Moraltheologe Schockenhoff beschreibt in "Kathpress"-Interview zunehmende Zurückhaltung des kirchlichen Lehramts hinsichtlich der Methoden der Familienplanung - Festlegung auf "natürliche Empfängnisregelung" in "Humanae vitae" "hat man als Irrweg erkannt"
Wien, 12.07.2018 (KAP) Beim Thema Empfängnisregelung fährt die katholische Kirche 50 Jahre nach der umstrittenen Enzyklika "Humanae vitae" von Papst Paul VI. einen weniger "detailfreudigen" Kurs. Wie der renommierte deutsche Moraltheologe Eberhard Schockenhoff in einem "Kathpress"-Interview anlässlich des Publikations-Jubiläums darlegte, ist spätestens seit dem Pontifikat Johannes Pauls II. eine zunehmende Zurückhaltung des kirchlichen Lehramts hinsichtlich der Methoden der Familienplanung feststellbar. Benedikt XVI. und erst recht Franziskus seien bei der Festlegung auf "natürliche Empfängnisregelung" weit zurückhaltender als ihre Vorgänger, sagte Schockenhoff. Auf diese als einzig denkbaren und akzeptablen Weg zu pochen, "das hat man, glaube ich, als Irrweg erkannt".
Das Thema Sexualität sei von Johannes Paul II. - der als damaliger Erzbischof von Krakau starken Einfluss auf "Humanae vitae" nahm - oftmals warnend aufgegriffen worden, erinnerte Schockenhoff. In den Ehekatechesen des Wojtyla-Papstes war oft davon die Rede, dass Sexualität zur Ware verkommt, so wie er Konsumismus generell als Gefahr der westlichen Kultur gesehen habe. Unter den beiden folgenden Päpsten habe das Thema an Bedeutung verloren, und auf der Verbindlichkeit der lehramtlichen Vorgaben liege nun ein deutlich geringerer Akzent, so der Freiburger Theologe. In seinem nachsynodalen Schreiben "Amoris laetitia" habe Franziskus von der "normative Präzision" in "Humanae vitae" abgesehen und sich darauf beschränkt, der Menschenwürde bei der Empfängnisregelung eine hohe Bedeutung beizumessen; das Papstschreiben komme im ganzen Bereich der Sexualität ohne Verurteilungen aus, und dem Gewissen der Eheleute, das die Kirche "bilden, nicht ersetzen" solle, werde mehr zugetraut.
Generell liege der Akzent lehramtlicher Aussagen - auch jener von Bischöfen - auf Werthaltungen wie eheliche Treue, Respekt und Rücksichtnahme. Dieser "eigentliche Sinn" von "Humanae vitae" wird nach der Beobachtung Schockenhoffs weiterhin hochgehalten, ohne freilich bis ins Einzelne "der Schöpfungsordnung entsprechende" Methoden der Familienplanung abzuleiten. "Ein Papst kann nicht einfach seine Vorgänger korrigieren und sagen, der hat sich geirrt, sondern er versucht einfach, das nicht mehr mit der gleichen Lautstärke und Verbindlichkeit einzufordern", so Schockenhoff wörtlich.
Wie es der Kirche gelingen könnte, in Sachen Sexualität wieder mehr Kompetenz zugestanden zu bekommen, hält der deutsche Theologe für eine zweitrangige Frage: "Man kann das Evangelium ja verkünden, ohne sich ständig zur Sexualität äußern zu müssen." Bei der Friedens- oder Wirtschaftsethik, bei Armut oder Migration finde die Kirche viel mehr Gehör in der öffentlichen Wahrnehmung, "da wird ihr mehr zugetraut", so Schockenhoff. Beim Thema Sexualität sollte sie sich "ein wenig zurückhalten".
Sexualität lange "mit Vorbehalt umgeben"
Auch wenn es sinnenfreudige Epochen der Kirchengeschichte gab wie die Renaissance- oder Barockzeit, dominiere in der heutigen Wahrnehmung eine kirchliche Sichtweise, die Sexualität "mit einem Vorbehalt umgibt" und meint, "man müsse sie mit strengen Normen einhegen". Das Spielerische und Lustbetonte an der Sexualität werde dabei unter Verdacht gestellt, bedauerte Schockenhoff. Natürlich bestehe die von Johannes Paul II. beschriebene Gefahr, den Partner bzw. die Partnerin "zum Erfüllungsgehilfen der eigenen Lust" zu machen - diese Gefahr gebe es auch in der Ehe. "Aber wenn man immer so stark auf die Gefahr schaut, zeigt man doch, dass man kein unverkrampftes Verhältnis zum Thema hat", merkte Schockenhoff an.
Mit "Amoris laetitia" habe Papst Franziskus hier einen neuen Akzent gesetzt, schon allein der Name seines Dokuments nehme Bezug auf die Freude an der Liebe und würdige Sexualität erstmals ohne Vorbehalt. Aus moraltheologischer Sicht sei Sexualität nie nur bloße "Triebentspannung", sie sollte Ausdruck von Liebe, Wertschätzung und der ganzheitliche Bejahung der anderen Person sein. Schockenhoff bezeichnete Sexualität "als Kraft, die einen befähigt, einen Lebensraum der Verlässlichkeit ohne Vorbehalte aufzubauen", in dem Intimität, Körperlichkeit, aber auch Verletzlichkeit und Hinfälligkeit Platz haben sollen. Begehrt zu werden helfe, sich der Bedeutsamkeit der eigenen Existenz bewusst zu werden. Das ist für den Theologen "die eigentliche anthropologische Leistung von Sexualität", und das gehe weit über ein bloßes Entspannungsverhältnis hinaus.
Diese Höchstformen von Sexualität würden freilich auch Zwischenstufen und "Suchbewegungen" kennen. Die geschlechtliche Vereinigung umfassen die Dimensionen Lusterfahrung, soziale Beziehung, Identitätsfindung und Fortpflanzung, wies Schockenhoff hin. Ziel einer reifen Persönlichkeit sollten Ausdrucksformen von Sexualität sein, die alle diese Dimensionen integrieren. "Das muss nicht in jeder einzelnen Begegnung der Fall sein", räumte der Moraltheologe ein, "aber im Ganzen der Sexualität sollte keine völlig ausgeschlossen sein".
Weitere Meldungen und Hintergrundberichte zur vor 50 Jahren veröffentlichten Enzyklika "Humanae vitae" im Kathpress-Themenpaket unter www.kathpress.at/humanae-vitae
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