Kirchlicher "Tag des Judentums: Aufruf zu Dialog und Achtsamkeit
17.01.202520:42
(zuletzt bearbeitet am 18.01.2025 um 07:48 Uhr)
Österreich/Kirche/Judentum/Ökumene/ÖRKÖ
Gottesdienst des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) in der Wiener Ruprechtskirche - Superintendent Geist: Gedenken mit Entsetzen, Scham, aber auch Hoffnung - Bischöfin Kubin: "Der Weg zum Frieden gelingt nie durch einseitige Schuldzuweisungen"
Wien, 17.01.2025 (KAP) Mit einem Gottesdienst in der Wiener Ruprechtskirche im Ersten Bezirk hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) am Freitagabend den "Tag des Judentums" begangen. Der Wiener evangelische Superintendent Matthias Geist wies eingangs auf die Bedeutung des Tages hin, an dem sich die Christen in besonderer Weise ihrer Wurzeln im Judentum und ihrer Weggemeinschaft mit dem Judentum bewusst werden sollen und zugleich des Unrechts an jüdischen Menschen und ihrem Glauben in der Geschichte gedenken. "Ein Gedenken wie dieses, das wir heute mit Entsetzen, Scham, aber auch Hoffnung begehen, soll uns Mut machen: Mut zum Dialog, Mut zum Erinnern, Mut, achtsam zu sein", so Geist wörtlich.
Der Superintendent zitierte den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der von den Nazis hingerichtet wurde: "Nur wer für die Juden schreit, darf auch gregorianisch singen." Und Geist fügte mit eigenen Worten hinzu: "Wir dürfen uns nicht christlich wähnen, ohne das Erbe in uns und an uns zu spüren und für dieses lautstark einzutreten."
Es gelte aufzuschreien, "wo Recht mit Füßen getreten wird, wo Menschen aufgrund ihres Glaubens, ihrer freien Meinungsäußerung, ihrer Hoffnungen, ihrer Herkunft, Sehnsüchte und Prägungen verunglimpft werden". Geist nahm Bezug auf den Angriff Russlands auf die Ukraine und den Terrorangriff der Hamas auf Israel. Es gelte aufzustehen gegen Hass, Neid, Feindseligkeit und Populismus und einzustehen und festzuhalten an dem, "was Menschen aufrichtet und zum Leben verhilft".
Der Gottesdienst stand unter dem aus den Psalmen entnommenen Motto "Du zeigst mir den Weg zum Leben. Dort, wo du bist, gibt es Freude in Fülle; ungetrübtes Glück hält deine Hand ewig bereit." Kirchenrektor P. Alois Riedlsperger konnte zum Gottesdienst u.a. den ÖRKÖ-Vorsitzenden Bischof Tiran Petrosyan, den evangelischen Superintendenten Matthias Geist, den methodistischen Superintendenten Stefan Schröckenfuchs, den reformierten Landessuperintendenten Thomas Hennefeld und die altkatholische Bischöfin Maria Kubin begrüßen; weiters den syrisch-orthodoxen Chorepiskopos Emanuel Aydin, Kanonikus Patrick Curran von der Anglikanischen Kirche, P. Alexander Lapin von der Griechisch-orthodoxen Kirche sowie der Präsident der Koordinierungsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Prof. Martin Jäggle. Gemeinsam wurde für den Frieden in der Welt und besonders auch im Heiligen Land gebetet.
"Selig, die Frieden stiften"
Bischöfin Kubin ging in ihrer Predigt u.a. auf die biblischen Seligpreisungen ein, wo es heißt: "Selig, die Frieden stiften, sie werden Söhne und Töchter Gottes heißen." - Frieden zu stiften sei ein unglaublich mühsames Unterfangen, bedeute es doch, Menschen, Gruppierungen, oft sogar Religionen oder ganze Völker, die miteinander verfeindet sind, zu einem Miteinander zu bewegen, so Kubin: "Der Weg zum Frieden gelingt nämlich nie durch einseitige Schuldzuweisungen, denn die Grenze zwischen Richtig und Falsch, zwischen Gut und Böse liegt nicht zwischen Einzelpersonen, Gruppen oder Nationalitäten, sondern immer in diesen selbst, sie geht immer mitten durch das eigene Herz."
Daher gehe es auch nicht darum, "herauszufinden, wer mit der Gewalt begonnen hat, sondern die entscheidende Frage wird sein, wer damit aufhören kann". Das verlange menschliche Größe, sei freilich nicht unmöglich.
Kubin: "Wir haben es geschafft, Gräben zu überbrücken, die viel zu tief dafür zu sein schienen. Wir haben Kriege geführt, aber auch Frieden geschaffen. Wir haben Probleme verursacht, aber auch immer wieder Lösungen gefunden. Wir haben Gewalt verbreitet, aber wir sind auch Wege gegangen, um aus Unversöhntem wieder auszusteigen."
Auch die Tatsache, dass die Kirchen heute in ökumenischer Eintracht miteinander feiern, sei vor nicht einmal 60 Jahren undenkbar gewesen. "Dass wir heute den Tag des Judentums begehen und uns der ungeheuren Bedeutung der Geschichte des Volkes Israel für unseren christlichen Glauben dankbar bewusst sind - das hätte sich vor 100 Jahren niemand träumen lassen", so die Bischöfin: "Dass wir hier in Österreich mit anderen Religionen weitgehend friedlich zusammenleben können, dass es interreligiöse Projekte gibt, das alles sind Zeichen der Hoffnung, dass Gott immer wieder Wege findet, zu unseren Herzen zu sprechen, und dass es Menschen gibt, die bereit sind, sich auf diese Wege auch einzulassen."
Der Weg zum Leben, zur Freude und zum Glück führe über das Gemeinsame: "Über den gemeinsamen Gottesdienst, den wir hier in ökumenischer Verbundenheit feiern und den wir heuer auch im gemeinsamen Bekenntnis von Nizäa und im Feiern des gemeinsamen Ostertermins erleben können. Er geht über die Erinnerung an den langen gemeinsamen Weg und über die gemeinsame Tradition der heiligen Schriften, den wir mit Jüdinnen und Juden haben." Gemeinschaft habe man aber auch "mit allen Menschen guten Willens, die bereit sind, Frieden zu stiften", so Bischöfin Kubin.
26. "Tag des Judentums"
Das Christentum ist von seinem Selbstverständnis her wesentlich mit dem Judentum verbunden. Damit dies den Christen immer deutlicher bewusst wird, hat der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich (ÖRKÖ) im Jahr 2000 den 17. Jänner als eigenen Gedenktag im Kirchenjahr eingeführt. Das Datum dafür wurde bewusst gewählt: So sollen die Kirchen den Geist dieses Tages in die anschließende weltweite "Gebetswoche für die Einheit der Christen" (18. bis 25. Jänner) weiter tragen; denn bei allen Trennungen der Christenheit untereinander sei allen Kirchen gemeinsam, dass sie im Judentum verwurzelt sind, so die Veranstalter, darunter der "Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit".