstmals mit Opfern sprach, verstand ich, wie wichtig ein empathisches Zuhören ist", so der Erzabt.
Echtes Zuhören vonnöten
Kritik äußert Hortobagyi an der Auffassung, ein bloßes Anhören der Opfer wäre als Wiedergutmachung schon genug, gelte doch: "Echtes Zuhören bedeutet nicht nur, den Vorfall genau zu dokumentieren, sondern darauf zu achten, wie die Betroffenen sprechen und sich äußern." Wahrzunehmen gelte es dabei auch die "tatsächliche emotionale Botschaft, die über die Worte hinausgeht". Für Betroffene sei es sehr schwierig, über das Erlebte zu sprechen, bemerkt der Erzabt. Sie empfänden große Einsamkeit, die nur durch verständnisvolles Zuhören allmählich gelindert werden könne.
Hortobagyi hebt hervor, dass keines der Opfer, das Kontakt aufnahm, Rache gesucht habe: "Ein gemeinsamer Wunsch verband sie: Ein zuständiger Kirchenführer sollte offen sagen, dass das, was ihnen widerfahren ist, ungerecht war, dass so etwas nicht mehr vorkommen darf, und dass er um Entschuldigung bittet." Wichtig sei zudem, dass die Opfer auf Geduld und Unterstützung träfen. Der Heilungsprozess sei schwierig, "aber wir müssen ihn gehen, um den Opfern und der Kirche eine Zukunft zu geben".
Öffentlichkeit nicht Feind, sondern "Verbündeter"
Transparenz bezeichnet Hortobagyi als wesentlichen Bestandteil der Aufarbeitung. "Die Öffentlichkeit hat das Recht, diese erschütternden Fälle zu erfahren." Kritiker, die vor einem Vertrauensverlust durch Offenheit warnten, sieht er heute widerlegt: "Keines unserer Aufklärungsprojekte hat dazu geführt, dass Eltern ihre Kinder von unseren Schulen abgemeldet haben. Im Gegenteil: Sie haben unser Engagement für Ehrlichkeit und Lösungen anerkannt."
In der Aufarbeitung liege auch eine Chance für die Kirche, so die Überzeugung des Benediktiners: "Der Verlust des Vertrauens und die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit können nur durch offene, klare Kommunikation und aufrichtige Entschuldigungen geheilt werden."
Zwar bestehe die Hoffnung, dass in Ungarns Kirche an mehreren Orten das Eis gebrochen worden sei, dennoch gebe es in vielen Bereichen weiterhin eine Praxis der Ablehnung und des Verschweigens. Ein Kulturwandel sei weiterhin nötig, indem die Kirche die Öffentlichkeit als Partner begreife. Hortobagyi: "Die Öffentlichkeit ist nicht unser Feind, sondern ein wichtiger Verbündeter in der Aufklärung. Auch wenn die Medien manchmal die negativen Aspekte überbetonen, dürfen wir nicht zur Kultur des Verschweigens zurückkehren."