Seit knapp drei Jahrzehnten prägt der Wiener Erzbischof die katholische Kirche in Österreich und zählt als Theologe und Intellektueller zu den profiliertesten Vertretern der katholischen Weltkirche
Wien, 13.01.2025 (KAP) "Vorläufig und auf unbestimmte Zeit": Mit diesem Zusatz hat Papst Franziskus 2020 die Amtszeit von Kardinal Christoph Schönborn als Erzbischof von Wien verlängert, als dieser das bischöfliche Pensionsalter von 75 Jahren erreichte. Mehrfach hat der Kardinal zuletzt davon gesprochen, dass er die Annahme seines Rücktritts durch den Papst rund um seinen 80. Geburtstag am 22. Jänner erwarte. Kardinal bleibt der Dominikaner auf Lebenszeit. Als Alterzbischof wird der bekannteste Ordensmann Österreichs aber nun wohl öfter wieder schlicht "Pater Christoph" sein. Am 18. Jänner feiert die Erzdiözese Wien jetzt ein Dankfest für ihren Erzbischof im und um den Stephansdom.
Seit mehr als drei Jahrzehnten prägt der Kardinal die katholische Kirche in Österreich und zählt als Theologe und Intellektueller zu den profiliertesten Vertretern der Weltkirche. Bei den Papstwahlen 2005 und 2013 galt Schönborn als möglicher Kandidat. Die Wiener Erzdiözese leitete der Dominikaner seit 1995; er übernahm sie auf dem Höhepunkt des Missbrauchsskandals um seinen Vorgänger Kardinal Hans Hermann Groer (1919-2003). Auch als Vorsitzender der Österreichischen Bischofskonferenz (1998-2020) warb Schönborn als Hirte und Krisenmanager auf verschiedenen Ebenen um neues Vertrauen für die Kirche.
Immer wieder rückte der Wiener Erzbischof national und weltkirchlich ins Scheinwerferlicht: durch die Stadtmissions-Initiativen und den Mitteleuropäischen Katholikentag, seinen international anerkannten Umgang mit der Missbrauchskrise, in Debatten um das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft oder während der Corona-Krise. Eine wichtige Rolle erfüllte Schönborn als Vermittler und theologischer Interpret der Anliegen der Päpste Johannes Paul II., Franziskus und Benedikt XVI. Letzteren begrüßte der Kardinal 2007 zu einem Österreich-Besuch, ein Höhepunkt in seiner Amtszeit als Erzbischof. Auch im aktuellen Pontifikat ist Schönborn eine weltkirchlich beachtete Stimme - in Fragen der Synodalität genauso wie im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen.
Bekannt für seine Freundlichkeit und Eloquenz ist der polyglotte Kardinal gleichzeitig kein Freund der Schwarz-Weiß-Malerei. Oft abwägend und um Differenzierung bemüht zeigte er sich in seinen Bischofsjahren, nicht selten lieber "hinter den Kulissen" um Lösungen bemüht als in der breiten Öffentlichkeit. Die um Ausgleich bemühte Haltung legten ihm Kritiker mitunter als Schwäche aus. Er habe sich manchmal vielleicht zu diplomatisch und harmoniebedürftig gezeigt und es an "Standhaftigkeit, Mut und Klarheit" missen lassen, meinte Schönborn selbst nachdenklich als ihm die Stadt Wien jüngst die Ehrenbürgerwürde verlieh.
Das überwiegende Gefühl sei jedoch Dankbarkeit, bekräftigte der Kardinal einen Satz, den er schon vor einiger Zeit der Kirchenzeitung "Der Sonntag" sagte: Er gehe dem Ende seiner Amtszeit als Erzbischof entgegen, "mit dem Gefühl der Dankbarkeit, weil ich wunderbaren Menschen begegnet bin, weil ich Freude habe an den Gemeinden, dem Glauben, dem ich begegne - viel mehr als man vermutet".
Auch nach seiner Emeritierung will Schönborn als "Brückenbauer" tätig sein. In einem ORF-Interview sagte er zuletzt, er wolle dazu beitragen, dass in der aktuellen "aufgeregten Zeit" Gräben zwischen den Menschen überwunden werden. Viele überraschte er zudem mit einem sehr persönlichen Bekenntnis: "Ich liebe die Kirche. Ich verdanke ihr so unglaublich viel in meinem langen Leben, ich habe so viel gewonnen durch sie - und dass sie Fehler hat, das sehe ich an mir selber."
Hirte und Krisenmanager
Geboren wurde Christoph Schönborn am 22. Jänner 1945 im böhmischen Schloss Skalken nahe Leitmeritz. Noch als Säugling wurde er zum Heimatvertriebenen, als seine Mutter Eleonore mit ihrer kleinen Familie aus dem Sudetenland nach Österreich fliehen muss. Schönborn wuchs in Schruns im Vorarlberger Montafon auf. Dort prägte den späteren Kardinal zunächst die Volkskirchlichkeit der 1950er Jahre. Die Ehe seiner Eltern wurde Anfang der 1960er Jahre geschieden.
Über den Ordensmann Paulus Gunz kam Schönborn mit dem Dominikanerorden in Kontakt. 1963 trat er mit 18 Jahren im westfälischen Warburg in den Predigerorden ein. Er erlebte sowohl die Aufbrüche und Begeisterung rund um das Zweite Vatikanische Konzil (1962-65) als auch die darauffolgenden Krisen und Konflikte - sei es im Orden oder dann im akademischen Leben als Student oder Lehrender.
Schönborn studierte Theologie und Philosophie in Deutschland, Frankreich und Österreich. 1970 weihte ihn Kardinal Franz König in Wien zum Priester. 1974 erwarb Schönborn am Institut Catholique in Paris den Doktorgrad mit einer Dissertation über das Thema "L'Icone du Christ", einer ersten Frucht seiner profunden ostkirchlichen Studien. Im Zuge seiner Dissertation studierte er von 1972 bis 1973 an der Universität Regensburg bei Joseph Ratzinger - aus dieser Zeit erwuchs eine lebenslange Verbundenheit. Daneben war er von 1973 bis 1975 Studentenseelsorger an der Grazer Hochschulgemeinde. Ab 1975 lehrte Schönborn zunächst als Gastprofessor Dogmatik an der Katholischen Universität Fribourg (Schweiz) und betreute ab 1978 auch einen Lehrauftrag für die Theologie des christlichen Ostens. Ab 1981 war er Ordinarius für Dogmatik in Fribourg.
Redaktionssekretär des Weltkatechismus
Wien war für Schönborn zunächst eine "terra incognita", die er erst langsam als Weihbischof ab 1991 kennenlernte. Zuvor hatte Johannes Paul II. den damals in der Schweiz lehrenden Dogmatikprofessor 1980 zum Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission im Vatikan und 1987 zum Redaktionssekretär des Weltkatechismus bestellt.
Die Jahre der Arbeit am Katechismus unter der Leitung von Kardinal Joseph Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt XVI., bezeichnete Schönborn später einmal als die "vielleicht intensivsten meines Lebens". Losgelassen hat ihn die Leidenschaft für den Glaubensschatz der Kirche nie. Anfang der 2010er Jahre erschien auf Initiative des Kardinals der Jugendkatechismus "Youcat" - heute mit mehreren Millionen Exemplaren in über 30 Sprachen eines der meistverkauften katholischen Bücher.
Im Sturm der Krise
1991 ernannte Johannes Paul II. den Dominikaner und ausgewiesenen Intellektuellen zum Weihbischof in Wien. Unter den Gläubigen umstrittene Bischofsernennungen hatten die Kirche in Österreich zuvor ab Mitte der 1980er Jahre stark polarisiert. Am 29. September 1991 wurde der damals 46-jährige Schönborn zum Weihbischof geweiht. Weniger als vier Jahre später musste er sich als bischöflicher Krisenmanager bewähren - dabei aber auch viel Lehrgeld zahlen.
Das Bekanntwerden der Missbrauchsvorwürfe gegen Kardinal Groer stellte Schönborn 1995 in das Auge eines Wirbelsturms. Mitte April wurde er vom Papst zunächst zum Erzbischof-Koadjutor, am 14. September dann zum Erzbischof von Wien ernannt. Groer schwieg zu den Vorwürfen, 1998 erklärte Schönborn zusammen mit drei weiteren Bischöfen öffentlich, sie seien zur moralischen Gewissheit gelangt, dass die Vorwürfe gegen seinen Amtsvorgänger "im Wesentlichen zutreffen".
"Harte Jahre" habe er am Anfang seiner Bischofszeit erlebt und in einer zerstrittenen Kirche "ordentlich kämpfen müssen", erinnerte sich Schönborn später an diese Zeit. Als 2010 eine neuerliche Missbrauchskrise die Kirche erschütterte, hatte der 1998 zum Kardinal aufgerückte Wiener Erzbischof Mittel und Mut, entschieden vorzugehen. Als Vorsitzender der Bischofskonferenz setzte er sich für umfassende Aufklärung und Prävention ein. Dabei scheute er auch Konflikte mit der Römischen Kurie nicht. Das von ihm initiierte Modell mit klaren Richtlinien und einer unabhängigen Kommission wurde zum Vorbild in Österreich, aber auch international. Ebenso Beachtung fand Schönborns Zugehen auf Opfer kirchlicher Gewalt, unter anderem in einem TV-Gespräch mit der Theologin und früheren Ordensfrau Doris Wagner 2019.
Eine missionarische Kirche
Der Wiener Erzbischof erlebte in seiner Amtszeit unübersehbare Veränderungen in Kirche und Gesellschaft und die Herausforderungen der Säkularisierung. Schon vor Jahren sprach der Kardinal vom Weg der Volkskirche hin zu einer "Entscheidungskirche überzeugter Christen". Sein Pastoralkonzept war geprägt vom Versuch spiritueller Erneuerung und der Überzeugung, dass Christen wieder Mission leben sollen. Davon zeugte etwa das Projekt "Stadtmission" 2003 in Wien, das eine Fortsetzung in Paris, Lissabon, Brüssel und Budapest fand, oder die ab 2009 unternommene Wiener Diözesanreform. Große Sympathien hegt er für neue geistliche Gemeinschaften.
Der von Schönborn immer wieder geäußerte Wunsch nach einer offenen Kirche beschränkte sich nicht nur auf die Türen der Gotteshäuser. So verschloss der Kardinal nicht die Augen vor den dramatischen Herausforderungen für die Seelsorge, sei es der Priestermangel, die Situation der wiederverheirateten Geschiedenen oder die Rolle der Frau in der Kirche. Pastorale Öffnungen und die Treue zur Lehre der Kirche freilich gehören für Schönborn zusammen. Dass er dafür nicht nur Applaus erntete, verbindet ihn nicht zuletzt mit Papst Franziskus: Beide stehen letztlich für eine pastorale Haltung, bei der die Liebe das entscheidende Maß ist.
Österreichs meistgelesene "Predigten"
Ein zentraler Schlüssel zur Persönlichkeit des Kardinals ist der Blick auf seinen bischöflichen Wahlspruch "Ich aber habe euch Freunde genannt" aus dem Johannesevangelium. Nach Schönborns Verständnis wächst aus der persönlichen Freundschaft mit Christus eine echte Freundschaft zum Menschen. Auch die Erneuerung der Kirche geht für ihn davon aus, dass sich Menschen von Jesus persönlich angesprochen fühlen.
Die Christusbegegnung ist der Kern der priesterlichen Berufung des Kardinals, seine Spiritualität von der Schlichtheit und der Intellektualität des Dominikanerordens geprägt. Als Thomas-von-Aquin-Kenner schätzt er die Kirchenväter genauso wie die Theologen Joseph Ratzinger, Yves Congar und Hans Urs von Balthasar. Auch als Erzbischof blieb er stets seiner dominikanischen Grundausrichtung treu. Jahrelang hielt Schönborn viel beachtete abendliche Katechesen im Stephansdom. Seine wöchentlich erscheinenden geistlichen und gesellschaftspolitischen Kommentare in zwei großen österreichischen Tageszeitungen dürften die meistgelesenen "Predigten" Österreichs sein. Auch in den sozialen Medien ist der Kardinal seit vielen Jahren präsent und im deutschsprachigen Raum unter den Bischöfen führend.
Dialog mit den Kirchen
Von besonderer Bedeutung war für Schönborn stets die Ökumene mit den anderen christlichen Kirchen sowie der interreligiöse Dialog. Schönborn ist nicht nur ein großer Freund und Kenner der orthodoxen Kirche, es verbindet ihn auch viel Wertschätzung mit den Kirchen der reformatorischen und der freikirchlichen Tradition. Zahlreiche ökumenische Initiativen zeugen vom Willen Schönborns nach mehr Einheit, wobei er allerdings nie den kirchenrechtlichen Rahmen verließ.
Stets erinnerte der Kardinal die Katholiken an ihre jüdischen Wurzeln. Im christlich-jüdischen Dialog agierte er auf globaler Ebene. Auch im Dialog mit dem Islam scheute Schönborn weder Zusammenarbeit noch die offene Diskussion. Seine viel beachtete Iran-Reise 2001, aber auch 2023 nach Saudi-Arabien und sein Einsatz für die Rechte christlicher Minderheiten in islamischen Ländern belegen dies.
Ausdruck davon und wie ein Vermächtnis wirkt die jüngst von Kardinal Schönborn initiierte "Wiener Erklärung: Religionen für den Frieden", die er gemeinsam mit Oberrabbiner Jaron Engelmayer und dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, Ümit Vural, unterzeichnet hat. Darin wird die Zusammenarbeit der Religionsgemeinschaften für den Frieden und ein gutes Miteinander in der Gesellschaft bekräftigt.
Weiterhin in Rom
Weltkirchlich zählt der Wiener Kardinal zu den gefragtesten theologischen Stimmen. Schon unter Johannes Paul II. hielt Wiens Erzbischof 1996 die Fastenexerzitien für Papst und Römische Kurie. Im Vatikan gehörte er zahlreichen römischen Dikasterien an, darunter die Kurienbehörden für Glaubenslehre, Orientalische Kirchen, Bildungswesen oder Neuevangelisierung.
Über die Jahre nahm Schönborn an neun Synoden in Rom teil, wobei die Bischofssynode über die Familie 2014/15 den Höhepunkt bildete. Auf Wunsch von Papst Franziskus präsentierte der Wiener Erzbischof am 8. April 2016 dessen nachsynodales Schreiben "Amoris laetitia" der Weltpresse. Bis Oktober 2024 war der Kardinal Mitglied des Synodenrats der Weltbischofssynode.
Auch nach seiner Emeritierung als Erzbischof wird Schönborn regelmäßig nach Rom reisen, nicht nur um die Pfarrgemeinde seiner Titelkirche "Gesu Divino Lavoratore" zu besuchen. Seit einem Jahrzehnt gehört er der Kardinalskommission der Vatikanbank IOR an, die zuletzt in ruhigere Fahrwasser gelangte. Mitte Oktober ernannte der Papst den Wiener Kardinal zum Präsidenten der Aufsichtskommission. Auch im Dikasterium für die Orientalischen Kirchen wird der Kardinal weiter mitwirken, der seit Jahren zusätzlich als Ordinarius für die Gläubigen der katholischen Ostkirchen in Österreich fungiert.
ORF-Generaldirektor Weißmann lud Spitzen der Kirchen und Religionsgemeinschaften zum Gedankenaustausch - Die Religionsberichterstattung in TV, Radio und Online nimmt im ORF einen großen Stellenwert ein, denn die vielfältigen Stimmen der Kirchen, Glau
Unterzeichnung der "Wiener Erklärung: Religionen für den Frieden"
Kardinal Christoph Schönborn und Bürgermeister Michael Ludwig im Stephansdom
Requiem für Brigitte Bierlein - v.l.: Erzbischof Lackner, Kardinal Schönborn, Bischof Glettler
Kardinal Christoph Schönborn
Kardinal Christoph Schönborn
Kardinal Christoph Schönborn
Kardinal Christoph Schönborn
Wiener Erzbischof beim Ökumene-Empfang am 30. Jänner 2024
Kardinal Christoph Schönborn
Pressereise mit Kardinal Schönborn nach Rom
Pressereise mit Kardinal Schönborn nach Rom
Kardinal Christoph Schönborn bei der Bischofssynode
Kardinal Schönborn bei Synodenversammlung 2023 im Vatikan
Erzbischof Franz Lackner und Kardinal Christoph Schönborn bei der Bischofssynode
Prof. Andrea Riedl würdigt in Sonderdruck der Zeitschrift "Christ in der Gegenwart" die bisherige ostkirchliche Ökumene-Bilanz von Kardinal Schönborn, der am 22. Jänner seinen 80. Geburtstag feiert
Film "Kardinal Schönborn ganz persönlich: Weil die Seele atmen muss" zeigt wichtige biografische Stationen des Wiener Erzbischofs - Dankgottesdienst im Stephansdom via ORF2 und radio klassik Stephansdom übertragen
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Bischofskonferenz-Vorsitzender würdigt in Zeitschrift-Sonderdruck "Weichenstellungen" des Kardinals auf vielen Ebenen - "Menschenfreundliches Antlitz Gottes bleibt in seinem Wirken sichtbar"
Kardinal Schönborn, Oberrabbiner Engelmayer und IGGÖ-Präsident Vural unterzeichneten im Wiener Erzbischöflichen Palais "Wiener Erklärung" - Schönborn: Botschaft ist dauerhaft aktuell - Vural: "Islam ist Teil dieses Landes"