Nahost-Expertin: Christen in Syrien wollen keine "Minderheit" sein
24.12.202409:00
Syrien/Kirche/Christentum/Religionsfreiheit
Wiener Syrien-Expertin Hager in "Standard"-Blog über ungewisse Zukunft der Christen - Zumindest heuer werden zu Weihnachten die Glocken in Damaskus und ganz Syrien läuten
Wien, 24.12.2024 (KAP) Die Zukunft der Christen und anderer Minderheiten in Syrien bleibt ungewiss. Wobei sich die Christen aber nicht als "Minderheit" verstehen bzw. auch nicht als solche bezeichnet werden wollen. Das hat die Wiener Nahostexpertin Anna Hager in einem Blogbeitrag im "Standard" (Dienstag) betont. Die syrischen Christen würden mit dem Begriff "Minderheit" Fremdheit und Ohnmacht im eigenen Land verbinden sowie den rechtlichen Status der "Schutzbefohlenheit" unter islamischer Herrschaft ("Dhimma"). Damit wären sie Bürger zweiter Klasse.
Hager verwies auf eine Predigt des griechisch-orthodoxen Patriarchen von Antiochien, Johannes X., vom 15. Dezember. Dieser sagte wörtlich: "Wir sind nicht Gäste in diesem Land, noch kamen wir heute oder gestern. Wir stammen von den alten Wurzeln Syriens und sind so alt wie das Jasmin von Damaskus."
Abu Muhammed al-Jolani, Führer der Rebellengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) und der neue starke Mann in Syrien, hatte seine Laufbahn im Irak bei Al-Kaida begonnen, daraufhin ihren Ableger in Syrien, die Jabhat al-Nusra, geleitet und sich seit einigen Jahren offiziell vom globalen Jihadismus und dessen Methoden distanziert. Er sei seit dem Beginn der Offensive Ende November bemüht, den Ängsten der "Minderheiten" entgegenzuwirken, erläuterte Hager. Im Zuge der Einnahme Aleppos habe er beispielsweise verlautet: "Vielfalt ist unsere Stärke, nicht unsere Schwäche." Weiters gab es laut dem syrisch-orthodoxen Patriarchat zahlreiche Treffen zwischen hochrangigen Geistlichen der Kirche und "Vertretern der Revolution". Bereits 2022 habe sich Jolani auch um Annäherung an die Drusen bemüht, so Hager.
In der Provinz Idlib, wo die HTS schon einige Jahre an der Macht ist, sei es allerdings zu Enteignungen von Drusen und Christen durch HTS gekommen sein, wobei sich die Lage jedoch mit der Zeit etwas gebessert haben soll, so Hager: "So durften die Christen Kirchen renovieren, jedoch keine Kirchen zurückgewinnen, die in Moscheen umgewandelt worden waren." Noch symbolträchtiger sei allerdings, "dass Christen in Idlib bisher weder Kirchenglocken läuten lassen noch Kreuze auf Kirchen setzen durften". Die islamische Kopfsteuer habe es allerdings nicht gegeben. Es sei daher zurzeit unklar, inwieweit sich HTS in ihrem Umgang mit Nichtmuslimen von traditionellen islamischen Vorstellungen leiten lässt.
Enteignung entlang konfessioneller Linien
Die Zukunft der Christen in Syrien hängt jedenfalls zum einen davon ab, "inwiefern HTS unter Jolani ihre Vorstellungen eines islamischen Staates und einer islamischen Gesellschaft nun umsetzt". Ebenso schwerwiegend werde aber auch sein, "inwieweit sie die massiven wirtschaftlichen und sozialen Probleme des Landes lösen können". Die Frage nach der Rückgabe von enteignetem Land und Besitz stelle eine der schwierigsten Herausforderungen dar, da beide Seiten - sowohl das Assad-Regime als auch die Rebellengruppen - entlang konfessioneller Linien enteignet hätten. Außerdem würden die geopolitischen Entwicklungen und Interessen der Regionalmächte in Syrien Auswirkungen auf die Lage der Christen in Syrien haben. Offen bleibe daher gerade, was mit dem Nordosten Syriens passiert, der derzeit weitgehend unter kurdischer Kontrolle ist.
Derweil hätten die neuen Machthaber in Damaskus die Christen aufgefordert, nichts an ihren Weihnachtsfeierlichkeiten zu ändern, so Hager: "Dazu gehört, dass zumindest heuer die Glocken in Damaskus und ganz Syrien läuten dürften."