Vor einem Jahr waren die Menschen in Bethlehem noch zuversichtlich - Zu Weihnachten 2024 werde der Krieg in Nahost vorbei sein, meinten viele - Nun steht die Stadt vor einem weiteren zermürbenden Kriegswinter - Von Johannes Schidelko
Bethlehem, 17.12.2024 (KAP/KNA) Nichts lässt in diesen sonnig-milden Dezembertagen in Bethlehem erahnen, dass sich die größte Weltreligion an ihrem Ursprungsort auf ihr schönstes Fest vorbereitet. Die Kleinstadt südlich von Jerusalem verharrt - wie das gesamte Palästinensische Gebiet - aufgrund des Gaza-Kriegs im Trauermodus: kein bunt geschmückter Weihnachtsbaum, keine Musik, keine Girlanden mit Weihnachtskrippe und Rentierschlitten, mit der die Stadt normalerweise auf dem zentralen Manger Square ihre Besucher begrüßte. Der "Krippenplatz" zwischen Bürgermeisteramt, Friedenszentrum und Geburtskirche ist heute vollgeparkt mit Taxis, die vergeblich auf Passagiere warten.
Die Kirchenoberen wollen auch in diesem Jahr der Linie von Stadt und Staat weitgehend folgen. Das christliche Weihnachten im Heiligen Land soll auf äußeren Pomp, laute Musik und prunkvolle öffentliche Feiern verzichten. Die Gläubigen sind angehalten, das an die Geburt Jesu in Bethlehem vor mehr als 2.000 Jahren erinnernde Fest zurückhaltend in den Gotteshäusern zu begehen.
Fest des Friedensfürsten
Die Kirchenführer wehren sich indes gegen den Eindruck, dass die Christen ihr Hochfest absagen wollten. "Wir feiern das Fest des Friedensfürsten, das ein Fest der Hoffnung für alle Menschen ist", sagt Bethlehems Ortspfarrer Rami Asakrieh der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Doch die Stadt Bethlehem, in der die Christen trotz sinkender Zahlen noch ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, leidet besonders unter den Folgen von Krieg und Krise in der Region.
Seit dem 7. Oktober 2023 hat Israel das Westjordanland abgeriegelt und die Übergänge weitgehend geschlossen. Damit sind die meisten palästinensischen Pendler, die täglich zur Arbeit nach Jerusalem fuhren, praktisch arbeits- und einkommenslos. Zudem kommen infolge internationaler Reisewarnungen kaum ausländische Besucher. Die Tourismusbranche, auf der Bethlehems Wirtschaft zu mehr als 60 Prozent basiert, ist komplett eingebrochen. Mit katastrophalen Folgen vor allem für die Christen, die zu 90 Prozent in diesem Sektor beschäftigt sind oder davon abhängen.
Dieser Einbruch ist in Jesu Geburtsstadt unübersehbar. Hotels sind geschlossen, viele Restaurants öffnen gar nicht oder nur für wenige Stunden. Der Platz vor der 1.500 Jahre alten Geburtskirche, auf dem sich sonst die Pilger drängen, ist verwaist. Nur zwei Polizisten warten auf einer Bank neben dem Eingang. Zur Geburtsgrotte, vor der Menschen sonst eine Stunde lang anstehen, steigen nur vereinzelt Besucher hinab.
Ringen um Hoffnung
Rund um das Gotteshaus sind die meisten Geschäfte geschlossen, in denen Kunden sonst Holzschnitzarbeiten, Krippenfiguren oder Ikonen kaufen. Die Handwerker bleiben auf ihren Waren sitzen, wie Händler Rony am Beginn der Milchgrotten-Straße. Vor seinem traditionsreichen Geschäft hängen Fotos von Papst Franziskus und Johannes Paul II. Rony bemüht sich um Export-Kontakte, um wenigstens einige Artikel zu verkaufen. Aufgeben will er nicht, weil er ohne Hoffnung nicht leben könne.
Auch Schwester Aleya im Caritas Baby Hospital im Norden Bethlehems versucht, die Zuversicht nicht zu verlieren - im Schatten der acht Meter hohen Grenzmauer zu Israel. Die Klinik, in der jährlich rund 50.000 palästinensische Kinder behandelt werden, erbringe als einzige entsprechende Fachklinik im Palästinensergebiet nicht nur medizinische Spitzenleistung, erläutert sie. Wesentlich sei die menschliche Fürsorge für die Patienten, die oft nur unter großen Schwierigkeiten und über viele Checkpoints das Krankenhaus erreichten. Fast alle seien Muslime.
Krieg wird zur Gewohnheit
Die Menschen hätten sich an den Krieg gewöhnt, viele seien mutlos angesichts der Schwierigkeiten, sagt die indische Ordensoberin. "Wir versuchen, ihnen durch Zuwendung etwas Hoffnung zu geben und damit Gottes Liebe zu zeigen." Im Prinzip stehe man in der Stadt vor der gleichen prekären Lage wie vor 2.000 Jahren, als Christus in einem Stall geboren worden sei.
Das Zeremoniell zum katholischen Weihnachten am 24. Dezember - die Orthodoxen feiern knapp zwei Wochen später - ist von einem strikten Regelwerk geprägt. Am frühen Nachmittag des Heiligabend trifft der Lateinische Patriarch Kardinal Pierbattista Pizzaballa in Bethlehem ein und geht zu Fuß durch die Stern-Straße zur Geburtskirche. Angeführt wird die Prozession von Pfadfindergruppen, diesmal ohne Musik und laute Trommlerchöre. Auf dem Krippenplatz wird er vom Bürgermeister und den kirchlichen Würdenträgern der Stadt begrüßt, bevor er in die Geburtskirche einzieht.
Keine Tickets für die Christmette
Für die Christmette in der katholischen Katharinenkirche werden in diesem Jahr keine Einlass-Tickets ausgegeben, auf die es in früheren Jahren stets einen erbitterten Run gab. Jeder kann kommen, vor allem die einheimischen Christen, aber auch die im Raum Tel Aviv tätigen ausländischen Arbeiter und Diplomaten. Die ersten Reihen sind für die palästinensische Staatsführung reserviert. Ob Präsident Mahmud Abbas persönlich an dem Gottesdienst teilnimmt, ist unklar. Eine Eintrittskarte benötigt er jedenfalls nicht.