Kardinal in Pressegespräch besorgt über weltweite Zunahme an totalitären Regimen - Kreuz als Zeichen der Versöhnung hat Platz in Öffentlichkeit - Warnung vor Verrohung der Sprache und des Umgangs miteinander - Plädoyer für mehr Mitgefühl und gesellschaftlichen Zusammenhalt
Wien, 17.12.2024 (KAP) Die Kirche steht für eine liberale Demokratie auf der Basis der Menschenrechte und der Freiheit. Das hat Kardinal Christoph Schönborn bei einem Pressegespräch Montagnachmittag in Wien betont. In diese liberale Gesellschaftsform "kann das Christentum Elemente einbringen, die für ihre Zukunft entscheidend sind", zeigte sich Schönborn überzeugt. Und er nannte explizit die Würde jedes Menschen und die Transzendenz-Offenheit jedes Menschen. Nachsatz: "Diese Dimensionen werden für die Zukunft sehr wichtig sein."
Der Wiener Erzbischof zeigte sich besorgt ob der weltweiten Zunahme an totalitären Regimen: "Wir müssen uns fragen: Worauf basiert unsere freiheitliche Ordnung?" Schönborn zitierte einmal mehr das Axiom des deutschen Staats- und Verfassungsrechtlers Ernst Wolfgang Böckenförde: "Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann." - Diese Voraussetzungen zu stärken, sei heute die Aufgabe nicht nur der Kirche, "sondern aller, die an der Sinnfrage nicht einfach vorbeigehen". Zugleich erteilte der Kardinal einmal mehr einer institutionellen Verbindung von Staat und Kirche, wie sie etwa während des Ständestaates in der Zwischenkriegszeit gegeben war, eine deutliche Absage.
Zugleich plädierte der Kardinal für eine deutliche Präsenz des Christentums auch in der Öffentlichkeit. Das beinhalte etwa auch die Anbringung von Kreuzen in öffentlichen Einrichtungen. Schönborn: "Das hat überhaupt nichts Exklusives. Das Kreuz richtet sich nicht gegen jemanden, sondern ist ein Zeichen, das große Zeichen der Versöhnung, die Vertikale und die Horizontale. Und warum sollen wir uns dieses Zeichens schämen?"
Und der Wiener Erzbischof fügte hinzu: "Die Stadt Wien hat das Kreuz im Wappen. Deswegen ist ja Wien noch nicht ein Hotspot der katholischen Frömmigkeit - aber das Zeichen ist wichtig."
Warnung vor Beliebigkeit
Eine liberale Grundhaltung dürfe allerdings nicht mit einer "Grundhaltung der Beliebigkeit" verwechselt werden, so Schönborn im Blick auf den gesellschaftlichen Diskurs, ebenso aber auch im Blick auf den Dialog der Religionen: "Man kann das sehr schön in dem Bild von der weitgespannten Brücke ausdrücken, einer Brücke zwischen den Menschen, zwischen den Religionen." Die Voraussetzung für eine weitgespannte Brücke seien tiefe Fundamente.
Eine eigene gefestigte Haltung im Glauben sei in diesem Sinne auch Voraussetzung für den Dialog der Religionen. Schönborn: "Was soll ein gläubiger Moslem mit mir reden, wenn für mich alles beliebig ist? Und wenn ich nicht vor seiner oder ihrer religiösen Haltung auch Respekt und Wertschätzung habe?" Beim Dialog der Religionen gehe es um einen "Dialog in religiöser Tiefe und nicht in der Oberflächlichkeit". - In dieser Hinsicht verdanke er sehr viel seinem Lehrer Joseph Ratzinger, "bei dem ich studiert und mit dem ich Jahrzehnte zusammengearbeitet habe, und der entgegen dem Bild, das oft von ihm gezeichnet wurde, ein sehr offener und sehr weitsichtiger Mann war".
Schönborn erinnerte daran, dass er fünf Jahre intensiv an der Erarbeitung des Katechismus der katholischen Kirche mitgearbeitet habe, sozusagen dem Kompendium der Orthodoxie bzw. Rechtgläubigkeit: "Was glaubt die Kirche? Was lehrt die Kirche? Was sind die Glaubensüberzeugungen der Kirche? Und ich halte es nach wie vor für sehr wichtig, zu wissen, was eigentlich mein Glaube ist. Glauben und Wissen gehören einfach ganz innig zusammen."
"Interessiere dich für den Nächsten!"
Auf die zunehmenden Vereinsamungstendenzen in der Gesellschaft angesprochen, zitierte der Kardinal einmal mehr André Heller mit seinem Wort von der "Welt-Muttersprache Mitgefühl". Es brauche mehr Mitgefühl bzw. Interesse aneinander. Schönborn: "Wie kann es sein, dass man jahrelang, vielleicht jahrzehntelang am selben Stock wohnt und nicht weiß, wer der Nachbar ist? Das ist ein Defizit an Menschlichkeit, das eigentlich unfassbar ist." Deshalb sein Appell: "Interessiere dich für den Nächsten! Du darfst dich nicht wundern, dass sich niemand für dich interessiert, wenn du dich nicht für die anderen interessierst! Es ist sehr einfach. Und es ist ein solcher Zugewinn an Menschlichkeit, sich zu interessieren."
Schönborn warnte vor einer weiteren Verrohung der Sprache und des Umgangs miteinander und plädierte eindringlich für mehr gesellschaftlichen Zusammenhalt. Er verwies auf die Nachkriegszeit. Bei allen Fehlern sei man sich bewusst gewesen: "Aufbauen können wir dieses Land nur gemeinsam." Und so gelte: "Auch die heutige Krise bewältigen wir nur gemeinsam."
Das sei letztlich auch das, was Papst Franziskus mit dem Synodalen Prozess für die Kirche will: "Synodalität heißt, gemeinsam auf dem Weg sein. Das brauchen wir auch in der Politik und in allen Bereichen der Gesellschaft", so Kardinal Schönborn.
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