Petrosyan: Vorurteile im christlich-jüdischen Dialog abbauen
10.01.202511:45
Österreich/Kirche/Judentum/Dialog/Petrosyan
Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich, Bischof Petrosyan, ruft bei "Tag des Lernens" zu mutigem und offenem Dialog auf - Veranstaltung an der Universität Wien rückte biblisches Bild der Pharisäer zurecht
Wien, 10.01.2025 (KAP) Zum Abbau von Vorurteilen zwischen Christen und Juden und zu mehr gegenseitigem Verständnis und Wertschätzung hat der Vorsitzende des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ), Bischof Tiran Petrosyan, Donnerstagabend beim "Tag des Lernens" an der Universität Wien aufgerufen. "In einer Welt, die oft von Missverständnissen und Vorurteilen geprägt ist, wird die Aufgabe des Lernens zu einer geistlichen Verantwortung", so der Bischof wörtlich.
Der "Tag des Lernens" fand im Vorfeld des "Tages des Judentums" (17. Jänner) statt und soll dazu beitragen, den Dialog zwischen Christen und Juden theologisch zu vertiefen und das Verständnis füreinander zu stärken. Die Veranstaltung stand unter dem Motto "Die Pharisäer waren keine 'Pharisäer'". Den Hauptvortrag hält die amerikanische Theologin und Neutestamentlerin Amy-Jill Levine, die für ihre interdisziplinäre Arbeit im Bereich der jüdisch-christlichen Studien bekannt ist. 2019 war sie die erste Jüdin, die am Päpstlichen Bibelinstitut (Rom) über das Neue Testament gelehrt hat.
Der "Tag des Lernens" biete eine wunderbare Gelegenheit, "nicht nur zur Erinnerung und Besinnung, sondern auch zur Vertiefung unseres Verstehens - eines Verstehens, das Brücken bauen und Gräben überwinden will", so Bischof Petrosyan in seinem Grußwort. Das Thema "Die Pharisäer waren keine 'Pharisäer'" erinnere daran, "wie leicht sich stereotype Bilder verfestigen können und wie tiefgreifend sie unser Verständnis beeinflussen".
Die Worte von Amy-Jill Levine mahnten zu einer kritischen Reflexion, hob der ÖRKÖ-Vorsitzende hervor. Es gelte, die Darstellung der Pharisäer in den Evangelien mit größter Sorgfalt und Sensibilität zu betrachten. Denn die Verunglimpfung der Pharisäer sei letztlich eine Verunglimpfung des Judentums selbst, so Petrosyan.
Der christlich-jüdische Dialog sei ein unersetzlicher Schatz, "der uns hilft, die gemeinsamen Wurzeln unseres Glaubens neu zu entdecken und aus ihnen zu lernen". Amy-Jill Levine sei ein herausragendes Beispiel für die Kraft dieses Dialogs. Ihre Arbeit lehre, dass das Neue Testament ohne seine jüdischen Wurzeln nicht verstanden werden kann, "und Vorurteile und Fehlinterpretationen nur durch gemeinsames Lernen und ehrlichen Austausch überwunden werden können".
Petrosyan: "Lernen bedeutet nicht nur Wissen zu erwerben, sondern auch Herz und Geist zu öffnen. Es bedeutet, einander zuzuhören, die Perspektiven des anderen ernst zu nehmen und sich der eigenen Verantwortung bewusst zu werden."
Die Christinnen und Christen seien aufgerufen, sich kritisch mit der eigenen Geschichte auseinanderzusetzen und Wege der Versöhnung zu gehen, so der ÖRKÖ-Vorsitzende und armenisch-apostolische Bischof: "Die Lehren, die wir aus der Geschichte der Pharisäer ziehen können, laden uns ein, unser eigenes Gottesbild und unser Verständnis von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu hinterfragen."
Petrosyan abschließend wörtlich: "Möge dieser Abend des Lernens uns inspirieren, weiterhin mutig und offen im Dialog zu bleiben. Möge er uns bestärken in unserem gemeinsamen Bemühen, Vorurteile abzubauen und Wege der Gerechtigkeit und des Friedens zu gehen. Und möge er uns daran erinnern, dass wahre Begegnung immer ein Akt der Liebe und des Respekts ist."
Ein weiteres Grußwort bei der Veranstaltung sprach Oberrabbiner Jaron Engelmayer. Veranstalter des "Tages des Lernens" waren der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit, die Studienvertretung der Katholischen und Evangelischen Theologie sowie der Judaistik.
Tag des Judentums
Die Kirchen in Österreich begehen am 17. Jänner den 26. "Tag des Judentums". Das Christentum ist von seinem Selbstverständnis her wesentlich mit dem Judentum verbunden. Damit dies den Christen immer deutlicher bewusst wird, hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) im Jahr 2000 den 17. Jänner als eigenen Gedenktag im Kirchenjahr eingeführt. Dabei sollen sich die Christen in besonderer Weise ihrer Wurzeln im Judentum und ihrer Weggemeinschaft mit dem Judentum bewusst werden. Zugleich soll auch das Unrecht an jüdischen Menschen und ihrem Glauben in der Geschichte thematisiert werden. Dies erfolgt im Rahmen von Gottesdiensten und weiteren Gedenk- und Lernveranstaltungen.
2019 führte der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit gemeinsam mit Partnern eine Dreiteilung des "Tages des Judentums" ein; auf einen "Tag des Lernens", einen "Tag des Gedenkens" und einen "Tag des Feierns" (am eigentlichen "Tag des Judentums" am 17. Jänner).
Der "Tag des Gedenkens" ist heuer am 13. Jänner um 19 Uhr im Bezirksmuseum Josefstadt (Schmidgasse 18, 1080 Wien) der Synagoge Josefstadt Neudeggergasse gewidmet.
Der zentrale Gottesdienst zum "Tag des Judentums", den der ÖRKÖ gemeinsam mit dem Koordinierungsausschuss veranstaltet, findet am 17. Jänner um 18 Uhr in der katholischen Ruprechtskirche in Wien (Ruprechtsplatz 1, 1010 Wien) statt.
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