Südtiroler Bischof kündigt nach Missbrauchsbericht Maßnahmen an
24.01.202515:07
Italien/Kirche/Missbrauch/Aufarbeitung/Prävention
Diözese Bozen-Brixen kündigt verbesserte Richtlinien für Umgang mit Missbrauchsfällen, neue Kontrollmechanismen und weitere Schritte in der Prävention an - Bischof Muser geht bei Pressekonferenz auch auf persönliche Versäumnisse ein - Generalvikar Runggaldier: Missbrauch ist "Ergebnis systemischer Defizite"
Bozen, 24.01.2025 (KAP) Nach der Veröffentlichung der unabhängigen Studie zum Umgang mit Missbrauchsfällen in der Diözese Bozen-Brixen im Zeitraum 1964 bis 2023 hat der Südtiroler Bischof Ivo Muser Verantwortung für Fehler in seiner Amtszeit seit 2011 übernommen und weitere Maßnahmen gegen Missbrauch in der Kirche angekündigt. Er bitte die Betroffenen und auch die Pfarren und Gläubigen um Vergebung für seine Versäumnisse als Bischof und übernehme die Verantwortung dafür, sagte Muser am Freitag bei einer Pressekonferenz in Bozen.
Zusammen mit Generalvikar Eugen Runggaldier stellte der Bischof eine Reihe weiterer konkreter Maßnahmen vor. So kündigte Muser an, noch in diesem Jahr verbesserte Richtlinien für den Umgang mit Missbrauchsfällen vorzulegen, ein Monitoring-System soll garantieren, dass Sanktionen eingehalten und präventive Maßnahmen umgesetzt werden. Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe solle die Fälle der noch lebenden beschuldigten Priester überprüfen. Ferner solle die Ombudsstelle gestärkt werden. Zudem sollten mehr Frauen in kirchliche Führungspositionen berufen werden.
Das von der Diözese bei der Münchner Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl (WSW) beauftragte Gutachten sei kein Zielpunkt, sondern "ein Auftrag, mit all unseren Kräften weiterzuarbeiten", betonte Muser. In der Kirche sei ein Kulturwandel notwendig. In den vergangenen Jahrzehnten seien Missbrauchsbetroffene ungesehen geblieben "oder wurden ungesehen gemacht", sagte der Bischof unter Verweis auf Falldarstellungen aus dem Gutachten, die ihn "tief bewegt" hätten. "Täter wurden versetzt, (....) Familien, Pfarrgemeinden und Gemeinschaften wurden als Mitbetroffene und Mitleidende einfach übersehen und sich selbst überlassen." Dies alles "und noch mehr" sei im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen geschehen - "und es kann wieder passieren, wenn wir nicht hinzusehen", mahnte Muser.
Vorreiter unter Italiens Diözesen
Als erste Diözese Italiens hatte die Südtiroler Diözese am Montag eine unabhängige Untersuchung zu Missbrauchsfällen in ihrem Bereich vorgelegt, die auch Empfehlungen zur Stärkung der Belange der Betroffenen, zum Umgang mit Beschuldigten und Tätern und präventiven Maßnahmen enthält. Für die vergangenen 60 Jahre ermittelten die Gutachter 67 Missbrauchsfälle und 59 Betroffene zwischen 8 und 14 Jahren. Hinzu kommen weitere 16 Fälle, die ungeklärt blieben. Von den 41 beschuldigten Priestern, die zwischen 28 und 35 waren, wurden bei 29 die Vorwürfe mit hoher Wahrscheinlichkeit oder sicher nachgewiesen. Das mehr als 600 Seiten umfassende WSW-Gutachten ist Teil des mehrjährigen Projekts "Mut zum Hinsehen", bei dem Missbrauchsfälle im kirchlichen Bereich aufgearbeitet und die Prävention von Missbrauch in der Diözese weiter verbessert werden soll.
"Wir wissen, dass das, was wir im Gutachten lesen, nur die Spitze des Eisberges ist", sagte Bischof Muser am Freitag. Andere Studien und auch die WSW-Anwälte "machen uns unmissverständlich deutlich, dass das Dunkelfeld um ein Vielfaches höher liegt". Die Diözese Bozen-Brixen wolle verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen und den Opfern Gerechtigkeit widerfahren lassen, so Muser. Es brauche "Mut, Geduld und Entschlossenheit, um diese Aufgabe zu bewältigen". Erneut rief er Missbrauchsbetroffene auch auf, sich bei diözesanen Einrichtungen oder unabhängigen Stellen zu melden.
Transparenz, Ehrlichkeit und der Mut zur Wahrheit seien unverzichtbar, um Vertrauen und Glaubwürdigkeit der Kirche wiederherzustellen, sagte Muser und übernahm auch persönliche Verantwortung. Es habe in seiner Bischofszeit Versäumnisse bei der Kontrolle auffälliger Priester sowie bei klaren präventiven Maßnahmen gegenüber beschuldigten Priestern gegeben. Ferner räumte er eine "mangelhafte Dokumentation der eigenen Schritte im Umgang mit Missbrauchsfällen" ein.
Die deutschen WSW-Juristen benennen in ihrem Gutachten für Bischof Muser und Generalvikar Runggaldier mehrere Fehler bei der Behandlung konkreter Missbrauchsfälle. Gleichzeitig hielten die Gutachter fest, dass Muser und Runggaldier aus ihrer Sicht "stets und ehrlich bemüht waren, den Belangen der Betroffenen, dem Schutz weiterer denkbarer Betroffener und einer umfassenden Aufklärung bestmöglich gerecht zu werden". Anders fällt im WSW-Gutachten die Bewertung für die Zeit vor 2010 aus, in der damalige Bischöfe und Generalvikare der Südtiroler oft mangelhaft oder unangemessen auf Fälle von Missbrauch reagiert hätten.
Missbrauch ist "Ergebnis systemischer Defizite"
Generalvikar Runggaldier sprach bei der Pressekonferenz von "systemischen Ursachen" des Missbrauchs, die es zu bekämpfen gelte. "Missbrauch in der Kirche ist kein Einzelfallphänomen, sondern das Ergebnis systemischer Defizite", erklärte er. Dazu zählten eine unreife Sexualität und eine häufige Vereinsamung von Priestern sowie "klerikalistische Strukturen", fehlende Transparenz und eine mangelnde Fehlerkultur.
Gottfried Ugolini, Leiter des diözesanen Dienstes für den Schutz von Minderjährigen und schutzbedürftigen Personen, stellte die Einleitung der zweiten Phase des Projektes "Mut zum Hinsehen" vor. Dabei wolle man die Empfehlungen aus dem Gutachten erörtern und weiter Maßnahmen in den Bereichen Seelsorge, Bildung, Caritas und Verwaltung vorschlagen. Für Pfarrgemeinden und Gruppen, in denen Missbrauchsfälle bekannt wurden, stehe zudem nun ein Support-Team bereit, um Gesprächsräume zu schaffen und die Dynamik von Missbrauch aufzuarbeiten, wie Ugolini sagte. Auch er hob die Notwendigkeit einer Mentalitätsänderung hervor: "Hinschauen, Zuhören und Handeln müssen zur Norm werden."
(Website der Diözese Bozen-Brixen mit zum Projekt "Mut zum Hinsehen", u.a. mit vollständigem WSW-Gutachten und Stellungnahmen von Bischof Muser: https://www.bz-bx.net)
Münchner Kanzlei Westpfahl-Spilker-Wastl präsentiert von Diözese Bozen-Brixen in Auftrag gegebenes unabhängiges Gutachten für Zeitraum 1964 bis 2023 - Bischof Muser: "Belastender, aber notwendiger Blick auf die Realität"