Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Bischof Petrosyan, im Kathpress-Interview über gesellschaftspolitische und innerkirchliche Herausforderungen, die alle Kirchen im Land gleichermaßen betreffen
Wien, 08.01.2025 (KAP) Die Kirchen sind heute mehr denn je aufgefordert, in zentralen Themenbereichen wie dem Schutz der Menschenrechte und der Verteidigung der Religionsfreiheit zusammenzuarbeiten. Das hat der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), der armenisch-apostolische Bischof Tiran Petrosyan, im Kathpress-Interview betont. "Gerade angesichts der zunehmenden Verfolgung von Christen und anderen religiösen Gruppen müssen die Kirchen mit einer geeinten Stimme auftreten und Solidarität mit den Betroffenen zeigen", so der Bischof.
Ein weiterer Bereich, in dem die Kirchen noch enger zusammenarbeiten sollten, sei der Kampf gegen Armut und soziale Ungerechtigkeit. Petrosyan: "Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst, und die Not von benachteiligten Gruppen erfordert dringend gemeinsames Handeln." Auch die Klimakrise, die besonders die Schwächsten trifft, verlange eine klare ökumenische Antwort. "Die Bewahrung der Schöpfung muss ein zentraler Teil unseres gemeinsamen Glaubenszeugnisses sein", unterstrich der ÖRKÖ-Vorsitzende.
Zudem seien die Kirchen als "Friedensapostel" gefragt: "In einer Welt, die von Konflikten und Spaltungen geprägt ist, sollten wir in der Förderung von Versöhnung und Dialog vorangehen." Auch der interreligiöse Dialog sei ein zentrales Thema. Schließlich könnten die Kirchen neue Wege finden, "das Evangelium in einer zunehmend säkularisierten Welt zu verkündigen und ein glaubwürdiges Zeugnis abzugeben".
Solidaritätreise ins Heilige Land
Darauf angesprochen, dass der Vorstand des ÖRKÖ im Februar eine Solidaritätsreise ins Heilige Land plant, sagte der Bischof, dass man mit dieser Reise "ein starkes Zeichen der Unterstützung für die christlichen Gemeinschaften in der Region" setzen wolle. "Diese Gemeinschaften sehen sich nicht nur politischen Konflikten, sondern auch sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen gegenüber. Unsere Reise möchte den Menschen vor Ort zeigen, dass sie nicht allein sind, dass Christen weltweit in Solidarität mit ihnen stehen", so Petrosyan.
Ein zentrales Anliegen der Reise sei es, die schwierige Lage der Palästinenser ins Bewusstsein zu rufen. Petrosyan: "Im Rahmen des EAPPI-Programms wollen wir uns über die Arbeit der ÖRK-Partner vor Ort informieren, die sich für Frieden, Gerechtigkeit und Menschenrechte einsetzen. Wir wollen die ungerechte Situation sichtbar machen und die Notwendigkeit einer gerechten Lösung betonen."
Im Rahmen des "Ökumenischen Begleitprogramms in Palästina und Israel" (EAPPI) werden vom Weltkirchenrat Freiwillige aus aller Welt entsendet, die sich für ein Ende der Gewalt und ein friedliches Zusammenleben von Palästinensern und Israelis einsetzen. Der ÖRKÖ unterstützt seit vielen Jahren diese Initiative.
Gleichzeitig biete die Reise die Gelegenheit, so Petrosyan weiter, "Brücken zwischen verschiedenen religiösen Gemeinschaften und Organisationen zu bauen, die sich für ein friedliches Miteinander einsetzen". Nach der Reise wolle man die Erfahrungen und Perspektiven in die Arbeit des ÖRKÖ einfließen lassen "und das Bewusstsein in Österreich für die komplexen Herausforderungen im Heiligen Land schärfen".
Zum Jubiläum "1.700 Jahre Konzil von Nicäa", das die Kirchen 2025 begehen, meinte der Bischof, dass dieses Konzil einen bedeutenden Meilenstein in der Geschichte des christlichen Glaubens darstelle: "Es erinnert uns an den gemeinsamen Ursprung unseres Glaubens und die Entwicklung eines gemeinsamen Glaubensbekenntnisses, das bis heute in vielen Kirchen verwendet wird." Das Jubiläum biete eine einzigartige Gelegenheit, "die Einheit des christlichen Glaubens zu feiern und gleichzeitig die Bedeutung des Dialogs und der Verständigung zu betonen".
Gemeinsame Gottesdienste, theologische Konferenzen und Veranstaltungen könnten helfen, "das historische Erbe zu reflektieren und den Blick auf heutige ökumenische Herausforderungen zu lenken". Themen wie der Umgang mit theologischen Differenzen, das gemeinsame Zeugnis in einer pluralistischen Welt und die Suche nach sichtbarer Einheit könnten dabei im Mittelpunkt stehen. Das Jubiläum sei eine Gelegenheit, "Brücken zwischen den Kirchen zu bauen und die Sehnsucht nach Versöhnung und Zusammenarbeit zu stärken".
Gemeinsames Osterfest ist "kraftvolles Zeichen"
Auch die Tatsache, dass heuer alle Kirchen zum gleichen Datum Ostern feiern, bewertete der ÖRKÖ-Vorsitzende sehr positiv: "Die gemeinsame Feier von Ostern ist ein kraftvolles ökumenisches Zeichen, das unsere Einheit im Glauben an die Auferstehung Jesu Christi sichtbar macht. Ostern ist das zentrale Fest des christlichen Glaubens und verbindet uns alle. Wenn wir dieses Fest gemeinsam feiern, zeigt es, dass wir trotz theologischer und traditioneller Unterschiede eine tiefere spirituelle Einheit teilen."
Die gemeinsame Feier könnte nicht nur ein symbolischer Akt der Verbundenheit sein, sondern auch einen praktischen Impuls für mehr Zusammenarbeit in der Verkündigung des Evangeliums und in sozialen Projekten geben. Darüber hinaus biete die gemeinsame Feier die Gelegenheit, die Notwendigkeit der Versöhnung und der Überwindung von Spaltungen zu betonen. Sie könnte "ein Schritt in Richtung einer sichtbaren und greifbaren Einheit unter den Kirchen sein", so der Bischof. Nachsatz: "Es wäre wünschenswert, wenn diese gemeinsame Feier nicht nur ein einmaliges Ereignis bleibt, sondern langfristig zu einer verstärkten ökumenischen Zusammenarbeit führt."
Hoffnung auf Frieden im Kaukasus
Bischof Petrosyan nahm im Interview auch zum Konflikt ziwschen Armenien und Aserbaidschan Stellung. Die Situation in Armenien bleibe angespannt, besonders nach den jüngsten Entwicklungen in der Region Bergkarabach (Arzach). Tausende Vertriebene suchten Zuflucht in Armenien, und die humanitäre Lage sei prekär. Petrosyan: "Der Friedensprozess zwischen Armenien und Aserbaidschan ist nach den militärischen Auseinandersetzungen in den letzten Jahren weiterhin fragil. Trotz wiederholter diplomatischer Initiativen bleibt das Vertrauen zwischen den beiden Ländern erschüttert, und es gibt ungelöste Streitpunkte wie territoriale Fragen und Sicherheitsgarantien."
Es bestünde jedoch die Möglichkeit eines nachhaltigen Friedens, "wenn beide Seiten bereit sind, in Verhandlungen einzutreten, und wenn die internationale Gemeinschaft eine aktive Vermittlerrolle übernimmt". Neben diplomatischen Maßnahmen seien auch humanitäre Hilfe und Unterstützung für die betroffenen Menschen von größter Bedeutung. Petrosyan: "Frieden ist möglich, erfordert jedoch Geduld, Mut und den Willen, die Wunden der Vergangenheit zu heilen."
Dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) gehören 17 Kirchen an: die Altkatholische Kirche, Anglikanische Kirche, Armenisch-apostolische Kirche, Bulgarisch-Orthodoxe Kirche, Evangelische Kirche A.B., Evangelische Kirche H.B., Evangelisch-methodistische Kirche, Griechisch-Orthodoxe Kirche, Koptisch-Orthodoxe Kirche, Römisch-Katholische Kirche, Rumänisch-Orthodoxe Kirche, Russisch-Orthodoxe Kirche, Serbisch-Orthodoxe Kirche und Syrisch-Orthodoxe Kirche. Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche, der Bund der Baptistengemeinden und die Neuapostolische Kirche sind "Mitglieder mit beratender Stimme". Weitere Institutionen bzw. Organisationen besitzen Beobachterstatus. (Infos: www.oekumene.at)
Kathpress-Themenpaket zum kirchlichen "Tag des Judentums" (17. Jänner) und der internationalen "Gebetswoche für die Einheit der Christen" (18.-25. Jänner)