Wiener Theologin und Religionssoziologin in "Publik-Forum": Ablehnung von Migration nimmt zu, weil "konservative Parteien die Argumente von rechtspopulistischen übernehmen" - Kirche soll "Übungsräume für Demokratie" anbieten - Einbruch des traditionell christlichen Glaubens
Bonn, 26.01.2025 (KAP) Das Ergebnis der jüngsten Nationalratswahl mit der FPÖ als stimmenstärkster Partei hat die Wiener Theologin und Religionssoziologin Prof. Regina Polak nicht überrascht. Es sei in Österreich schon länger eine Normalisierung von rechtspopulistischen und rechtsextremen Einstellungen beobachtbar. Ein Kernthema dabei sei die "Stigmatisierung des Islams", so Polak im Interview der deutschen Zeitschrift "Publik-Forum". "Der entscheidende Faktor, dass die Ablehnung von Migration so zunimmt, ist nicht die Zahl der Migranten oder die Größe der rechtspopulistischen Parteien, sondern dass konservative Parteien die Argumente von rechtspopulistischen übernehmen", sagte die Theologin.
Es sei nicht nur für FPÖ-Chef Herbert Kickl typisch, Religion etwa durch den Wahl-Slogan "Euer Wille geschehe" zu instrumentalisieren. Die Freiheitlichen hätten ungeachtet ihrer antiklerikalen Wurzeln schon in den 1990er-Jahren, als die Gesellschaft sich durch Migration zu verändern begann, das "christliche Abendland" als Kampfbegriff gegen Migration benutzt, erinnerte Polak. "Eine verunsicherte Gesellschaft braucht positive Narrative, denn es entstehen Verlustängste." Politische Akteure wären laut Polak dafür verantwortlich, "eine Geschichte zu erzählen, wie wir mit den Veränderungen umgehen. Aber weder die SPÖ noch die ÖVP haben reagiert. In dieses Vakuum ist die FPÖ eingestiegen."
Die an der Uni Wien lehrende Pastoraltheologin bejahte die Frage, ob es nicht Aufgabe der christdemokratischen ÖVP wäre, religiös fundierte Positionen im öffentlichen Diskurs zu vertreten. "Aber die ÖVP hat leider viele migrationsfeindliche Motive der FPÖ übernommen."
In Kirche "massive Vorbehalte" gegenüber FPÖ
Dass es anders als in Deutschland vor der Wahl kein Bischofswort gegen die Rechtsextremen gab, erklärte Polak mit: "Die österreichische Kirchenleitung geht nicht so scharf in Konflikte, obwohl es dringend nötig gewesen wäre." Freilich gebe es in der Kirche "massive Vorbehalte gegen die FPÖ und große Sorgen über die Entwicklungen".
Zugleich werde der liberale Flügel in der katholischen Kirche immer kleiner, "weil viele frustriert weggehen". Die Kirche müsse sich fragen, ob sie "Übungsräume für Demokratie" anbieten könne. Kirchliche Gemeinschaften waren nach den Worten der Theologin immer auch "Orte, wo man gelernt hat, gemeinwohlorientiert zu handeln, Verantwortung für eine Gemeinschaft zu übernehmen, mit unterschiedlichen Einstellungen zurechtzukommen". Die Kirche sei von ihrem Wesen zwar keine Demokratie. Aber die Heilige Schrift erzähle über die Macht Gottes "als eine, die teilhaben lässt, die uns mit in die Verantwortung hineinnimmt".
Die Mitautorin der gemeinsamen Studie "Was glaubt Österreich?" von Uni Wien und ORF nannte als eines der Ergebnisse, dass sich religiös deklarierende Menschen einerseits größeres Vertrauen in gesellschaftliche Institutionen und in die Demokratie haben. Gleichzeitig steige bei religiösen Menschen die Wahrscheinlichkeit für autoritäre und minderheitenfeindliche Einstellungen. Polak: "Eine sehr rechte politische Einstellung korreliert häufig mit dem Gefühl, an gesellschaftlichen Entscheidungen nicht teilhaben zu können. Auch das Freiheitsverständnis ist wesentlich reduzierter, der Antisemitismus ist stärker ausgeprägt. Und Personen, die sich in einem rechten Spektrum in Kombination mit Autoritarismus bewegen, finden bestimmte Formen von Religionsgemeinschaften attraktiver."
In Österreich "Singularisierung des Glaubens"
Für die repräsentative Studie seien mehr als 2000 Personen in Österreich nach Sinn- und Wertvorstellungen und nach der Bedeutung und dem Verständnis von Religion gefragt. Die Ergebnisse zeigen große Veränderungen von Gottesbildern und Transzendenzvorstellungen sowie einen deutlichen Bedeutungsverlust von Gemeinschaften. "Es gibt eine starke Individualisierung, ich würde sogar von einer Singularisierung des Glaubens sprechen, der als primär private Angelegenheit verstanden wird", resümierte Polak. Aus theologischer Perspektive müsse man "von einem gewaltigen Einbruch des traditionell christlichen Glaubens sprechen". Dabei sei Österreich weder religionslos noch religionsfeindlich: 22 Prozent der Befragten sagten demnach, sie glaubten an Gott, 36 Prozent glaubten an "ein höheres Wesen, eine geistige Macht oder Energie". Die christliche Gottesvorstellung sei ihnen aber zu eng, führte Polak aus. Die Alternativen ließen sich freilich nicht als ein kohärenter oder konsistenter Glaube beschreiben.
Einen generellen Einfluss von Religion auf ethische Entscheidungen sieht die Theologin nicht. Allerdings blickten Menschen, die sich als religiös bezeichnen, anders auf die Fragen von Lebensanfang und -ende. Sie lehnten mehrheitlich Abtreibung und assistierten Suizid ab; und sie seien "tendenziell homophober und in Fragen der Sexualität weniger liberal".
Jugend deutlich religiöser
Als überraschend bezeichnete Polak, dass die Altersgruppe der 14- bis 25-Jährigen deutlich religiöser sei als die vorangehenden Kohorten. Zwar könne man nicht von einer Trendwende oder einer Gegenbewegung sprechen; doch in dieser Altersgruppe verschiebe sich seit der Corona-Pandemie etwas.
Das liegt nach ihren Worten auch, aber nicht nur an muslimischer Zuwanderung. Der Trend zeige sich in allen Konfessionen und Religionen. Dass die Jüngeren deutlich unbefangener seien, was Religion betrifft, "ist zum Teil ein Lifestyle-Phänomen und hat mit Social Media zu tun". Religion sei aber "auch zu einem Identitätsmarker geworden, im Sinne der Zugehörigkeit, aber auch der Abgrenzung".
Andere Jugendstudien zeigten, so Polak, dass junge Leute oft auch nicht den Anspruch hätten, sich intellektuell mit dem Glauben auseinanderzusetzen. Die Theologin: "Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass man in unsicheren Krisenzeiten nicht auch noch religiös verunsichert werden möchte."