Manuel Baghdi, Nahost-Beauftragter von Kardinal Schönborn, bei Medientermin in Wien: Unterschiedliche Nachrichten aus Syrien - Sorge um mögliche neue Verfassung, mit Nachteilen für Minderheiten und Frauen - Auch Hilfswerke ICO und Korbgemeinschaft äußern Bedenken
Wien, 16.12.2024 (KAP) Für ein klares Bild, in welche Richtung sich Syrien entwickeln wird, ist es immer noch viel zu früh. Das hat Manuel Baghdi, Nahost-Beauftragter von Kardinal Christoph Schönborn, am Montag bei einem Mediengespräch in Wien betont. Er berichtete über die aktuelle Lage vor Ort. Die Christen und die Angehörigen anderer Minderheiten, aber etwa auch säkulare Muslime seien zwischen Hoffnung und Angst hin- und hergerissen, so Baghdi. Er sei rund um die Uhr mit vielen Menschen vor Ort in Kontakt, vor allem Christinnen und Christen, berichtete Baghdi. Von vielen bekomme er zu hören, dass die neuen Machthaber den Christen bislang nichts angetan hätten. Doch die Menschen hätten große Angst.
Besorgt zeigte sich der Berater von Kardinal Schönborn angesichts der Tatsache, dass die syrische Verfassung ausgesetzt wurde und eine neue erarbeitet wird. Erste Berichte ließen dazu nichts Gutes erahnen, wonach eine neue Verfassung etwa deutliche Nachteile für Frauen beinhalten soll. Doch bislang gebe es nur Vorschläge und noch nichts Definitives, so Baghdi.
Baghdi wies darauf hin, dass offizielle Vertreter der Rebellengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) bisher durchwegs friedliche Botschaften an die Bevölkerung übermittelt hätten, auch an christliche Kirchenvertreter. Er zeigte sich aber zugleich angesichts der Herkunft von HTS-Anführer Ahmad al-Sharaa - auch bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Golani - aus dem Umfeld der Terrormilizen "Islamischer Staat" (IS) und Al-Kaida beunruhigt.
Die Situation im Land ist laut Baghdi immer noch extrem unübersichtlich. Ständig würden ihm Berichte über einzelne Übergriffe von Islamisten gegen christliche Symbole und Einrichtungen zugetragen. So soll in Aleppo auf einem in der Bevölkerung "Platz der Christen" genannten Platz ein großer Weihnachtsbaum gestürzt worden sein. Christen sollen zudem auch schon als Leiter von Schulen abberufen und in der Nähe von Homs soll bereits eine Kirche zerstört worden sein. Er könne diese Berichte allerdings "weder bestätigen noch dementieren".
Baghdi räumte zudem ein, dass die Menschen nach mehr als 50 Jahren Diktatur nicht einfach frei sprechen könnten. "Die Angst steckt ihnen in den Knochen." Das betreffe die einfache Bevölkerung wie auch die Bischöfe.
Viele Fragen seien nach wie vor völlig ungeklärt. "Wie ist es möglich, dass das Assad-Regime in nicht einmal 10 Tagen sich einfach in Luft aufgelöst hat? Wohin ist das Militär verschwunden, wo sind die Generäle, wo sind die Geheimdienste, welche Rolle haben Russland und der Iran gespielt? Was ist mit den vielen vorhandenen IS-Zellen im Land, die es immer noch gibt. Werden diese wieder aktiv?" - Was Syrien künftig auf jeden Fall von der internationalen Staatengemeinschaft brauche, sei "mehr als nur weitere nette Worte".
Asyl: Individuelle Prüfungen notwendig
Der Nahost- und Flüchtlingsbeauftragte von Kardinal Schönborn äußerte sich auch zur Kritik des Wiener Erzbischofs am aktuellen Umgang der österreichischen Bundesregierung mit den Flüchtlingen aus Syrien. Es sei nun wichtig, die Asylberechtigung und die Situation der jeweiligen Person wirklich individuell zu prüfen, betonte er. Als Beispiel für Härtefälle nannte er dem Assad-Regime ehemals nahestehende Menschen oder Christen.
Die Botschaften der Bundesregierung in den vergangenen Tagen hätten viele Menschen zutiefst verunsichert. Zahlreiche Syrerinnen und Syrer würden Kontakt mit ihm aufnehmen, weil sie Angst vor Abschiebung aus Österreich hätten, berichtete Baghdi. Bundeskanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner hatten nach dem Sturz der Assad-Diktatur laufende Asylanträge von Syrern ausgesetzt. Sie kündigten auch eine Überprüfung der Asylberechtigung der syrischen Flüchtlinge in Österreich an. Es sollte "ein geordnetes Rückführungs- und Abschiebe-Programm nach Syrien" vorbereitet werden. Zudem wurde syrischen Staatsbürgern eine Rückkehr-Prämie von 1.000 Euro angeboten.
Baghdi kam im Mediengespräch auch auf Kardinal Schönborn zu sprechen, dem die Hilfe für die Christinnen und Christen im Orient ein Herzensanliegen sei. Der Kardinal war auch im Irak, in Syrien, im Libanon oder in Ägypten vor Ort, um die Menschen persönlich zu besuchen, erinnerte Baghdi.
Weihnachtsaktion für Kinder im Libanon
Baghdi wird am Dienstag im Auftrag des Wiener Erzbischofs in den Libanon reisen, Spendenmittel von Kardinal Schönborn und der Badener Pfarre St. Stephan im Gepäck. Damit soll bis zu 700 Kindern ein schönes Weihnachtsfest ermöglicht werden. Die Weihnachtsaktion ist ein Gemeinschaftsprojekt des Erzbischofs mit der Pfarre Baden-St. Stephan sowie dem gesamten Seelsorgeraum Baden-Sooß.
Zum Medientermin mit Baghdi am Montag hatten das Institut für Umwelt, Friede und Entwicklung sowie die Plattform Christdemokratie eingeladen.
Angst vor islamischer Verfassung
Ähnlich wie Manuel Baghdi äußerten sich weitere Vertreter von Hilfswerken. Stefan Maier, Syrien-Experte des Hilfswerks "Initiative christlicher Orient" (ICO), zeigte sich in der ORF-Sendung "Orientierung" am Sonntag sehr besorgt ob der Erarbeitung einer neuen Verfassung für Syrien. Sollte der Islam tatsächlich zur Staatsreligion werden, wäre das ein heftiger Schlag für die Christen wie auch andere religiöse Minderheiten. "Was bedeutet das dann beispielsweise für die christlichen Schulen, in denen bisher Buben und Mädchen gemeinsam unterrichtet wurden?", so Maier. Auch wenn sich die Rebellen derzeit gemäßigt geben, mache ein Blick auf deren Vergangenheit doch sehr skeptisch. Zugleich rief Maier dazu auf, dass die Hilfe für die Menschen in Syrien nicht nachlassen dürfe. Das Land liege wirtschaftlich und sozial völlig darnieder.
Auch der melkitische Priester Hanna Ghoneim, Leiter des Syrien-Hilfswerks "Korbgemeinschaft", äußerte sich in der "Orientierung" ähnlich. Die Christen befänden sich in einem Schwebezustand zwischen Hoffnung und Angst. Ein Problem, das derzeit international noch nicht beachtet wird: Durch die Plünderungen vieler Einrichtungen des syrischen Militärs seien nun viele weitere Waffen in Syrien in Umlauf. Das zeige sich etwa in der Umgebung von Damaskus, wo auch Kinder und Jugendliche nun bewaffnet durch die Dörfer ziehen würden.
Die kirchliche Stiftung "Korbgemeinschaft - Hilfe für Syrien" ist in verschiedenen Regionen Syriens tätig. Protektor der "Stiftung Korbgemeinschaft" ist Kardinal Schönborn.