Schönborn: Erneuerung der Kirche braucht glaubwürdige Christen
17.12.202412:00
Österreich/Kirche/Glaube/Reformen/Schönborn
Kardinal bei Pressegespräch in Wien: "Brauchen geistliche Menschen, an denen man sich orientieren kann"- Plädoyer für offene Kirchen - "Die Frauenfrage wird nicht vom Tisch sein, weil Geschlechtergerechtigkeit ein nach wie vor berechtigtes und notwendiges Thema ist"
Wien, 17.12.2024 (KAP) Eine Erneuerung der Kirche braucht vor allem glaubwürdige Christen. Das hat Kardinal Christoph Schönborn Montagnachmittag bei einem Pressegespräch in Wien betont. Als Beispiel verwies der Wiener Erzbischof u.a. an die Flüchtlingshelferin Maria Loley, die dieser Tage ihren 100. Geburtstag gefeiert hätte: "Ich war fasziniert von dieser Frau, weil ich den Eindruck hatte: Das, was sie sagt, lebt sie auch. Das, was sie lebt, ist glaubwürdig. Das haben viele Menschen gespürt, unabhängig, ob sie jetzt engagierte, aktive Christen waren oder nicht."
Ein anderes Beispiel sei der Benediktinermönch David Steindl-Rast. "Was macht die Faszination dieses fast 100-jährigen Mönches aus? Das ist diese ganz geerdete und überzeugende Spiritualität." Auch P. Georg Sporschill, mit dem er seit 50 Jahren befreundet ist, habe ihn mit seinem lebenslangen Engagement zutiefst beeindruckt. Fazit: "Wir brauchen solche geistlichen Menschen, an denen man sich orientieren kann."
Abnehmende Kirchenmitgliedschaft
Schönborn räumte ein, dass ihn die rückläufige Entwicklung der Mitgliederzahlen der katholischen Kirche sehr schmerze. "Die Zahl der Katholiken in der Erzdiözese Wien ist in meiner Amtszeit um rund 20 Prozent zurückgegangen. Ich verbuche das nicht als ausschließlich als meinen Fehler, aber ich möchte es auch nicht schönreden."
Die gesellschaftliche "Großwetterlage" beschrieb der Kardinal so, dass die Bindung an Institutionen insgesamt sehr nachgelassen hat. Diese Entwicklung habe auch mit der Wohlstandsgesellschaft zu tun, "weil man weniger Gespür hat, dass es auf das Miteinander ankommt". Es gebe aber sehr viele Menschen, die auf der Suche sind nach dem Sinn und Antworten auf die großen existenziellen Fragen. Und hier habe das Christentum ein großes Angebot, "wir haben tiefe Ressourcen".
Es sei faszinierend, so Schönborn, "dass Menschen, die mit dem Christentum nicht aufgewachsen sind und kaum Berührung hatten, in unserer Zeit den christlichen Glauben als etwas Neues entdecken". Er denke an Frankreich, das ihm sehr vertraut ist: "Dieses Jahr zu Ostern haben 13.000 Erwachsene um die Taufe gebeten. Was bewegt sie? Sie kommen nicht aus traditionellem katholischem Milieu, doch sie sind auf der Suche nach Sinn. Und ich glaube, wenn wir insgesamt als Religionsgemeinschaft etwas Sinnvolles tun wollen für diese Gesellschaft, dann ist es, die Sinnsucher und die Sinnfrage überhaupt zu stärken."
Plädoyer für offene Kirche
Darauf angesprochen, dass er vermeintlich die Erneuerung der Kirche eher von neuen Gemeinschaften als traditionellen Pfarren erwarte, sprach Schönborn von einem "Mythos", an dessen Entstehung er selbst vielleicht nicht ganz unschuldig sei. "Es stimmt, dass ich eine echte Sympathie für die neuen Gemeinschaften habe, denen ich auch selber viel verdanke", sagte er. Diese Gemeinschaften seien im Zug des Zweiten Vatikanischen Konzils entstanden "und haben ja auch viel bewegt in Europa und in der ganzen Welt". Aber er sei "absolut nicht der Überzeugung, dass die Volkskirche oder sagen wir der Katholizismus überholt ist". Schönborn brach in diesem Zusammenhang eine Lanze für kirchliches Brauchtum und Volksreligiosität und meinte wörtlich: "Ich sehe keinen Gegensatz zwischen Gemeinschaften, die intensiv ihren Glauben zu leben versuchen, und einer diffusen Präsenz einer christlichen Herkunft unseres Landes. Das ist beides gut."
Auf die vielen Reformprozesse in der Kirche angesprochen, räumte Schönborn ein, dass die Gefahr bestehe, zu sehr mit sich selbst beschäftigt zu sein. "Alle Gemeinschaften und gesellschaftlichen Gruppierungen haben die Tendenz und die Gefahr, sich zu sehr mit sich selbst zu beschäftigen. Das ist sehr menschlich, aber es ist schade, weil es auf die Dauer langweilig wird."
Eindringlich appellierte der Erzbischof an die Pfarrgemeinden, offen zu sein für Hinzugezogene bzw. neue Mitglieder: "Wenn jemand Fremder in den Gottesdienst kommt - spricht man ihn an, lädt man ihn ein?" Die vielfach festzustellende Selbstbezogenheit "ist ein großes Übel". Es brauche Interesse für die Menschen - und für Gott. Das lege er auch den Priesteramtskandidaten immer sehr ans Herz.
Eine Reform der Kirche müsse deshalb stets mit mehr Offenheit einhergehen. Schönborn: "Ich kenne Gemeinden, wo das spürbar ist, wo ein Interesse an Neuen da ist, die sich beteiligen wollen." Offenheit brauche es aber nicht nur für suchende Menschen, die andocken wollen, sondern auch anderen Religionen gegenüber. "Wie gehen wir mit unseren muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern um? Interessiere ich mich für sie, oder bin ich nur in Abwehrhaltung?", so Schönborn.
Auf den seit rund 15 Jahren laufenden Reformprozess in der Erzdiözese Wien angesprochen, meinte der Kardinal, dass die strukturellen Reformen sehr weit fortgeschritten seien, es aber wohl keinen Endpunkt geben wird. 2010 bei der dritten Diözesanversammlung habe er die drei großen Zielsetzungen der Reform benannt: Erstens "Mission first", zweitens "Jüngerschaft". Und drittens "Strukturreform". Leider, so der Erzbischof, "sind wir mehr bei der Strukturreform hängen geblieben, die natürlich dringend notwendig ist". In der Frage der Mission als Grundauftrag Jesu gebe es in der Kirche in Österreich "noch viel Luft nach oben".
Synodaler Prozess
Auch beim Thema Synodalität bzw. dem weltweiten Synodalen Prozess sei natürlich die Gefahr groß, "dass man sich wirklich nur um sich selbst dreht", so Schönborn weiter. Synodalität sei aber, so wie Franziskus es versteht, die Anwendung eines Kernbegriffs des Zweiten Vatikanischen Konzils, nämlich der Kirche als Gemeinschaft. Der Papst wolle mit dem Thema Synodalität sozusagen den 'Modus operandi' in den Fokus nehmen: "Wie funktioniert Gemeinschaft in der Kirche?"
Das berge die Gefahr in sich, "dass man um das Funktionieren der Kirche kreist". Es sei aber legitim, denn "jedes Unternehmen muss sich auch fragen: Wie sind die Abläufe bei uns?" Hier gehe es zuerst einmal darum zu schauen, "dass die Abläufe transparent sind und partizipativ". Das sei das Kernanliegen des Synodalen Prozesses.
Zölibat und Frauenfrage
Auf das beim Synodalen Prozess heftig diskutierten Frauenthema und den Zölibat angesprochen, sagte der Kardinal: "Ich bin als Ordinarius für die katholischen Ostkirchen für eine ganze Reihe von verheirateten Priestern mit ihren Familien zuständig. Das ist ein Thema, das dutzende Male abgehandelt worden ist. Und die Antwort darauf ist klar: Die Möglichkeit, verheiratete Priester zu haben, ist eine Möglichkeit, die es in der Kirche gibt, auch in der katholischen Kirche." Er habe schon Verheiratete zum Priester geweiht, "mit der Erlaubnis von Rom".
Die Frauenfrage sei weltweit sicher "eine der brennenden Fragen für die Kirche und für die Gesellschaft insgesamt", betonte Schönborn: "Und sie ist nicht vom Tisch. Sie wird auch nicht vom Tisch sein, weil Geschlechtergerechtigkeit ein nach wie vor berechtigtes und notwendiges Thema ist."
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