Scheuer: Was Christen vom Judentum über das Lernen lernen können
08.01.202513:30
Österreich/Kirche/Judentum/Antisemitismus/Scheuer
Linzer Bischof in Erklärung zum "Tag des Judentums": Lernen ist Teil der jüdischen Identität - Lebenslanges Lernen als Fundament für das richtige Tun - Bischof räumt mit christlichen Vorurteilen gegenüber dem Judentum auf
Linz, 08.01.2025 (KAP) Seit mehr als 25 Jahre begehen die Kirchen den 17. Jänner als "Tag des Judentums". Der Linzer Bischof Manfred Scheuer hat diesen Tag als "Tag der Dankbarkeit", als "Tag der Buße", aber auch als "Tag des Lernens" bezeichnet. In einem aktuellen Beitrag zum heurigen "Tag des Judentums" geht Scheuer vor allem auf letzteren Aspekt ein und führt aus, "was Christinnen und Christen vom Judentum über das Lernen lernen können". Er spricht von einem lebenslangen Lernen als Fundament für das richtige Tun. Zugleich räumt der Bischof, der in der österreichischen Bischofskonferenz für den Dialog mit dem Judentum zuständig ist, mit einigen christlichen Vorurteilen gegenüber dem Judentum auf.
Lernen sei Teil der jüdischen Identität, so Scheuer: "Lernen ist der Weg, um Gottes Tora besser zu verstehen und umzusetzen, was sie hier und jetzt bedeutet. Das Studium soll dazu führen, das Richtige in unserer Zeit zu tun." Jüdisches Lernen sei dabei kein Privileg von Auserwählten, von Priestern oder Rabbinern: "Jede und jeder ist dazu berufen, jedes Alter, jedes Geschlecht, jeder soziale Stand." Den Stellenwert des Lernens zeige etwa die Vorschrift, die es traditionell erlaube, eine Synagoge in eine Schule umzubauen, aber verbiete, eine Schule in eine Synagoge zu verwandeln.
Klarstellung des Bischofs
Die Tradition jüdischen Lernens würden auch die Evangelien überliefern. Sie würden von Gesprächen Jesu mit Pharisäern und Schriftgelehrten um die rechte Auslegung der Heiligen Weisung, der Tora vom Sinai, erzählen. Scheuer: "In ihrer bisweilen polemischen Tendenz spiegeln diese Diskussionen die angespannte Situation der frühen (jüdischen!) Gemeinden der Jesus-Anhängerschaft zum Ende des 1. Jahrhunderts; verstärkt noch in späteren Zeiten durch eine bewusst antijüdische Auslegung in der Kirche." Heute erkennen man hingegen: Auch die jüdische Diskussion bemühe sich um eine lebensnahe Auslegung des Sabbats, auch die rabbinische Auslegung kenne Nächsten- und Feindesliebe. Bisweilen könne man das aber bis heute immer noch nicht würdigen, sondern meine, Jesus hätte mit einer neuen Lehre das Judentum überboten, so Scheuer. Nachsatz: "Diese Ansicht ist klar zurückzuweisen."
Wie der Bischof weiter schreibt, sei jüdisches Lernen das Ergebnis von Dialog. Das Lernen werde oft als Lernen zwischen Gleichgesinnten angesehen, "die beide gemäß ihrem eigenen Wissen und ihrer eigenen Logik nach der Wahrheit streben". Das Gegenüber des Studiums seien die Texte der Heiligen Schrift, des Talmud und anderer Auslegungen. "Die Lehrerin oder der Lehrer begleiten; sie sind nicht jene, die bereits alles wissen und das fertige Wissen nun weitergeben." Der starke individuelle Bezug zum Lernen bringe natürlich individuelle Ergebnisse hervor, bisweilen stak kontroversiell zu anderen, so Scheuer: "Vielfalt ist das Merkmal jüdischen Lernens und die Bereitschaft, im weiteren Studium das Bisherige auch wieder infrage zu stellen und zu ändern."
"Tag der Dankbarkeit"
Im Blick auf den "Tag des Judentums" als "Tag der Dankbarkeit" führt der Bischof zudem aus: ": Wir Christinnen und Christen sind dankbar, dass Jesus aus Nazareth als Sohn des jüdischen Volkes uns die Schöpferkraft, die Befreiung und die Barmherzigkeit des Einen und Einzigen Gottes, des Gottes Israels nahegebracht hat." Der 17. Jänner sei aber zugleich auch ein "Tag der Buße", so der Bischof: "Denn jahrhundertelang haben wir Christinnen und Christen und die Kirchen dieses Geschenk aus dem Judentum nicht als solches gewürdigt, sondern Gottes erwähltes Volk verachtet und seine Vertreibung und Vernichtung unterstützt."
Der Wortlaut der Erklärung von Bischof Scheuer findet sich u.a. auf der Website des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich. (www.oekumene.at).
Kathpress-Themenpaket zum kirchlichen "Tag des Judentums" (17. Jänner) und der internationalen "Gebetswoche für die Einheit der Christen" (18.-25. Jänner)