Theologe: Mikl-Leitner muss "Islam-Entgleisung" ganz zurücknehmen
07.01.202517:54
(zuletzt bearbeitet am 07.01.2025 um 17:55 Uhr)
Österreich/Religion/Politik/Islam/Integration
Landeshauptfrau sprach in TV-Interview von "Kampf gegen den Islam", meinte laut Präzisierung aber "politischen Islam" - Theologe Tück: Rhetorik der ÖVP-Politikerin ist "verantwortungslos" und Belastung für den Religionsdialog
Wien/St. Pölten, 07.01.2025 (KAP) Der Theologe Jan-Heiner Tück hat Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner nach dem Wirbel um ihre Äußerung über einen "Kampf gegen den Islam" scharf kritisiert und eine noch klarere Zurücknahme gefordert, als dies bisher geschehen ist. In einem Kommentar auf der Plattform communio.de (Dienstag) bezeichnete Tück die Rhetorik der ÖVP-Politikerin gegenüber dem Islam als "verantwortungslos" und warnte vor einer "Vertiefung gesellschaftlicher Gräben". Es brauche eine Politik, die "Brücken baut statt Misstrauen zu säen", so der Wiener Theologe.
Tück reagierte damit auf Aussagen Mikl-Leitners in einem ORF-TV-Interview, in dem die Landeshauptfrau am 5. Jänner wörtlich von der Notwendigkeit "konkreter Maßnahmen im Kampf gegen den Islam" gesprochen hatte. Am selben Tag hatte sich die Landeshauptfrau in einer Aussendung ähnlich lautend geäußert, dabei aber dezidiert vom politischen Islam gesprochen.
Mikl-Leitner präzisierte tags darauf gegenüber Kathpress und weiteren Medien ihre Äußerung in dem TV-Interview: Sie habe "selbstverständlich den politischen Islam" und Maßnahmen gegen integrationsunwillige Zuwanderer gemeint. Unter anderem der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), Ümit Vural, aber auch die Katholische Aktion Österreich (KAÖ) hatten von der Politikerin eine öffentliche und klare Richtigstellung gefordert.
Diese nachträgliche Klarstellung sei jedoch "halbherzig" und reiche nicht aus, befand Tück nun. Das "brandgefährliche" Sprechen von einem "Kampf gegen den Islam" stelle "alle Muslime in Österreich unter Generalverdacht und suggeriert, sie seien Feinde, die bekämpft werden müssten". Mikl-Leitners "verbale Entgleisung" sei nicht nur eine "Zumutung für alle friedlich lebenden Muslime", sondern auch eine Belastung für das interreligiöse Zusammenleben in Österreich, so der Theologie-Professor der Universität Wien.
Integration statt Polarisierung
Tück betonte, dass der Islam in Österreich eine rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaft sei, und verwies auf die Vielfalt innerhalb der muslimischen Community. "Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, in der viele Muslime die Vorzüge westlicher Demokratien schätzen und sich aktiv integrieren. Diese Menschen zu pauschalisieren oder auszugrenzen, ist verantwortungslos."
Zugleich räumte der Theologe ein, dass es im Bereich der Integration Herausforderungen gebe - etwa die Bildung von Parallelgesellschaften oder fundamentalistische Tendenzen. Gerade deshalb sei es jedoch wichtig, differenziert vorzugehen. "Pauschale Aussagen wie die von Mikl-Leitner spielen extremistischen Kräften auf beiden Seiten in die Hände."
Anstatt Misstrauen zu schüren, müsse die Politik verlässliche Allianzen fördern und den Dialog mit gut integrierten Muslimen suchen. "Es braucht eine Politik, die die positiven Beispiele gelungener Integration stärker hervorhebt und diese Menschen als Multiplikatoren einbindet", forderte Tück.
Rechtsstaatlichkeit stärken
Der Theologe wies zudem auf die Grundprinzipien des liberalen Rechtsstaates hin, die allen Religionsgemeinschaften - ob Christen, Juden oder Muslimen - gleiche Rechte einräumen. Wo der Rechtsstaat untergraben werde, müsse konsequent gehandelt werden, betonte Tück. "Aber wer pauschale Vorurteile schürt oder mit ungleichen Maßstäben misst, läuft Gefahr, selbst ins illiberale Fahrwasser zu geraten."
Die politische Aufgabe liege nicht in einem "Kampf" gegen eine Religion, sondern im gezielten Vorgehen gegen Extremismus und Fundamentalismus - unabhängig von der Herkunft oder religiösen Zugehörigkeit. "Was wir brauchen, ist ein differenzierter Blick, nicht das Schüren von Ressentiments", schlussfolgerte Tück. Eine Begrenzung des Schadens von Mikl-Leitners Worten sei erst dann möglich, wenn die Politikerin ihre Aussagen vollständig zurücknehme und klarstelle, dass sie für eine integrative Gesellschaftspolitik eintrete.
Auch auf eine internationale Dimension der Debatte verwies der Theologe. In Syrien würden europäische Politiker nach dem Sturz des Assad-Regimes derzeit den Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates fordern, der Religionsfreiheit garantiert und den wenigen dort verbliebenen Christen Sicherheit bietet, erinnerte Tück. Es sei vor diesem Hintergrund "kontraproduktiv, hier in Österreich kämpferisch-kritische Töne gegenüber dem Islam anzuschlagen". Vielmehr gelte es, die Grundfreiheiten, zu denen auch die Gewissens- und Religionsfreiheit zählen, hochzuhalten.
Landeshauptfrau sprach in TV-Interview von "Kampf gegen den Islam", meinte laut Präzisierung aber "politischen Islam" - Islamische Glaubensgemeinschaft und auch Katholische Aktion forderten Klarstellung - KAÖ-Präsidium drückt Solidarität mit Musliminnen und Muslimen in Österreich aus