In Rom lehrende österreichische Wissenschaftlerin Stoeckl referierte in Innsbruck über Strategien und Ziele der internationalen christlichen Rechten - "Was uns eigentlich beschäftigen sollte, ist die schweigende Mehrheit"
Innsbruck, 09.01.2025 (KAP) Vor einer antidemokratischen Agenda einer stark vernetzten christlichen Rechten in Europa und darüber hinaus hat die in Rom lehrende österreichische Religionssoziologin Prof. Kristina Stoeckl gewarnt. Zwar würde die christliche Rechte politisch noch keine relevante Größe darstellen, sie verfolge aber konsequent das Ziel einer Destabilisierung der etablierten liberalen Nachkriegsordnung, sagte Stoeckl bei einem Vortrag am Mittwochabend in Innsbruck. Die zentralen Themen, über die sie dies forciere, seien die Themen Abtreibung, LGBTIQ und Islam. Gegen diese Themen betone sie "christliche Werte" und ein Ende der egalitären Gleichheit aller vor dem Gesetz. "Vor dieser Welt sollten wir uns fürchten."
Der Vortrag fand im Rahmen der Reihe "Macht, Geld und Kirchen" - einer Kooperation von Diözese Innsbruck mit der Katholischen Frauenbewegung der Diözese Innsbruck und dem Arbeitskreis Emanzipation und Partnerschaft - statt. Moderiert wurde der Abend im Innsbrucker Haus der Begegnung vom Dekan der Katholisch-theologischen Fakultät, Prof. Wilhelm Guggenberger.
Die "christliche Rechte" bestehe laut Stoeckl aus einem Netzwerk von Einzelpersonen und Institutionen, das sich durch eine gemeinsame ideologische Basis und eine klare strategische Ausrichtung auszeichne. Als Beispiel führte Stoeckl die Plattform "CitizenGo" oder die in Wien ansässige "ADF International" an. Die Gruppen der christlichen Rechten seien nicht ident mit den Kirchen, sind oft Minderheiten innerhalb dieser und stellen die etablierten Kirchen als zu liberal in Frage. Konfessionalität spiele entsprechend keine Rolle, auch an Theologie hätten die Vertreter dieser Gruppe kein Interesse. Bei deren Tagungen gebe es etwa keine spirituellen Akzente, wie man das vielleicht erwarten würde; oft herrsche bei den Akteuren außerdem eine völlige Unkenntnis der theologischen Traditionen, so Stoeckl.
In ihrem gemeinsam mit Philipp Ayoub verfassten Buch "The Global Fight Against LGBTI Rights" (New York 2024) zeigt die Wissenschaftlerin außerdem auf, wie sich die christliche Rechte und progressive Akteure spiegelbildliche Kämpfe liefern. Stoeckl bezeichnete dies bei ihrem Vortrag als "Doppelhelix": In der Doppelhelix würden insbesondere Abtreibung und LGBTIQ als Identitätsmarker genutzt. Stoeckl spricht von einem "Plug-and-Play-Konservativismus", der eine Gefahr für Gesellschaft und Kirchen sei. Die Debatten würden auf Abtreibung und LGBTI reduziert, der Rest der christlichen Soziallehre und der gesellschaftlichen Wirklichkeit werde ausgeblendet.
Dennoch betonte Stoeckl, dass es sich dabei um ein noch eher kleines, aber zugleich lautes Randphänomen handle. "Was uns eigentlich beschäftigen sollte, ist die schweigende Mehrheit", mahnte Stoeckl. Es gebe laute, extremistisch auftretende Minderheiten, aber Umfragen in ganz Europa würden zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Menschen sich in der Mitte bewegt. Hier stehe die Frage im Raum, wie sich diese schweigende Mehrheit aktivieren lasse. (Hinweis: Der Vortrag wird am 23. Jänner um 14 Uhr im Sender "FREIRAD Freies Radio Innsbruck" ausgestrahlt)
Innsbrucker Religionssoziologin Kristina Stoeckl referierte bei "Vienna Doctoral School of Theology and Research on Religion" über "Die christliche Rechte in Europa: Inhalte, Akteure und transnationale Verknüpfungen"