Deutscher Kirchenhistoriker berichtet über neue Erkenntnisse aus seinen Forschungen in den Vatikan-Archiven
Bonn/Vatikanstadt, 20.01.2025 (KAP/KNA) Nach Ansicht des deutschen Kirchenhistorikers Hubert Wolf hat sich Papst Pius XII. (1939-1958) sehr schwer getan damit, dass er sich verpflichtet gefühlt habe, als Papst zur Vernichtung der Juden zu schweigen. Das zeigten neue Erkenntnisse aus seinen Forschungen in den Vatikan-Archiven, berichtete Wolf laut Katholischer Nachrichten-Agentur (KNA) am Montag im Deutschlandfunk. Pius XII. lasse dort an manchen Stellen erkennen, "dass ihn diese Selbstfesselung fast zerreißt".
In einem Schreiben an den Würzburger Bischof Matthias Ehrenfried etwa habe Pius damals geschrieben: "Wo der Papst laut schreien möchte, da legt ihm sein Amt Zurückhaltung und Schweigen auf." Da merke man sehr genau, so Wolf weiter, "dass er weiß, dass er eigentlich schreien müsste, reden müsste, dass dieses Verbrechen danach verlangt. Dass es aber von diesem Amtsverständnis her mit Überparteilichkeit und Neutralität nicht kann." Der Diplomat in Pius XII. habe da gesiegt.
Neutralität als oberstes Gebot
Die Akten zeigten sehr genau die interne Entscheidungsfindung im Vatikan und die Grundentscheidung in der Amtszeit von Pius XII., dass der Papst im Krieg nicht Partei werden dürfe. Das oberste Gebot sei unbedingte Neutralität gewesen, fügte Wolf hinzu: "Und diese Neutralität zwingt ihn 1940, zur Ermordung einer Million katholischer Polen nichts zu sagen. Und weil er 1940 zur Ermordung einer Million katholischer Polen nichts gesagt hat, kann er natürlich 1942 nichts zur Ermordung von sechs Millionen Juden mehr sagen."
Der Historiker berichtete weiter, er und sein Team wollten in ihrem Projekt "Asking the pope" alle rund 10.000 jüdischen Bittschreiben an den Papst erforschen und veröffentlichen "in einem hoffentlich auf 25 Jahre angelegten Forschungsprojekt". Bisher habe man etwa 800 bis 900 Briefe transkribiert und rund ein Zehntel dieser Fälle rekonstruiert. Am Ende wolle man mit Zahlen und Fakten und auch mithilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) Fragen beantworten können wie "Wie viel Prozent hat der Papst gesehen? Wie oft hat er geholfen? Gab es einen Unterschied zwischen getauften Juden und nicht getauften Juden? Was waren die Inhalte der Bitten?"
Mehr Hilfe als Ablehnung
Bisher, so Wolf, deute sich an, dass "offenkundig in mehr Fällen versucht wurde zu helfen als dass die Hilfe abgelehnt wurde". Dafür spreche auch, dass die jüdischen Bittschreiben aus ganz Europa, die 1939 begannen, nicht 1941 aufhörten, sondern bis 1945 kamen: "Und man sieht aus den Quellen, dass sich offenkundig in der jüdischen Community rumgesprochen hatte: Wenn jetzt gar nichts mehr hilft, dann schreib dem Papst, denn da besteht doch eine gewisse Aussicht auf Hilfe."