Vorsitzender der Bischofskonferenz in "Presse"-Interview am Heiligen Abend: "Gott ist keine verwaltbare Antwort" - Heute weitverbreitete Scheu vor Transzendenz - Lackner "Salzburger Nachrichten": Auch in tristen Zeiten gibt Geburt eines Kindes Grund zu Vertrauen und Hoffnung
Wien, 24.12.2024 (KAP) "Gott ist keine verwaltbare Antwort" und Glaube ist wie die Liebe "nie endgültig definiert, sondern immer wieder neu ... zu erringen". Das hat der Salzburger Erzbischof und Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Franz Lackner, im Interview der "Presse" am Heiligen Abend erklärt. Er teile nicht die Einschätzung, dass Weihnachten zu einem bürgerlichen Wohlfühlfest geworden sei, denn die vollen Kirchen an Jesu Geburtsfest zeigten eine Sehnsucht der Menschen. "Aber was da wirklich geschehen ist, oder was hier die Liturgie feiert, was sich da einmal in einzigartiger und eigentlich nicht wiederholbarer Weise ereignet hat, das glaube ich auch, dass das bei uns heutzutage nicht ankommt", sagte Lackner. "Wir haben Angst, in die Tiefe zu gehen."
Der Erzbischof ortet eine heute weitverbreitete Scheu vor Transzendenz. "Dieses Ausgestreckt-Sein, ausgespannt über das eigene Erwartbare hinaus, das ist verloren gegangen." Heute würden die Menschen "immer mit erwartbaren Erwartungen abgespeist", so Lackner. "Wir sind dann für einen Moment zufrieden, aber in letzter Konsequenz befriedigt das nicht." In sich zu gehen und Gott zu suchen sei "eine Wanderung, die nicht ganz einfach ist" - auch für ihn als Bischof nicht. Auch er ringe in schlaflosen Stunden wie der biblische Jakob mit einem Engel, dem Nihilismus.
"Glaube gibt es nicht aufgewärmt"
Lackner erinnerte dazu an das Ende des Matthäus-Evangeliums, wo davon die Rede ist, dass die Jünger vor dem auferstandenen Jesus niederfielen und zugleich Zweifel hatten. "Es ist kein Totalzweifel, aber ein Nicht-endgültig-wissen-Dürfen", das - wie der Erzbischof betonte - immer wieder neues Bemühen und ein Wagnis erfordere. "Glaube gibt es nicht aufgewärmt. Gulasch wird besser, wenn es aufgewärmt ist. Glaube nicht", formulierte Lackner pointiert: "Wenn Gott für unsere Zeit einen Namen hätte, dann müsste er wie eine Frage klingen. Gott ist keine verwaltbare Antwort."
Dies stehe für Lackner auch im Hintergrund dafür, zwar "vieles, aber auch nicht 100 Prozent" von der Kirche zu unterschreiben. Er habe ein Problem damit, "wenn zu viele Antworten da sind, ohne dass man zuvor gerungen hat, gezittert hat, ein Wagnis eingegangen ist, sich auf Stille, auf das Hören, auf den Heiligen Geist eingelassen hat".
Die von vielen Gläubigen an ihn herangetragene Sinn- und auch die Gottesfrage habe für ihn Vorrang vor kirchlichen Gremien, in denen "oft Strukturalisten am Werk" seien. Zu deren Meinung, "nur alles richtig aufstellen zu müssen und dann passt es schon", sagte Lackner: "Die Zeit des Organisierens ist vorbei." Vielmehr gehe es um Hoffen, Beten und darum, "als synodale Kirche mit den Menschen" zu gehen. Für die Kirche gehe es heute darum zu sagen, "wo sind die Quellen des Glaubens und der Hoffnung".
Glaube zum Fließen bringen statt kanalisieren
Zum Verhältnis von Strukturreformen und Glaubenserschließung griff der Salzburger Erzbischof zu folgendem Vergleich: "Ein Fluss ändert seinen Flusslauf nur dann, wenn viel Wasser fließt. Dann kann er einen neuen Arm entwickeln. Aber mir kommt vor, wir haben ein Flussbett, da fließt ein Rinnsal. Wir meinen, da müssen wir jetzt groß den Flusslauf verändern. Dabei müssten wir schauen, dass uns das Wasser nicht ausgeht. Und zwar das Quellwasser." Kirche sei, so eine "durchaus auch kirchenkritische" Anmerkung Lackners, "ein Selbstläufer geworden". Man wundere sich dann, "dass dieses Wasser nicht schmeckt".
Spekulationen, er könnte als Nachfolger Kardinal Christoph Schönborns nach Wien wechseln, erteilte Lackner eine Absage: Nach menschlichem Ermessen sei das auszuschließen: "Ich bin im 69. Lebensjahr. Wien braucht einen Jungen, einen Dynamischen. Ich bin schon sehr gespannt, wer es ist."
Geburt ist Anlass zur Hoffnung
Weihnachten ist "das emotionalste aller Feste" und deshalb auch für Nichtgläubige zentral, sagte Erzbischof Lackner im Interview der "Salzburger Nachrichten" am Heiligen Abend. Das liege daran, dass Gott nicht mehr nur als der Allmächtige erscheint, der sein Volk mit hoch erhobenem Arm aus der Gefangenschaft herausführt, sondern "ein Kind wird". Gott werde zum Ohnmächtigen, der selbst vor Verfolgung fliehen muss. "Es ist das Große und das Kleine, das im Glauben immer zusammengehört", so der Erzbischof.
Wenn man auf die heutige Welt schaue, gibt es nach den Worten Lackners nichts zu jauchzen und frohlocken - wie es eingangs in Bachs Weihnachtsoratorium heißt. Doch die Geburt eines Kindes sei sehr wohl Anlass dazu. "Selbst Friedrich Nietzsche, der große Religionskritiker, hat gesagt: Es ist DAS Bild der Hoffnung, dass uns ein Kind geboren worden ist", erinnerte der frühere Philosophieprofessor.
Ein Kind sei auch Anlass zur Hoffnung, dass das Leben weitergeht und lebenswert ist. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz nannte es "traurig, wenn junge Menschen sagen, diese Welt sei Kindern nicht mehr zumutbar". Obwohl es aktuell trist zugehe, sollte man - so Lackner - "schon an das Leben glauben". Er verwies auf einen weiteren Philosophen: Ludwig Wittgenstein habe gesagt, "wenn du die Welt verändern willst, dann tue etwas für die Kinder".