Kirchenoberhaupt wirbt in Grundsatzrede vor beim Heiligen Stuhl akkreditierten Botschaftern für eine weltweite "Diplomatie der Hoffnung" - Aufruf zum Einsatz für Frieden, Umwelt- und Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und die Wahrung der Menschenrechte
Vatikanstadt, 09.01.2025 (KAP) Papst Franziskus hat in einer seiner wichtigsten Ansprachen des Jahres vor einem drohenden Weltkrieg gewarnt und zu einer "Diplomatie der Hoffnung" aufgerufen. "Angesichts der immer realer werdenden Gefahr eines Weltkriegs besteht die Berufung der Diplomatie gerade darin, den Dialog mit allen zu fördern, auch mit jenen Gesprächspartnern, die als 'unbequem' gelten oder denen man die Legitimation für Verhandlungen absprechen möchte", erklärte das Kirchenoberhaupt in seiner traditionellen Neujahrsansprache an das Diplomatische Corps im Vatikan am Donnerstag.
Dies sei "der einzige Weg, um die Ketten des Hasses und der Rache zu sprengen, die gefangen halten, und um die Waffen des menschlichen Egoismus, des Stolzes und der Überheblichkeit zu entschärfen, die die Wurzel jedes kriegstreibenden und zerstörerischen Strebens sind", so Franziskus in der umfassenden, rund 45-minütigen Grundsatzrede, die der Papst wegen einer Erkältung fast zur Gänze von einem Kurien-Mitarbeiter verlesen ließ.
Die "dichten Wolken des Krieges" müssten "von einem neuen Wind des Friedens hinweggefegt werden", mahnte Franziskus und verwies auf zahlreiche Konfliktherde weltweit. Insbesondere forderte er zur Beendigung des Krieges auf, "der die gepeinigte Ukraine seit fast drei Jahren blutig quält". Mit Blick auf den Nahost-Krieg mahnte er abermals einen Waffenstillstand, die Freilassung der israelischen Geiseln sowie Hilfe für die palästinensische Bevölkerung an. "Ich hoffe, dass Israelis und Palästinenser die Brücken des Dialogs und des gegenseitigen Vertrauens wiederaufbauen können, angefangen bei den Kleinsten, damit die kommenden Generationen in den beiden Staaten Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben können", so der Papst.
"Krieg ist immer eine Niederlage", wiederholte Franziskus eine von ihm oft geäußerte Mahnung und rief auch zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts in Kriegen auf: "Wir können nicht im Geringsten akzeptieren, dass Zivilisten bombardiert oder die für ihr Überleben notwendigen Infrastrukturen angegriffen werden. Wir können nicht hinnehmen, dass Kinder erfrieren, weil Krankenhäuser zerstört oder das Energienetz eines Landes beschädigt wurde."
"Fake News" gefährden Zusammenleben
"Leider beginnen wir dieses Jahr in einer Zeit, in der die Welt von zahlreichen mehr oder weniger bekannten großen und kleinen Konflikten zerrissen wird, aber auch von der Wiederkehr abscheulicher Terrorakte, wie sie sich kürzlich in Magdeburg in Deutschland und in New Orleans in den Vereinigten Staaten ereignet haben", erinnerte Franziskus. In vielen Ländern herrschten soziale und politische Verhältnisse, die durch wachsende Gegensätze verschärft werden. "Wir haben es mit zunehmend polarisierten Gesellschaften zu tun, in denen ein allgemeines Gefühl der Angst und des Misstrauens gegenüber dem Mitmenschen und der Zukunft um sich greift", warnte das Kirchenoberhaupt.
Verschärft werde dies durch die ständige Verbreitung von "Fake News, die nicht nur die Realität verfälschen, sondern auch das Bewusstsein verzerren, falsche Wahrnehmungen der Realität hervorrufen und ein Klima des Misstrauens schaffen, das den Hass schürt, die Sicherheit der Menschen untergräbt und das zivile Zusammenleben sowie die Stabilität ganzer Nationen gefährdet". Als tragische Beispiele dafür nannte der Papst die Attentate auf den slowakischen Präsidenten Robert Fico und den designierten US-Präsidenten Donald Trump.
Ausdrücklich beklagte Franziskus, dass "in unserer Zeit die Leugnung selbstverständlicher Wahrheiten die Oberhand zu gewinnen scheint". Manche misstrauten rationalen Argumenten, weil sie diese für Werkzeuge in den Händen einer geheimen Macht hielten, während andere glaubten, "sie seien im unumstößlichen Besitz ihrer selbst konstruierten Wahrheit und befreien sich so von der Auseinandersetzung und dem Dialog mit Andersdenkenden". Wieder andere neigten dazu, "ihre eigene 'Wahrheit' zu schaffen und die Objektivität der Wahrheit zu missachten", hielt der Papst fest: "Diese Tendenzen können durch moderne Kommunikationsmittel und künstliche Intelligenz noch verstärkt werden, wenn sie als Mittel zur Manipulation des Bewusstseins für wirtschaftliche, politische und ideologische Zwecke missbraucht werden."
Antisemitismus "sehr beunruhigend"
Im Zusammenhang mit einer Mahnung zur Wahrung von Religionsfreiheit äußerte der Papst auch seine Sorge über einen wachsenden Antisemitismus. "Die zunehmenden antisemitischen Äußerungen, die ich aufs Schärfste verurteile und die immer mehr jüdische Gemeinden in der ganzen Welt betreffen, sind sehr beunruhigend", betonte das Kirchenoberhaupt.
Tatsächlich könne es keinen wirklichen Frieden geben, "wenn nicht auch die Religionsfreiheit gewährleistet ist, die die Achtung vor dem Gewissen des Einzelnen und die Möglichkeit einschließt, den eigenen Glauben und die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft öffentlich zu bekunden", sagte der Papst. Er könne daher auch zu den zahlreichen Verfolgungen verschiedener christlicher Gemeinschaften in aller Welt nicht schweigen.
Weltfonds zur Beendigung des Hungers
In weiteren Passagen der Grundsatzrede rief Franziskus zum Einsatz für Umwelt- und Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und die Wahrung der Menschenrechte auf. Mit Blick auf die zunehmende Verbreitung Künstlicher Intelligenz, die die Sorge über die Rechte an geistigem Eigentum, Arbeitsplatzsicherheit und die Achtung der Privatsphäre verstärke, seien verlässliche Regeln notwendig. Aus dem Geld für Waffen und andere Militärausgaben sollte ein Weltfonds zur Beendigung des Hungers gegründet werden, forderte der Papst. Erneut appellierte er an die wohlhabenden Länder zu einem Schuldenerlass für den Globalen Süden, auch angesichts der "ökologischen Schulden" der reicheren Staaten.
Ausdrücklich rief Franziskus die internationale Gemeinschaft zudem auf, den "elenden" Menschenhandel zu unterbinden und skrupellosen Menschen zu verfolgen, "die die Not Tausender Menschen ausnutzen, welche vor Krieg, Hunger, Verfolgung oder den Auswirkungen des Klimawandels fliehen und einen sicheren Ort zum Leben suchen". "Enttäuscht" sei er auch darüber, so der Papst weiter, dass Migranten nur als ein Problem betrachtet würden, das es zu bewältigen gelte. "Sie können nicht zu Objekten gemacht werden, die man unterbringen muss, sondern sie haben eine Würde", mahnte Franziskus.
In Sachen Lebensschutz sprach sich der Papst einmal mehr gegen die Todesstrafe und gegen Schwangerschaftsabbrüche aus. Es sei "unannehmbar, von einem sogenannten 'Recht auf Abtreibung' zu sprechen, das den Menschenrechten, insbesondere dem Recht auf Leben, widerspricht. Das ganze Leben muss geschützt werden, in jedem Moment, von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod, denn kein Kind ist ein Fehler oder hat Schuld an seiner Existenz, genauso wenig wie ein alter oder kranker Mensch der Hoffnung beraubt und ausgesondert werden darf", so Franziskus.
Heiliges Jahr: Dank an Behörden und Römer
Mit Blick auf das derzeit stattfindende katholische Jubeljahr in Rom dankte er italienischen Behörden, Sicherheitskräften, Zivilschutz und freiwilligen Helfern für ihren Einsatz. Den Römern dankte er für ihre Gastfreundschaft und die Geduld der letzten Monate. Zu dem Pilgerereignis werden mehr als 30 Millionen Besucher in der Ewigen Stadt erwartet.
"Mein Wunsch für dieses neue Jahr ist, dass das Jubiläum für alle, Christen wie Nichtchristen, zu einer Gelegenheit wird, auch die Beziehungen zu überdenken, die uns als Menschen und politische Gemeinschaften verbinden; die Logik der Konfrontation zu überwinden und stattdessen die Logik der Begegnung anzunehmen; damit die Zeit, die uns erwartet, uns nicht als verzweifelte Herumirrende vorfindet, sondern als Pilger der Hoffnung, d.h. als Menschen und Gemeinschaften, die sich auf den Weg machen und eine friedliche Zukunft aufbauen", betonte der Papst.
Außenpolitische Grundsatzrede
Die Neujahrsansprache an die beim Heiligen Stuhl akkreditierten Diplomaten gilt als alljährliche außenpolitische Grundsatzrede der Päpste. Derzeit unterhält der Heilige Stuhl volle diplomatische Beziehungen mit 184 Staaten sowie mit der EU und weiteren internationalen Organisationen, 90 Staaten unterhalten eigene Vatikan-Botschaften in Rom.
Auch der österreichische Botschafter beim Heiligen Stuhl, Marcus Bergmann, und EU-Botschafter Martin Selmayr nahmen am Papstempfang für das Diplomatische Corps teil. Vorgetragen wurde die Papstrede vom Untersekretär des Dikasteriums für die Orientalischen Kirchen, Filippo Ciampanelli.