De-facto-Machthaber al-Golani traf mit christlichen Kirchenführern zusammen - Papstgesandter in Damaskus: Christen müssen bei Wiederaufbau dabei sein - Kardinal Zenari fordert Ende von Sanktionen: "Wenn wir Frieden in Syrien wollen, müssen wir für Entwicklung sorgen"
Damaskus/Vatikanstadt, 02.01.2025 (KAP) In Syrien hat sich der neue De-facto-Machthaber Abu Mohamed al-Golani am Silvestertag mit christlichen Kirchenführern getroffen. Der frühere Islamist, der nun unter seinem bürgerlichen Namen Ahmad al-Sharaa auftritt, versprach den Christen, sie könnten unbehelligt bleiben und ihre Religion frei ausüben, berichtete "Vatican News" am Donnerstag unter Berufung auf den päpstlichen Nuntius in Damaskus. Dieses Treffen sei "ein Ereignis, das bis vor drei Wochen in der Geschichte Syriens unvorstellbar war", sagte der Papstgesandte Kardinal Mario Zenari in einem am Neujahrstag geführten Interview mit dem vatikanischen Nachrichtenportal.
An der Begegnung nahm der Nuntius demnach selbst nicht teil, er habe sich aber Bericht erstatten lassen, erklärte Zenari. Die anwesenden Bischöfe und Priester hätten eine gewisse Hoffnung für die Zukunft Syriens geäußert, schilderte der Kardinal. "Al-Golani versprach, dass es ein Syrien für alle sein wird, ein Syrien ohne Ausgrenzung, und zum Schluss wünschte er ein frohes Weihnachtsfest und ein Jahr des Friedens."
Zenari äußerte sich vorsichtig optimistisch, was die Zukunft der Christen in Syrien betrifft. In seiner Funktion als Dekan des Diplomatischen Korps habe er bereits den neuen Außenminister getroffen, berichtete der Kardinal. Man sei sich über bestimmte Prinzipien und Grundwerte einig, "aber natürlich wollen wir Taten sehen", sagte Zenari. Die örtlichen Bischöfe zeigten Optimismus, doch viele Christen hätten große Angst: "Viele wollen Syrien schnell verlassen."
Ein Exodus der christlichen Minderheit, der schon seit langem in Gang ist - und den Zenari aufzuhalten hofft, wie er gegenüber "Vatican News" schilderte. "Ich habe den Christen sofort gesagt: Habt keine Angst, bleibt! Jetzt ist nicht die Zeit, Syrien zu verlassen, sondern es ist die Zeit, auch für Christen außerhalb des Landes zurückzukehren. Denn wir müssen gut sichtbar bleiben, und man gibt uns zumindest in Worten ja auch die Möglichkeit dazu." Christen müssten beim Wiederaufbau des neuen Syrien dabei sein, betonte Zenari - "indem wir die Werte der Wahrung der Menschenrechte, der Freiheit und des Respekts für alle voranbringen. Wehe uns, wenn wir dabei fehlen!"
Vor dem Beginn des Bürgerkriegs machten Christen in Syrien ungefähr zehn Prozent der Bevölkerung aus; dem Regime der Familie Assad standen sie mehr oder weniger nahe. Heute ist ihre Zahl auf unter zwei Prozent abgerutscht - wegen starker Bedrängnis durch islamische Terroristen und wegen der Folgen des Bürgerkriegs. 2011 lebten anderthalb Millionen Christen im Land, mittlerweile spricht man von nur noch 300.000. Davon sind etwa 190.000 katholisch - rund ein Prozent der Gesamtbevölkerung.
Der italienische Vatikandiplomat Zenari ist seit 2008 Papstbotschafter in Damaskus und harrte über die Bürgerkriegsjahre hinweg in Syrien aus. Im "Vatican News"-Interview forderte er die internationale Gemeinschaft einmal mehr dazu auf, die Sanktionen gegen das Land aufzuheben. "Die internationale Gemeinschaft reagiert auf die schönen Versprechungen aus Syrien abwartend; aber wenn das heißt, dass man mit Unterstützung und einer Aufhebung der Sanktionen noch abwarten will, dann sage ich Nein dazu!", so der Kardinal. "Macht euch an die Arbeit in Syrien! Dies ist ein sehr, sehr zerbrechlicher Frieden für Syrien, ein sehr heikler Moment", forderte er die internationale Politik zum Handeln auf.
In Syrien sei die Wirtschaft über die Kriegsjahre hinweg zusammengebrochen, Schulen wurden zerstört, die Hälfte der Spitäler funktionierte nicht, Menschen hungerten oder hätten keinen Strom, beklagte Zenari. "Wenn wir Frieden in Syrien wollen, müssen wir für Entwicklung sorgen", rief der Kardinal auf: "Der neue Name für Frieden ist Entwicklung, um Syrien zu helfen, auf eigenen Füßen zu stehen und zu gehen."